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Hilmar Schmundt

Wie Deutschland mit Extremsituationen umgeht Symbolpolitik statt Krisenmanagement

Liebe Leserin, lieber Leser,

am Dienstag hat die neue Regierung einen Corona-Beraterstab einberufen, scherzhaft auch »die Glorreichen 19« genannt. Gemeinsam mit Julia Merlot und Jörg Römer habe ich ein Who is Who der Corona-Weisen zusammengestellt. Spoiler: Zu spektakulären Duellen zwischen Christian Drosten und Hendrick Streeck dürfte es wohl eher nicht kommen. Denn Streecks oft optimistische Positionen dürften innerhalb des Expertenrates eher auf eine Art Minderheitenvotum hinauslaufen.

Das Pandemie-Gremium ist hochrangig besetzt. Die Krise löst das aber leider nicht. »Die Einberufung dieser Berater ist eher Symbolpolitik« , sagte mir Martin Voss am Freitag. Wie bitte?

Voss weiß, wovon er spricht. Für ihn ist der Ausnahmezustand Alltag, der Professor ist Leiter der Katastrophenforschungsstelle an der FU Berlin, er beackert das Thema nicht erst seit vier Wellen, sondern seit Jahrzehnten.

Voss ist mit seiner grundsätzlichen Kritik nicht allein. Im Sommer war ich mit Albrecht Broemme unterwegs, wir trafen uns in einem Impfzentrum, das er organisiert hatte. Broemme ist seit zwei Jahren im Unruhestand, aber wenn es brennt oder kracht, ist er nach wie vor dabei. Mit siebzehn fing er bei der Freiwilligen Feuerwehr an, heute gilt er als einer der erfahrensten Katastrophenmanager des Landes.

Auch Broemme ist genervt, auch er sagt: Es braucht weniger Bürokratie, mehr Koordination und internationale Vernetzung, um von anderen Ländern zu lernen. Hier habe ich im August über ihn geschrieben . Broemmes Kritik ist immer noch aktuell. Leider.

Trotzdem gibt es kurz vor dem kürzesten Tag des Jahres zum Winter-Solstitium am Dienstag auch eine positive Nachricht aus der Wissenschaft: Sonnenforscher feiern gerade Triumphe. Am Dienstag stellten sie Zwischenergebnisse der Parker-Sonde vor, der es gelungen ist, quasi durch die Sonne hindurch zu fliegen, ohne zerbratzelt zu werden. Großartig, dachte ich, und rief gleich  einen der beteiligten Forscher an, den Astrophysiker Volker Bothmer von der Uni Göttingen.

Er enttäuschte mich nicht: »Das ganze Sonnensystem ist nicht nur von der Strahlung der Sonne durchflutet, sondern auch von diesen Partikelströmen, das hätten wir nicht erwartet«, schwärmte er mit Blick auf heftige Materieströme, die von der Sonne ständig ins All brodeln: »Das sieht auf unseren Bildern ein bisschen so aus wie Perlen, die durch das All ziehen.« Ist das nicht herrlich? Unser Heimatstern erleuchtet die Finsternis. Here Comes the Sun!

Meine Seelenverfinsterung hellte sich auf. Doch dann wich der Sonnenforscher leider vom Thema ab. Ich versuchte noch, ihn zu unterbrechen. Aber unbeirrt redete er plötzlich von drohenden Blackouts, ausgelöst durch widriges Weltraumwetter: »Bei Sonnenstürmen ist es ein wenig so wie bei anderen Bedrohungen: Cybercrime oder Pandemien zum Beispiel. Alle wissen, dass unsere Systeme anfällig sind, aber kaum jemand will Geld für die Prävention ausgeben, die vorausschauende Planung ist oft unpopulär. Bis es wieder kracht.« Na toll. Da waren wir wieder zurück beim Thema der mangelnden Katastrophenbereitschaft.

Der Trost: Ab Mittwoch werden die Tage wieder länger. Versprochen.

Holen Sie sich einen Booster-Termin und bleiben Sie gesund!

Ihr Hilmar Schmundt

Parker Solar Probe vor der Sonnenkorona (Ilustration)

Parker Solar Probe vor der Sonnenkorona (Ilustration)

Foto:

Steve Gribben / AP

Außerdem empfehle ich Ihnen:

  • Titelgeschichte über Psychologie: Freunde, Rivalen, Vorbilder – wie uns Brüder und Schwestern prägen .

