Ägypten Archäologen auf der Spur von Kleopatra
Kathleen Martínez, eine Hochbegabte, war gerade mal 19, als sie ihren Abschluss in Jura machte. Doch ihre Begeisterung gilt der Archäologie, einem Fach, das sie an der Universität von Santo Domingo sogar unterrichtete - ohne je auf einer Grabung oder gar in Ägypten gewesen zu sein. Das rätselhafte Schicksal der letzten Pharaonin lässt sie seit einem Streit mit ihrem Vater nicht mehr los. Es war im Jahr 1990, als die damals 24-Jährige im Elternhaus nach einem Exemplar von Shakespeares "Antonius und Kleopatra" suchte. Professor Fausto Martínez, als Rechtswissenschaftler ausgewogen im Urteil, fand kein gutes Wort für die Königin. Eine Dirne sei sie gewesen. Kathleen schäumte. Römische Propaganda und ewige Vorurteile gegen Frauen hätten das Bild Kleopatras verzerrt. Nach stundenlanger Diskussion lenkte der Vater ein.
Das ist die Initialzündung. Die junge Martínez entschließt sich, alles über Kleopatra in Erfahrung zu bringen, was ihr möglich ist. Sie wälzt die einschlägigen Texte, besonders Plutarchs Bericht über Marcus Antonius Beziehung zur Pharaonin. Ihr wird klar, dass die Römer es darauf abgesehen hatten, die Herrscherin im schlimmsten Fall als dekadente und wollüstige Despotin, im besten Fall als mit allen Wassern gewaschene Politikerin darzustellen. Martínez liest Buch um Buch - aber nirgendwo findet sie auch nur eine Zeile über den Verbleib der Herrscherin nach ihrem Tod.
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich Archäologen endlich des Rätsels um den Verbleib von Kleopatras Leichnam angenommen und suchen nach ihrem Grab. Die Erkundungen des Franzosen Franck Goddio und seines Europäischen Instituts für Unterwasserarchäologie (IEASM) machten es möglich, eine Karte der versunkenen Teile von Alexandria anzufertigen. Die Forscher bargen mit Seepocken übersäte Steinsphingen, Pflastersteine aus Kalkstein, Granitsäulen und Kapitelle. Das alles verhilft uns zu einem besseren Verständnis von Kleopatras Welt.
Am Tisch mit dem Allmächtigen
Die Forscher auf der Spur der Pharaonin könnten unterschiedlicher nicht sein: Zahi Hawass, der allmächtige Generalsekretär der Ägyptischen Altertümerverwaltung, und Kathleen Martínez, die Juristin und leidenschaftliche Archäologin aus der Dominikanischen Republik.
Im November 2006 sitzt Hawass in seinem Büro in Kairo, vor sich einen Briefbogen des "Nile Hilton"-Hotels. Darauf hat er die wichtigsten Stellen einer Fundstätte skizziert, die die Archäologen im Jahr zuvor untersuchten. "Wir fahnden nach Kleopatras Grab", sagt er aufgeregt. "Das hat noch nie jemand systematisch gemacht." Die Aktion begann, als sich Martínez 2004 mit Ägyptens oberstem Archäologen in Verbindung setzte und ihre Theorie vorlegte: Kleopatra könnte in einem zerfallenen Tempel nahe der Wüstenstadt Taposiris Magna (dem heutigen Abusir), knapp 50 Kilometer westlich von Alexandria, bestattet worden sein.
Als Martínez 2005 mit einem Team beginnt, die Stätte mit Radar und anderen modernen Methoden der Archäologie zu untersuchen, konzentriert sie sich nicht so sehr auf das mögliche Grab Kleopatras. Sie will zunächst Beweise für ihre Theorie finden, dass Taposiris Magna überhaupt der Ort sein könnte, an dem man nach der Königsmumie suchen muss. In den vergangenen sechs Jahren ist Taposiris Magna zu einer der geschäftigsten archäologischen Stätten des Landes geworden. Die Archäologen fanden mehr als 1000 Objekte, 200 davon gelten als bedeutend.
Teure Fahndung
Und das Grab der Kleopatra? Darauf haben Martínez und ihre Kollegen noch keine Antwort. Sie können bisher nur aus der Geschichte herleiten und mutmaßen, wer in Taposiris Magna begraben wurde. Es gibt noch keine Beweise für ihre Annahme - aber auch keine, die dagegen sprechen. Kritiker zweifeln an ihrer These.
Sollte man Kleopatras Grab je finden, dann wäre das eine archäologische Sensation, nur vergleichbar mit Howard Carters Entdeckung des Grabs von Tutanchamun im Jahr 1922.
Die Suche nach Kleopatra ist für Martínez ein teures Unterfangen. Sie hat ihre gut gehende Anwaltspraxis in Santo Domingo aufgegeben und einen großen Teil ihrer Ersparnisse in die archäologische Forschung investiert. Hat eine Wohnung in Alexandria bezogen und begonnen, Arabisch zu lernen. Es ist kein leichtes Leben, weit entfernt von Familie und Freunden. Während der Revolution in diesem Jahr sah sie sich auf der Grabung plötzlich einer Gruppe aggressiver Männer gegenüber. Jetzt ruht die Arbeit. Martínez hofft, im Herbst zurückkehren zu können. "Ich bin überzeugt, dass wir finden werden, was wir suchen", sagt sie, unbeirrbar wie am ersten Tag.
Dieser Text stammt aus National Geographic Deutschland, Ausgabe Juli 2011. Mehr Informationen zu diesem Thema und viele weitere Beiträge über das alte Ägypten finden Sie unter nationalgeographic.de/kleopatra.