Vorwurf von NGOs Pharmaindustrie blockierte schnellere Impfstoffentwicklung

Impfdosis: Investierte die Pharmaindustrie lieber in rentable Forschungsbereiche?
Foto: Andrew Brookes/ Westend61/ imago imagesEin wirksamer Impfstoff gilt als Schlüssel zur Eindämmung der Coronakrise - doch noch vor wenigen Jahren stellte sich die Pharmaindustrie offenbar gegen den Vorschlag, in die Pandemie-Prävention zu investieren. Das geht aus einem Bericht der Organisationen Global Health Advocates und Corporate Europe Observatory hervor . Zunächst hatte die "Süddeutsche Zeitung" darüber berichtet.
Die Organisationen hatten untersucht, welche Forschungsprojekte die EU-Kommission und die Pharmaindustrie im Rahmen der "Initiative für innovative Arzneimittel", kurz IMI, seit dem Jahr 2007 umgesetzt haben. Das Programm soll die Medikamentenforschung in Europa stärken. Laut der IMI-Website liegt das Budget der Initiative bei 5,3 Milliarden Euro. Die eine Hälfte des Geldes kommt stets von der EU, es geht an teilnehmende Projektpartner wie Universitäten, Mittelständler und Institute. Die andere Hälfte stellen die europäischen Arzneimittelkonzerne (EFPIA), sie investieren Sachleistungen, indem sie etwa ihre Labore bereitstellen.
Die EU-Kommission soll laut dem Bericht 2018 vorgeschlagen haben, die Pandemie-Prävention in das IMI-Forschungsprogramm aufzunehmen. Konkret sollten beispielsweise Computersimulationen und eine Analyse von Tierversuchsmodellen gefördert werden, um die Impfstoffentwicklung im Falle einer Pandemie zu beschleunigen.
"Das war für die Pharmaindustrie finanziell nicht interessant"
Der Vorschlag wurde jedoch im Dezember 2018 abgelehnt, zeigt ein internes Protokoll eines Treffens zwischen Vertreten der Pharmaindustrie und der EU-Kommission. Demnach verwiesen die Entscheidungsträger auf die bereits bestehende Allianz zur Entwicklung neuer Impfstoffe CEPI, mit der das IMI-Programm zwar zusammenarbeiten wolle, eine "Co-Investition" zur Unterstützung von CEPI werde aber "nicht unmittelbar erwartet".
Ein IMI-Sprecher sagte dem "Guardian" , die Pandemie-Prävention habe damals in Konkurrenz zu anderen Forschungsthemen wie Tuberkulose, Autoimmunerkrankungen und digitaler Gesundheit gestanden.
Die Autoren der Analyse vermuten ein anderes Motiv. "Das war für die Pharmaindustrie finanziell nicht interessant", glaubt Marine Ejuryan von Global Health Advocates. Bei der Entscheidung über Forschungsthemen stünden vor allem kommerzielle Interessen der Pharmaindustrie im Vordergrund. Sechs von sieben Beratergruppen des letzten IMI-Programms bestanden fast ausschließlich aus Vertretern der Pharmaindustrie, darunter auch die Gruppe, die sich mit Infektionskontrolle beschäftigt.
Auch andere Forschungsbereiche werden dem Bericht zufolge kaum gefördert, obwohl sie laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dringend untersucht werden müssten, darunter Krankheiten wie Malaria und Aids. Dabei sollte sich die IMI-Initiative eigentlich an den Prioritäten der WHO orientieren. Doch schon im Jahr 2015 zeigten Recherchen, dass das Programm fast nur dazu dient, die Pharmaindustrie über den Umweg der Forschung zu subventionieren. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
"Es muss künftig eine neutrale Instanz geben"
Vor allem Studien über Alzheimer, Krebsleiden oder Diabetes werden durch IMI gefördert, kritisieren die Studienautoren. Die Erforschung solcher Krankheiten sei zwar ebenfalls wichtig, aber die Forschungsprojekte wären wahrscheinlich auch ohne Fördergelder umgesetzt worden, weil sie für die Pharmaindustrie rentabel sind.
Der Dachverband der Pharmaindustrie EFPIA wies die Vorwürfe zurück und betonte, dass viele andere Projekte aus dem Programm zur Erforschung von Covid-19 beitrügen. Die EU-Kommission bewilligte zudem 72 Millionen Euro zusätzlich für das IMI-Programm, um nach Wirkstoffen gegen Covid-19 zu suchen.
Doch Geld allein reiche nicht mehr aus, sagte der ehemalige IMI-Direktor Michel Goldman der "Süddeutschen Zeitung" . "Es muss künftig eine neutrale Instanz geben, die die Interessen der Pharmaindustrie und der öffentlichen Gesundheit in Einklang bringt."