Im Jahr 1514 schuf Albrecht Dürer seinen berühmten Kupferstich "Melencolia I". Die mathematische Symbolik darin, vor allem das rätselhafte Polyeder, beschäftigt Forscher bis heute. Fünf Erklärungsversuche für das Mysterium.
Vor genau 500 Jahren entstand "Melencolia I", eines der berühmtesten Werke von Albrecht Dürer (1471-1528). Der Kupferstich galt schon bald als Meisterwerk, nicht nur wegen seiner präzisen Ausführung und den feinen, ausbalancierten Schraffuren, sondern auch wegen seiner außergewöhnlichen Symbolik. Dürer war stolz auf sein Werk, druckte Abzüge einzeln auf das beste Papier, das er kriegen konnte, und verschenkte sie an Fürsten und Gönner als Ausweis seines Könnens.
Aber er war auch klug genug, sich mit Erklärungen strikt zurückzuhalten. Und so bleibt auch heute noch, nach 500 Jahren, in denen sich Experten wie Amateure an dem Bild aufgerieben haben, die Bedeutung des Meisterwerks im Dunkeln - und lädt uns zum Rätseln ein.
Dürers Druck zeigt einen melancholischen Engel, mit einem Zirkel in der Hand - aber symbolisiert der wirklich die Melancholie, so wie wir sie heute interpretieren, oder steht er für Wissen, für Wissenschaft oder für die Mathematik? Da sitzt die Kindergestalt Putto auf einem Wagenrad und schreibt, da sind ein Hund und eine Kugel. Man sieht Hammer, Hobel, Nägel, eine Leiter, eine Glocke und eine Waage an der Wand. Es gibt runde und eckige Objekte, und ein magisches Quadrat mit den Einträgen "15" und "14" in der untersten Zeile, die zusammen das Entstehungsjahr 1514 ergeben.
Albrecht Dürers Meisterwerk "Melencolia 1"
Foto: AP/ Herbert F. Johnson Museum of Art
Und dann ist da das mysteriöse Polyeder - das war damals außergewöhnlich, und ist es auch heute noch. Es hat die Geometer und die Kunsthistoriker irritiert und die Künstler inspiriert - so zuletzt den Berliner Digitalkünstler Jan Schneider, der ein Video für den Berlin-Münchner Sonderforschungsbereich "Diskretisierung" geschaffen hat.
Foto: AP/ Herbert F. Johnson Museum of Art
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Geometrie-Rätsel: Fünf Theorien fürs Dürer-Polyeder
Warum ein Polyeder, und warum dieses Polyeder? Wir wissen, dass Dürer von Polyedern fasziniert war, besonders von den Platonischen und den Archimedischen Körpern. Deren Seitenflächen bestehen ausschließlich aus regelmäßigen Polygonen. Doch das Polyeder in "Melencolia I" ist weder platonisch noch archimedisch. Denn offensichtlich sind die sechs Fünfecke des Körpers unregelmäßig.
Wie entsteht solch ein Körper? Hier eine einfache Beschreibung: Man nehme einen Würfel, balanciere ihn auf einer Ecke, ziehe ihn vertikal noch etwas in die Länge, schneide dann die untere wie die obere Ecke ab - fertig ist das Dürer-Polyeder!
Aber warum dieses Polyeder? Warum genau diese Form? Dürer erklärt uns das nicht, aber er gibt ein paar versteckte Hinweise. Aus den vielen Theorien, die darüber bisher aufgestellt worden sind, möchte ich hier fünf skizzieren, die besonders interessant und bemerkenswert sind.
Andererseits könnten Sie aber auch darüber nachdenken, ob es denn für jedes beliebige Polyeder einen solchen Ausfaltplan gibt. Das ist ein bislang ungelöstes Problem, das Mathematiker beschäftigt, seit Dürer 1525 in seiner"Underweysung" Ausfaltpläne für Polyeder präsentiert hat.
5 BilderGeometrie-Rätsel: Fünf Theorien fürs Dürer-Polyeder
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"Melencolia 1" von Albrecht Dürer: Der Kupferstich aus dem Jahr 1514 beschäftigt Kunsthistoriker und Forscher bis heute. Dürers Druck zeigt einen melancholischen Engel und verschiedene mathematische Symbole, etwa ein magisches Quadrat und ein besonders rätselhaftes Polyder. Für den unregelmäßig geformten Körper existieren verschiedene Interpretationen.
Foto: AP/ Herbert F. Johnson Museum of Art
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Abbilddung aus "Atlas der Krystallformen" (1913): Das Bild von "Kalzit" gleicht dem Dürer-Polyeder auf verblüffende Weise.
Foto: FU Bibliothek Berlin
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Dürer-Skizze: Die Ecken des rätselhaften Polyeders könnten sämtlich auf einer Kugeloberfläche liegen - eine weitere Erklärung für den Körper.
Foto: Stadtbibliothek Nürnberg
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Zeichung von Dürer: Eine weitere Theorie besagt, dass hinter dem Polyeder eine näherungsweise Konstruktion der dritten Wurzel aus 2 steht. Diese benötigt man, um das Problem der Würfelverdopplung zu lösen.
Foto: SLUB
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Freimauer-Symbolik: Ernst Theodor Mayer, ein pensionierter Psychiater aus München, hat darauf hingewiesen, dass die beiden Dreiecke des Polyeders nach unten projiziert einen Davidsstern ergeben. Die Ecken des Polyeders seitlich projiziert wiederum passen genau in das 4x4-Gitter des magischen Quadrats.