Sie gelten als die neuen Übeltäter bei der Übertragung des Coronavirus: Aerosole - kleinste Schwebeteile, die beim Ausatmen in die Luft gelangen. Auf den winzig kleinen Partikeln, hier als Seifenblasen dargestellt, können Sars-CoV-2 -Viren sitzen. Genau darin liegt die Gefahr, denn so könnte sich das Coronavirus unbemerkt verbreiten.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der TU Berlin erforschen mit kleinen Seifenblasen, wie sich Aerosole in geschlossenen Räumen verteilen.
Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts
"Sie müssen sich vorstellen, eine Person sitzt im Büro und ist vielleicht infiziert und würde das Fenster die ganze Zeit zu lassen. Sie halten die Abstandsregeln, die heutzutage gelten, und sitzen weit auseinander, und die eine Person würde infiziert sein und würde in den Raum atmen, ganz normal. Und der Atemluft Luftstrom würde sie nicht treffen, die andere Person nicht treffen. Aber indirekt würde es doch treffen, weil letztendlich diese ganzen kleinen Aerosole sich überall im Raum ziemlich gleichmäßig verteilen. Und genau das ist das, was wir hier darstellen können, was wir hier messen können."
Wie die sogenannte "luftgetragene Übertragung” durch Aerosole möglich ist, simulieren das Forschungsteam um Kriegel mithilfe verschiedener Versuchsaufbauten. So verdeutlicht diese Simulation, wie sich die Aerosole in einem Büro mit vier Personen verhalten. Einmal in einem Büro ohne Lüftung, im Bild links und einmal in einem Büro mit Lüftung, im Bild rechts zu sehen. In einem Büro ohne Lüftung sind Aerosole nach 20 Minuten noch nahezu vollständig in der Luft. In einem Büro mit maschineller Lüftung ist die Gesamtkonzentration von Partikeln deutlich geringer.
Wie groß SARS-CoV-2-Partikel sein müssen, um tatsächlich noch infektiös zu sein, ist bislang noch nicht klar und wird derzeit von Kriegel in einem interdisziplinären Team untersucht.
Eine bereits gewonnen Erkenntnis: Beim Husten werden besonders viele Aerosole ausgestoßen. Nicht zu vergleichen ist das allerdings mit Gesang.
Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts
"Beim Singen also deutlich mehr Partikel abgegeben werden als beim normalen Sprechen. Wir haben gesehen, dass wir einen Faktor 50, also 50-mal mehr solche Partikel Aerosole abgeben in die Raumluft als beim normalen Sprechen. Vielleicht ist das auch eine Erklärung dafür, dass es gerade in der Öffentlichkeit bei Events zu erhöhten Infektionszahlen gekommen ist, weil einfach beim Singen Unmengen mehr an solchen Aerosolen generiert.”
Sobald eine infizierte Person, beispielsweise an einer Chorprobe teilnimmt, kann sie zum sogenannten "Superspreader” werden. Die ausgeatmeten infektiösen Aerosole verbreiten sich im ganzen Raum und können so eine Vielzahl an Menschen anstecken. ((Bei Chorproben in Berlin und Washington ist es bereits zu derartigen Infektion-Events gekommen.)) Eine Studie aus Hongkong lässt vermuten, dass 20 Prozent der Infizierten ungefähr 80 Prozent der Infektionen anstoßen könnten.
Der Mund-Nase-Schutz hilft dabei nur bedingt:
Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts
"Die Masken reduzieren eigentlich nicht groß diese Partikel-Anzahl. (…) 80 bis 90 Prozent der Aerosole geht eigentlich durch diese Undichtigkeiten der Maske trotzdem in die Raumluft. Das wird nicht so ausgebreitet, so ein Strahl, der aus dem Mund rauskommt.”
Wie sich der Luftstrom trotz Mund-Nase-Schutz im Raum verteilt, haben Kriegel und sein Team mithilfe von E-Zigaretten getestet. Der Rauch verdeutlicht die Bewegung der Atemluft.
Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts
"Wenn ich jetzt die Maske trage, verhindert das, dass dieser Luftstrom aus meinem Mund die Person indirekt trifft. Es geht zwar in die Raumluft, aber eben nicht direkt auf die Person. Das verdünnt sich dann im Raum mit der normalen Raumluft und trifft mich zwar indirekt über den Umweg, aber in einer sehr geringen Konzentration. Deswegen bringt das Maskentragen natürlich schon was. Gerade wenn man den Abstand nicht wahren kann, wenn man im Supermarkt an einer Person vorbeigeht und bekommt plötzlich den Atemstrahl ab.”
Doch wie können sich Personen, die etwa gemeinsam in einem Büro sitzen, vor dem Virus schützen?
Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts
"Dass sich das nicht weiter im Raum aufkonzentriert, das kann ich machen, indem ich den Raum gut belüfte und am besten mit Zwangslüftung heißt wirklich mit Lüftungsanlagen, Fensterlüftung funktioniert nicht immer. Da stellt man sich vor Fenster auf, und der Luftstrom kommt rein. Das ist nicht wirklich so. Denn wenn Sie keinen Wind zum Beispiel draußen haben, wenn Sie die gleiche Temperatur draußen und drinnen haben, dann passiert gar nichts. Dann kommt gar kein Luftstrom rein. Das sollte man vielleicht auch nochmal betrachten, dass das nicht eine Gewähr ist, dass das zum Luftaustausch tatsächlich führt.”
Eines macht die Forschung der TU Berlin bereits deutlich: Mindestabstand einhalten, Händewachsen und das Tragen des Mund-Nase-Schutzes reichen wohl alleine nicht aus, um sich in Innenräumen vor Covid-19 zu schützen. Hygienekonzepte für Klassenzimmer, Büros und Restaurants müssen neu gedacht werden.
Eine gute Nachricht gibt es immerhin: Unter freiem Himmel ist eine Infektion mit Aerosolen bei Einhaltung des Mindestabstands vermutlich nahezu ausgeschlossen.