  • Disaster Studies: So muss sich Deutschland für die Katastrophen der Zukunft  wappnen. »Komplexe Krisen« nennen Experten das, was wir gerade erleben: Pandemie, Auswirkungen des Klimawandels, alles kommt zusammen. Ihr Befund ist alarmierend: »Der Bevölkerungsschutz braucht ein Systemupdate.«

  • Corona und kein Ende: Das sind die Corona-Weisen. Welche Fachleute sind dabei, wofür stehen sie und wo könnte es Reibungspunkte  geben?

  • Corona, einer geht noch: »Die fünfte Welle wird kommen«. In der Pandemie gehört Lothar Wieler zu den wichtigsten Beratern der Regierung. Hier sagt er,  warum er neuerdings auch mal emotional wird, was er von Karl Lauterbach hält und wie lange wir noch mit Coronaeinschränkungen leben müssen.

  • Mal was anderes: Vor der Kälte kam die Hitze. In einigen Teilen der Welt sorgte vor etwa 600 Jahren ein Kälteeinbruch für Hunger und Not. Wie es zur Kleinen Eiszeit kam, ist bislang unklar. Nun präsentieren Fachleute eine neue Theorie .

  • Großkatzen-Content: Starker Schneefall wird zur Gefahr für den Sibirischen Tiger. Nur noch rund 600 Amurtiger leben in freier Wildbahn. Nun macht hoher Schnee den Tieren im Osten Russlands zu schaffen.

Quiz

1. Omikron ist in aller Munde, teils leider wörtlich. Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und bezieht sich...
a) auf den Prozess der schnellen Alterung, von Κρόνος, dem Gott der Zeit.
b) auf ein kurz gesprochenes »O«, im Gegensatz zu Omega, dem lang gesprochenen »O«.
c) auf die Genomik, daher das »Omik« in Omikron.

2. Die Temperatur der Sonne...
a) nimmt von der Oberfläche zur Atmosphäre (Korona) hin ab.
b) nimmt von der Oberfläche zur Atmosphäre (Korona) hin zu.
c) ist auf Oberfläche und Atmosphäre (Korona) in etwa gleich.

3. Tausendfüßler haben...
a) natürlich nie tausend Füße, das ist einfach eine rhetorische Übertreibung.
b) haben teils eintausend Füße, manchmal sogar noch mehr.
c) haben mindestens eine Million Füße.

*Die Antworten finden Sie ganz unten im Newsletter.

Bild der Woche

Seestern

Seestern

Foto:

Tony Wu / Nature Picture Library

Überirdisch wie ein Gasnebel im Weltall sieht dieser Seestern (Leiaster leachi) aus, aufgenommen im Gegenlicht vor der Küste der japanischen Insel Kyushu. Biologen bezeichnen Seesterne als Asteroidea, abgeleitet vom altgriechischen Wort für Stern (ἀστήρ). Einige der dekorativen Stachelhäuter verfügen auf ihren Armen über Lichtsensoren, die nicht nur auf Hell und Dunkel reagieren, sondern ihnen ermöglichen, ähnlich detailliert wie mit einem einfachen Auge zu sehen. Die weißlichen Fäden auf dem Foto bestehen aus Sperma, welches das Tier ausstößt.

(Feedback & Anregungen? )

*Quizantworten:
1b) Omikron bezieht sich auf den Buchstaben im griechischen Alphabet, das kurz gesprochene »O«.
2b) Die Temperatur der Sonnenoberfläche liegt bei etwa 6000 Grad Celsius, was nicht übel ist, gerade in einer kalten Winternacht. Doch die Temperatur der Korona liegt weitaus darüber, eher im Bereich von ein paar Millionen Grad Celsius.
3b) Ein Exemplar der neu entdeckten Spezies Eumillipes persephone bringt es auf 1306 Beine, wie ein Team um Paul Marek von der Virginia Tech im US-amerikanischen Blacksburg im Fachblatt »Scientific Reports«  schreibt. Die Spezies ist damit der erste bekannte Tausendfüßler mit mehr als 1000 Füßchen. Der vorherige Rekordhalter kam nur auf bis zu 750.

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