Affentheater
Wissenschaftler erforschen die Kultur der Schimpansen
Zugegeben, Schimpansen lesen keine Bücher und gehen nicht ins Kino. Aber
ungebildet sind sie deshalb noch lange nicht. Im Gegenteil: Wie einige namhafte
Primatenforscher jetzt in der Wissenschaftszeitschrift "Nature"
verkündet haben, landen Schimpansen hinsichtlich der bei ihnen beobachteten
kulturellen Vielfalt auf Platz zwei gleich nach den Menschen.
Um die Verschiedenheit von Verhaltensweisen bei Menschenaffen zu
charakterisieren, verwenden Wissenschaftler schon seit längerem den bislang dem
Menschen vorbehaltenen Kultur-Begriff. Um diese Terminologie auf eine solidere
Basis zu stellen, wurden für die "Nature"-Studie die sieben bedeutendsten
Langzeitbeobachtungen von Schimpansen herangezogen, die insgesamt eine
Beobachtungszeit von 151 Jahren repräsentieren.
Andrew Whiten von der University of St. Andrews in Schottland und Christophe Boesch vom Leipziger
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie erstellten zunächst eine Liste mit komplexen Verhaltensweisen, die zur
Kennzeichnung verschiedener Schimpansenkulturen geeignet schienen. Diese Liste
wurde von Forschungskollegen ergänzt und umfaßte am Ende 65 Einträge. Dann
wurden die wissenschaftlichen Leiter der jeweiligen Langzeitstudien gebeten,
diese Verhaltensweisen hinsichtich ihrer Verbreitung in den von ihnen
beobachteten Schimpansengemeinschaften einzustufen. Sechs Kategorien standen zur
Auswahl, je nachdem ob das Verhalten üblich, verbreitet, vereinzelt vorhanden,
abwesend, abwesend aufgrund spezifischer ökologischer Bedingungen oder abwesend
aufgrund fehlender Beobachtungsmöglichkeiten war.
Am Ende blieben 39 Verhaltensweisen übrig, die bei manchen
Schimpansengemeinschaften gänzlich unbekannt, bei anderen aber üblich oder verbreitet waren.
Die Variationen betreffen insbesondere Unterschiede bei der
Brautwerbung, der gegenseitigen Körperpflege und beim Umgang mit Werkzeugen. So
benutzen manche Schimpansenhorden lange Gerten, um Ameisen einzusammeln, die sie
dann mit der freien Hand abstreifen und essen. In anderen Horden werden dafür
kurze Stöcke verwendet, mit denen kleinere Mengen von Ameisen wie mit einer
Gabel aufgesammelt und direkt in den Mund geführt werden. Parasiten, die bei der
Körperpflege entdeckt werden, werden mancherorts direkt mit dem Finger
zerdrückt, bei anderen Horden zwischen den Fingern zerquetscht oder auch
zunächst genauer untersucht.
Diese Vielfalt an Verhaltensweisen resultiert offensichtlich aus
unterschiedlichen kulturellen Traditionen, die durch komplexe Lernprozesse an
nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Sie übertrifft alle bisher von
Primatenforschern geäußerten Erwartungen.
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