Zukunft der Medizin Erbgut-Codes für Jedermann

DNA-Doppelhelix (Zeichnung): Die Genophobie vieler Akademiker wird verschwinden
Foto: DPA/ QuiagenWas wird alles verändern?
Wenn Sie unbedingt darauf bestehen: persönliche Genomik?
Ich habe wenig Vertrauen in die Fähigkeiten irgendeines Menschen, vorherzusagen, was alles verändern wird. Ein Blick auf die Zukunftsforschung der Vergangenheit fördert viele ernüchternde Beispiele ans Licht. Von zuversichtlichen Voraussagen technischer Revolutionen, die niemals stattgefunden haben - zum Beispiel kuppelbedeckte Städte, nuklearbetriebene Autos und in Schalen gezüchtetes Fleisch.
Bis zum Jahr 2001 sollten wir, dem gleichnamigen Spielfilm zufolge, den künstlichen Tiefschlaf beherrschen, Missionen zum Jupiter durchführen und menschenähnliche Großrechner haben (allerdings keine Laptop-Computer und keine Textverarbeitung - die Figuren in dem Film verwenden Schreibmaschinen). Und erinnern Sie sich noch an das interaktive Fernsehen, den Internetkühlschrank und das papierlose Büro?
Die zweite feministische Revolution hat niemand vorhergesehen
Die Technik kann vielleicht alles verändern, aber es ist unmöglich vorherzusagen, wie sie das tun wird. Schauen wir uns einen anderen Aspekt an, bei dem "2001 - Odyssee im Weltraum" danebenlag: Die amerikanischen Frauen in dem Film waren "weibliche Assistentinnen": Sekretärinnen, Empfangsdamen und Flugbegleiterinnen. Noch im Jahr 1968 haben die wenigsten Menschen die zweite feministische Revolution vorausgesehen, die in den siebziger Jahren alles verändern sollte. Dabei hatte die Revolution ihre Wurzeln durchaus auch im technischen Wandel. Nicht nur, dass orale Verhütungsmittel den Frauen die Möglichkeit gaben, den Zeitpunkt ihrer Mutterschaft selbst zu bestimmen. Auch eine Vielzahl vorangegangener Technologien (sanitäre Anlagen, Massenfertigung, moderne Medizin, die Stromversorgung) hatte die Arbeiten im Haushalt erleichtert, die Lebenserwartung verlängert und die Grundlage der Wirtschaft von der körperlichen hin zur geistigen Arbeit verlagert. Dadurch wurden Frauen kollektiv von der Rund-um-die-Uhr-Erziehung der Kinder emanzipiert.
Die Auswirkungen der Technik hängen nicht nur davon ab, was Geräte leisten können, sondern auch davon, wie Milliarden von Menschen deren Kosten und Nutzen beurteilen. (Wollen Sie tatsächlich eine Hotline anrufen müssen, um einen Programmierfehler Ihres Kühlschranks beheben zu lassen?) Sie hängen auch von zahllosen nichtlinearen Netzwerkeffekten, versteckten Folgen und ähnlich lästigen Faktoren ab. Die Beliebtheit von Babynamen (Mildred, Deborah, Jennifer, Chloe) und die aktuelle Mordrate (Rückgang in den Vierzigern, Zunahme in den Sechzigern, erneuter Rückgang in den Neunzigern) sind nur zwei von vielen sozialen Trends, die wild hin und her schwanken, und dabei allen Bemühungen der Sozialwissenschaftler trotzen, sie im Nachhinein zu erklären, geschweige denn sie vorherzusagen.
Genomik für Endverbraucher
Wenn Sie aber unbedingt darauf bestehen. Im vergangenen Jahr haben wir erstmals gesehen, dass Genomik unmittelbar für Endverbraucher angeboten wurde. Eine Reihe neuer Firmen wurde jüngst gegründet. Dort bekommt man alles: von der vollständigen Sequenzierung des eigenen Genoms (für lässige 350.000 US-Dollar), [ mittlerweile wurde ein Genom für rund 4000 US-Dollar sequenziert, Anm. d. Red .] über einen Abgleich mit mehr als einhundert mendelschen Erkrankungsgenen, bis hin zu einer Liste von Merkmalen, Erkrankungsrisiken und Abstammungsdaten.
Hier einige mögliche Folgen:
Eine individualisierte Medizin. Medikamente werden anhand der molekularen Begebenheiten des Patienten verschrieben werden, statt mittels Versuch und Irrtum. Empfehlungen zur Prophylaxe und Früherkennung werden auf diejenigen beschränkt werden, die am meisten davon profitieren.
Das Ende vieler Erbkrankheiten. So wie das Tay-Sachs-Syndrom in den Jahrzehnten nahezu ausradiert wurde, seitdem sich die Aschkenasim auf dieses Gen haben testen lassen, so wird ein universeller Test Hunderte anderer Erbkrankheiten ausradieren.
Es wird eine allgemeine Kranken-, Berufsunfähigkeits- und Pflegeversicherung geben. Vergessen wir die politischen Debatten über die Sozialisierung der Medizin. Wenn Verbraucher mit dem höchsten Risiko mit großzügigen Policen aufstocken können, während diejenigen mit geringerem Risiko mit dem absoluten Minimum auskommen, werden Versicherungen nach dem Cafeteria-Modell versicherungsmathematisch nicht mehr tragfähig sein.
Das Ende der Genophobie vieler Akademiker und Experten. Deren Doktrin des unbeschriebenen Blattes wird zunehmend unglaubwürdiger werden, je mehr die Menschen darüber erfahren, wie Gene ihr Temperament und ihre kognitiven Fähigkeiten beeinflussen.
Die ultimative Selbstbestimmung des medizinischen Verbrauchers. Er wird sein eigenes Erkrankungsrisiko kennen und sich die passende Therapie selbst suchen. Er wird sich nicht mehr auf Vermutungen und Rituale eines patriarchalischen Hausarztes verlassen müssen.
Und dann wiederum: Vielleicht wird das alles aber auch nicht eintreten.