Am Nanga Parbat Mammut-Staudamm bedroht buddhistischen Bilderschatz

Am Oberen Indus in Pakistan werden 35.000 Felsbilder in einem Stausee versinken - mit den Darstellungen prähistorischer Giganten, von Fabeltieren, Kriegern und Kunstwerken aus buddhistischer Blütezeit. Ein Forscher aus Heidelberg versucht zu retten, was zu retten ist.
Von Joachim Hoelzgen

Auf den ersten Blick ist schwer zu unterscheiden, ob nahe des mächtigen, 8126 Meter hohen Nanga Parbats am Fortbestand der Welt oder an deren Untergang gebastelt wird.

Drunten am Indus, bei einer Bauernsiedlung namens Basha, haben Arbeiter Landeplätze für Hubschrauber angelegt. Sie haben eine Material-Seilbahn über den Strom eingerichtet, während Techniker am nördlichen Ufer Löcher in den Fels bohren, um Hohlräume in der Tiefe aufzuspüren. Auch seismische Untersuchungen werden gemacht, denn Erdbeben gibt es am Indus nicht zu knapp.

In einer bedrückend engen und steilen Schlucht soll hier ein Staudamm der Superlative entstehen, hoch wie ein Wolkenkratzer und standfest gemacht durch sein schieres Gewicht. Die Turbinen des zukünftigen Kraftwerks sollen 4400 Megawatt Strom erzeugen, die Leistung von vier Atomkraftwerken. Hinter der Staumauer wird ein Stausee im Namen des Fortschritts 32 Dörfer überfluten und bis zu 100.000 Menschen zur Evakuierung zwingen.

Entlang des Indus wird der Stausee aber auch die Zeugen ganzer Zivilisationen und alter Kulturen unter sich begraben – vor allem steinerne Botschaften und Bilder aus buddhistischer Zeit, deren Verlust durchaus jenem der berühmten Buddha-Statuen von Bamian entspricht, die im März des Schicksalsjahrs 2001 von Taliban-Truppen in Zentralafghanistan gesprengt wurden.

Heimat der "goldschürfenden Ameisen"

Der Indus, der "Vater aller Ströme", entspringt am Kailasch, dem heiligen Berg der Tibeter. Bis zu seiner Mündung am Arabischen Meer legt er 3180 Kilometer zurück und ist damit der längste Fluss Südasiens. Bei Basha kommt er aus den Nordgebieten Pakistans, den sogenannten Northern Areas, und dem dortigen Distrikt Diamir. Bergsteigern ist der Name ein Begriff, weil ganz in der Nähe die Diamirflanke emporragt, die abschreckende Westwand des Kolosses Nanga Parbat.

Am Fuß des Massivs zwängt sich der Indus durch braunrote Schluchten, die bald wieder heiß wie Backöfen sein werden. Auf einer Geröllterrasse am südlichen Ufer des Flusses befindet sich Chilas, der Verwaltungsort von Diamir. Die Bewohner von Chilas trotzen der harten Krume dank eines Gebirgsbachs viel ab: Weizen, Mais, Gurken, Tomaten, Hülsenfrüchte, Paprika und Chilischoten.

Die Menschen von Chilas gehören dem alten Volk der Darden an, von dem der griechische Geschichtsschreiber Herodot behauptete, es züchte "goldschürfende Ameisen".

Gold gibt es in der wilden Welt tatsächlich. Aber es sind in Wirklichkeit stolze und wagemutige Darden, die auf Schlauchbooten und einfachen Flößen hier über den Indus setzen. An seinen Bänken wühlen sie in goldhaltigem Sand, den der Strom hier abgelagert hat.

Mit Hämmern und Meißeln

Historische Anekdoten wie jene von den Ameisen Herodots erzählt der deutsche Archäologe Harald Hauptmann gern, dem Chilas, die Schluchten des Indus und dessen Seitentäler eine zweite Heimat sind. Für die Heidelberger Akademie der Wissenschaften forscht er in der schattenlosen Welt nach Felsbildern und Felsinschriften, die manchmal wie frühe Vorläufer der modernen Massenkommunikation erscheinen und bis an das Ende der Eiszeit vor 11.000 Jahren zurückreichen.

