Anatomie Die kleinste Angst des Mannes

Fast die Hälfte aller Männer ist unzufrieden mit der Größe des eigenen Geschlechtsteils. Eine Überblicksstudie zeigt: Die Angst des Mannes vor dem prüfenden Blick der anderen ist in aller Regel unbegründet - führt aber zu den absonderlichsten Anstrengungen zur Selbst-Vergrößerung.

Es ist ein Thema, über das viel gewitzelt aber selten ernsthaft gesprochen wird. Und doch, berichten die britischen Urologen Kevan Wylie und Ian Eardley, besteht eine Menge Gesprächsbedarf. Denn für viele Männer ist die Größe ihres eigenen Geschlechtsteils ein ernstes, ein quälendes Problem - obwohl es dazu nüchtern betrachtet gar keinen Anlass gibt. "Solche Sorgen können völlig grundlos sein und in Wirklichkeit andere klinische Probleme widerspiegeln", schreiben die Mediziner im "British Journal of Urology" (Bd. 99, S. 1449).

Die beiden haben eine Vielzahl internationaler Studien zum Thema aus den vergangenen Jahrzehnten zusammengefasst, um das "small penis syndrome" besser zu verstehen - die Angst des Mannes vor einem zu kleinen Geschlechtsteil. "Wenn diese Sorge ausartet", so Wylie und Eardley, "zeigt sie sich als obsessive Beschäftigung mit zwanghaften Prüf-Ritualen, verzerrter Körperwahrnehmung oder sogar als Teil einer Psychose". Die beiden ziehen eine lose Parallele zum verzerrten Körperbild von Essgestörten.

Über fünfzig Fachartikel haben die Mediziner für ihren Überblick ausgewertet - und dabei beispielsweise ein paar Fakten in ziemlich letztgültiger Weise ermittelt, die dem einen oder anderen Penisgrößen-Phobiker eine Beruhigung sein könnten. In Studien mit insgesamt über 11.000 Beteiligten - ausgewertet wurden nur solche, in denen tatsächlich vermessen und nicht nur nach der Größe gefragt wurde - wurde beispielsweise ermittelt: Das durchschnittliche männliche Geschlechtsteil ist im erigierten Zustand zwischen 14 und 16 Zentimeter lang und hat einen Umfang von 12 bis 13 Zentimetern. Von einem "Mikropenis" sprechen die Forscher nur dann, wenn selbst der langgezogene schlaffe Penis nicht mehr als sieben Zentimeter Länge erreicht.

Fast die Hälfte der Männer ist unzufrieden

Die meisten der Männer, so Wylie und Eardley, die an einem "small penis syndrome" (SPS) leiden, haben aber gar keinen "Mikropenis". Und die Angst vor dem verächtlichen Blick der Partnerin ist in den meisten Fällen ebenfalls unbegründet - einer der zitierten Studien zufolge waren 85 Prozent der befragten Frauen zufrieden mit dem Geschlechtsteil ihres Mannes - aber nur 55 Prozent der Männer mit dem eigenen.

Mit anderen Worten: Fast die Hälfte der befragten Männer - an der Studie nahmen über 50.000 Menschen beiderlei Geschlechts teil - wünschen sich ein größeres Gemächt. Ein kleineres wollten nur 0,2 Prozent. Zwölf Prozent der Befragten Männer fanden ihren eigenen Penis "klein", 66 Prozent "durchschnittlich" und 22 Prozent "groß".

Ärzte lästern über das "Umkleidekabinen-Syndrom", Ureinwohner ließen sich von Giftschlangen beißen - und durch das Internet könnte die Wahrnehmungsstörung noch weiter um sich greifen.

Die Sorge, nicht ausreichend ausgestattet zu sein, beginnt meist schon in Kindheit oder Jugend - das SPS hat unter Medizinern deshalb auch den Spitznamen "Umkleidekabinen-Syndrom". Der Vergleich mit anderen, seien es ältere Kinder oder der eigene Vater, führte oft dazu, dass Mann den eigenen Penis für zu klein halte. In einer Studie aus dem Jahr 2005 gaben 37 Prozent der Befragten auch an, ihre Probleme hätten im Jugendalter begonnen, nachdem sie sich erotische Bilder angesehen hatten. Durch die zunehmende Verfügbarkeit von Pornographie über das Internet könnte dieses Problem künftig also noch zunehmen.

Vergrößerung durch giftigen Schlangenbiss

Wie ernst die Sorge für viele Männer ist, zeigt auch die Vielzahl und Art der Methoden, die angewendet werden, um dem vermeintlich zu kleinen Geschlechtsteil zu mehr Größe zu verhelfen. Sadhus in Indien beschweren ihren Penis mit Gewichten, um ihn zu strecken. Dayak-Männer auf Borneo durchstechen ihre Eichel, um vermeintlich erregungsfördernde Objekte daran zu befestigen. Die Männer des Topinama-Stammes in Brasilien brachten bis ins 16. Jahrhundert hinein giftige Schlangen dazu, in ihre Penisse zu beißen. Das verursachte etwa sechs Monate lang andauernde Schmerzen, soll aber auch zu einer merklichen Vergrößerung des Geschlechtsteils geführt haben.

Die Vergrößerungs-Maßnahmen der Gegenwart sind meist weniger drastisch - die meisten funktionieren auch gar nicht. Penis-Verlängerungs-Pillen, wie sie täglich millionenfach in Spam-Mails feilgeboten werden, haben schlicht keinen Effekt. Für Vakuum-Pumpen gilt Ähnliches: "Belege für ihre Wirksamkeit sind sehr begrenzt", schreiben Wylyie und Eardley - manche Anwender bezögen aber zumindest positive psychische Effekte aus ihrer Anwendung.

Strecken mit Penis-Expander?

Verschiedene Anbieter vertreiben sogenannte Penis-Extender, die das Geschlechtsteil jeden Tag mehrere Stunden lang strecken sollen. Sie können einigen wenigen Studien zufolge eine gewisse streckende Wirkung haben - wenn sie monatelang täglich stundenlang getragen werden. Keine dieser Publikationen ist aber bislang in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift erschienen, sie sind also mit größter Vorsicht zu genießen. Mediziner warnen nicht zuletzt vor möglichen Gewebeschäden durch solche Prozeduren.

Insgesamt raten die Autoren eher zu "konservativen Therapieansätzen, die auf Information, Selbstaufmerksamkeit und strukturierte Kurzzeit-Psychotherapie aufbauen". Operative Eingriffe dagegen seien nur in den seltensten Fällen sinnvoll. Sie sind oft risikoreich, und Langzeitstudien über die dauerhafte Zufriedenheit operierter Männer fehlen bislang ganz.

Für die meisten unzufriedenen Männer dürfte ohnehin ein Artikel  relevant sein, mit dem es die renommierte US-amerikanische Mayo Clinic in der Google-Trefferliste für den Suchbegriff "penis enlargement" fast ganz nach oben geschafft hat. "Falls sie zur überwiegenden Mehrheit der Männer gehören, die sich fragen, ob die Größe ihres Penis normal ist", heißt es da, "die Antwort ist: Ja".

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