Ärztepfusch Mehr Deutsche klagen über Kunstfehler

Operation geglückt, Patient gesund? Leider nicht immer. Im Jahr 2008 haben fast 11.000 Menschen in Deutschland ihren Ärzten Kunstfehler vorgeworfen. Das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahr - die Dunkelziffer liegt vermutlich noch höher.
Von Zacharias Zacharakis und Heike Le Ker

Berlin - "Es gibt keine Operation ohne Risiken", heißt ein Standardsatz von Ärzten, wenn sie ihre Patienten über einen bevorstehenden Eingriff aufklären. Doch es gibt eine Gefahr, die Mediziner nicht mit einkalkulieren: das Risiko eines Kunstfehlers. Im vergangenen Jahr haben sich 10.967 Patienten bei den Schlichtungsstellen der Ärztekammern beschwert, weil sie einen Behandlungsfehler ihres Arztes vermuteten. Das sind fünf Prozent mehr als im Vorjahr, wie Vertreter der Bundesärztekammer am Donnerstag in Berlin berichteten.

Was vergessen? 2008 beschwerten sich in Deutschland fast 11.000 Menschen über vermeintliche ärztliche Kunstfehler

Was vergessen? 2008 beschwerten sich in Deutschland fast 11.000 Menschen über vermeintliche ärztliche Kunstfehler

Foto: Corbis

Bei Patienten mit Arthrose im Hüft- oder Kniegelenk, mit Knochenbrüchen oder mit Brustkrebs verzeichnen die Ärztekammern die meisten Schadensfallmeldungen. "Es kommt zwar nicht häufig vor, dass Ärzte die Nerven ganz durchschneiden", sagte die Orthopädin Renée Fuhrmann bei der Präsentation der Daten. Dennoch seien Schäden an den Nerven die häufigste Ursache für Probleme nach einer Hüftgelenks-Operation. "Es können Gefühlsstörungen auftreten, aber auch motorische Lähmungen, eine Schwäche bei der Fußhebung etwa", sagte Fuhrmann. Zudem könne etwa eine falsche Positionierung dazu führen, dass die Prothese nicht stabil sitze.

Von den über 10.000 Anträgen entschieden die Schlichtungsstellen in Jahr 2008 über 7133 Fälle. Das Ziel: Die mit unabhängigen Juristen und Medizinern besetzten Kommissionen vermitteln zwischen den Ärzten und Patienten, um eine Einigung über einen Schadensersatz ohne Gerichtsverhandlung zu erzielen. Und sie entscheiden, ob die Vorwürfe der Patienten gerechtfertigt sind. 2008 etwa befanden die Gutachter nur bei einem Drittel der Fälle, dass ein Anspruch auf Schadensersatz bestand. In diesem Fall müssen die Haftpflichtversicherungen der Ärzte die anfallenden Kosten übernehmen.

"Wir gehen damit transparent um und haben keine Angst, mit den Fehlervorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen", sagte Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen. Er möchte Patienten nach eigenem Bekunden dazu ermutigen, zumindest ein Gutachten von den Ärztekammern einzuholen, ehe sie den kostspieligen Rechtsweg beschreiten.

Doch nicht alle Ärzte gehen so offen mit dem Thema um. Viele scheuen sich noch immer, einen möglicherweise folgenschweren Fehler zuzugeben. Wie hoch die Fehlerquote tatsächlich ist, kann nur geschätzt werden. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit geht davon aus, dass jährlich zwei bis vier Prozent der deutschen Klinikpatienten von Fehlern des medizinischen Personals betroffen sind - das entspricht einer Zahl von 340.000 bis 680.000 Menschen.

Um auf das Tabuthema Kunstfehler in ihrem Berufsstand aufmerksam zu machen, hatten sich im vergangenen Jahr 17 Ärzte und Pfleger in einer Broschüre des Aktionsbündnisses öffentlich zu Behandlungsfehlern bekannt , was für viel Wirbel sorgte.

Checklisten und anonyme Fehlermeldungen

Auch die Bundesärztekammer weist in ihrem Bericht darauf hin, dass die über 10.000 Anträge mit Vorwürfen gegen Mediziner nur rund ein Viertel aller bundesweit geschätzten Streitigkeiten zur Arzthaftung ausmachen. Viele klagen auch den Krankenkassen ihr Leid und bitten um Unterstützung. "8000 bis 10.000 Beschwerden gehen jedes Jahr bei der AOK ein", sagte Jörg Lauterberg, Beratungsarzt bei der Bundes-AOK, im vergangenen Jahr zu SPIEGEL ONLINE.

Wieder andere nehmen sich sofort einen Anwalt. Vorteilhaft ist das jedoch nicht unbedingt, denn eine Schlichtungsstelle begutachtet Vorwürfe für die Betroffenen kostenlos. "Unabhängig davon kann der Patient, wenn er mit der Entscheidung der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen nicht einverstanden ist, nach wie vor ein gerichtliches Verfahren einleiten", so Andreas Crusius.

Zusätzlich bemühen sich die Ärzte selbst zunehmend darum, Fehler zu vermeiden. Präventiv setzen einige deutsche Kliniken schon eine Checkliste der Weltgesundheitsorganisation WHO ein, die Operationen sicherer machen soll. Ein Pilotprojekt hatte ergeben, dass die Rate schwerwiegender Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen von 11 auf 7 Prozent fiel. Auch die Zahl der Todesfälle sank von 1,5 auf 0,8 Prozent.

Zudem können Chirurgen anonym Fehler melden, damit andere Ärzte davon erfahren und ähnliche Unfälle vermeiden können. Über das sogenannte Cirs (Critical Incident Reporting System) erhält die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie die Fehlerberichte und berät dann über systematische Verbesserungen.

Mit Material von dpa
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