Kriegsszenen sind hier von Künstlern ins Gestein geritzt worden, Fabeltiere, Schamanen und gesattelte, aber reiterlose Pferde. Über schwindelerregende Pässe kamen Fremde aus allen Himmelsrichtungen hierher, aus den Steppen Zentralasiens, aus China und dem ehemaligen Königreich Ladakh. Sie erholten sich am Indus von den Strapazen des Reisens, warteten auf die gefahrvolle Überquerung des Flusses und legten dabei Zeichen und Symbole aus ihrer jeweiligen Heimat und Epoche an.

Mit Hämmern und Meißeln bildeten sie buddhistische Reliquienschreine ab, vor denen Pilger Räucherschalen entzünden. Bildunterschriften erläutern die Motive und nennen die Namen der Auftraggeber. Weiheformeln kommen auf den Felsen vor, Botschaften in chinesischer Kanzleischrift, Bekundungen von Königen und hohen Gesandten und allein 700 Mitteilungen von Händlern aus Samarkand, aufgetragen auf Findlingen und Felsrippen aus gewachsenem Granit und Blöcken aus Gneis.

Im scharfen Licht des Hochgebirges hat Hauptmann 35.000 der Felsbilder und 3000 Inschriften am Oberlauf des Indus abgeschritten, und jedes Jahr, so lautet sein jüngster Zählstand, werden weitere 2000 bis 3000 der alten Gravuren neu entdeckt. Daheim in Deutschland, in einem Kutschenhaus in Sichtweite zum Heidelberger Schloss, wird das immense Material fein säuberlich geordnet und aufgelistet.

Einzige Straße nach China

Heidelberg hatte stets eine enge Beziehung zu dem fernen Pakistan. Am Neckar gibt es sogar eine Straße namens Iqbal-Ufer, benannt nach dem pakistanischen Dichter Mohammed Iqbal. Und die ersten Steinbilder am Indus entdeckte der Heidelberger Völkerkundler Karl Jettmar, nachdem die raue Region dank einer kühnen Straße, und zwar des Karakorum Highways, mit dem Rest der Welt verbunden worden war.

Der Karakorum Highway ist die einzige Straße, die Pakistan mit China verbindet. Sie beginnt nördlich von Islamabad und endet in Kaschgar im westlichen Teil der chinesischen Provinz Xinjang. Auf dem 4693 Meter hohen Khunjerab-Pass bildet der Karakorum Highway den höchsten asphaltierten Grenzübergang der Welt.

Hauptmann kommt seit 1989 nach Chilas. In seinem Haus nicht weit vom Basar gab es damals weder Wasser aus dem Hahn noch Strom und damit trotz der Bruthitze im Sommer weder einen Ventilator oder einen Kühlschrank, in dieser Welt ein Luxusgut.

Das hat sich geändert, und über den Schlafstellen in dem Gebäude hängen mittlerweile auch Moskitonetze. Der Strom – man ist schließlich in Pakistan – fällt aber doch immer mal aus. Wenig umweltfreundlich versorgt eine Schwerölturbine Chilas mit Elektrizität und daneben ein kleines Wasserkraftwerk, das aber nur selten in Betrieb ist.

Nun aber will man auch am Oberlauf des Indus zur Moderne aufschließen. Alles soll anders werden, neuzeitlich - und gigantisch wie die Szenerie ringsum. Ganz Pakistan soll davon profitieren. Das hat kein Geringerer als der smarte Staatschef Pervez Musharraf angeordnet, mit seinen Plänen der Widerpart des Archäologen Hauptmann in Chilas.

Lesen Sie morgen den 2. Teil: Totalverlust für das Erbe der Menschheitsgeschichte am Indus

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten