Wolfsbiss oder Hundebiss? Genanalysen sollen Klarheit schaffen

Ein Wolf im Wildpark Eekholt (Archivbild)
Foto: Carsten Rehder/ dpa
Ein Wolf im Wildpark Eekholt (Archivbild)
Foto: Carsten Rehder/ dpaWie sehr die umgebende Natur das Leben in Steinfeld prägt, kann man an den Namen der Straßen dort ablesen. Sie heißen "Am Walde", "Im Hohen Moor" oder "Unter den Eichen". Die Naturschutzgebiete Schwarzes Moor und Hemelsmoor grenzen an das niedersächsische Örtchen, das zur Gemeinde Bülstedt im Landkreis Rotenburg (Wümme) gehört.
Doch wenn stimmt, was seit Dienstagmorgen dieser Woche als Verdacht im Raum steht, dann ist der Kontakt zur Natur zumindest in einem Fall vielleicht zu eng gewesen: Ein 55-jähriger Gemeindearbeiter hat angegeben, am Friedhofszaun von Steinfeld von einem Wolf in die Hand gebissen worden zu sein. Weitere Tiere hätten aus der Entfernung zugesehen.
Es wäre der erste dokumentierte Angriff eines Wolfes auf einen Menschen seit der Rückkehr der Tierart nach Deutschland. (Die wichtigsten Fakten zum Thema finden Sie hier.)
Wenn es denn tatsächlich ein Wolf war - und nicht womöglich doch ein Hund.
Wie aber lässt sich das klären? Wichtige Hinweise sollen Proben liefern, die zwei Mitarbeiterinnen des Wolfsbüros Niedersachsen am Mittwoch in Steinfeld genommen haben. Die Biologinnen hätten vor Ort Tierhaare gefunden, hieß es. Ebenfalls untersucht werden sollen der Pullover des Gemeindearbeiters und ein Hammer, mit dem er sich gegen den Angriff gewehrt haben soll.
"Die Proben sollen jetzt einer DNA-Analyse unterzogen und als Eilprobe beauftragt werden. Erste Ergebnisse werden nächste Woche erwartet", teilte das Niedersächsische Umweltministerium per Pressemitteilung mit. Verantwortlich für die Untersuchungen ist ein Labor des Senckenberg Instituts im hessischen Gelnhausen. Dorthin werden die Proben per Kurier gebracht.
Senckenberg ist seit 2009 Referenzzentrum für Wolfsgenetik in Deutschland. Dort werden jedes Jahr etwa 2000 mutmaßliche Wolfsproben untersucht. Der Preis, der den Auftraggebern in Rechnung gestellt wird, variiert zwischen 37,50 Euro (bei 50 oder mehr invasiv entnommenen Gewebe- und Blutproben in einem Paket) und 300 Euro (eine Eilprobe, nicht invasiv entnommen, also mit deutlich geringerem DNA-Gehalt).
Auch für das Wolfsbüro Niedersachsen ist das Verfahren nichts Neues. Nach jedem vermuteten Wolfsangriff auf Nutztiere wird nach verwertbarem Probenmaterial gesucht. Allein in dem Bundesland waren seit Jahresanfang bereits knapp 240 solcher Verdachtsfälle zu untersuchen. Lässt sich etwas finden, wird das Material nach Hessen geschickt. Zurück gibt es dann Ergebnis - und Rechnung.
Verfahren wie bei Vaterschaftstest
Bei den Erbgutuntersuchungen konzentrieren sich die Forscher auf sogenannte Mikrosatelliten oder short tandem repeats, kurz STR. Das sind kurze Abschnitte der DNA, die sich mehrfach direkt hintereinander wiederholen. Sie liegen in den großen Bereichen des Erbguts, in denen keine für die Herstellung von Proteinen wichtigen Informationen gespeichert sind. Wichtig für die Analyse ist die jeweilige Zahl der Wiederholungen, die sich von Individuum zu Individuum stark unterscheidet.
Die Methode kommt übrigens auch beim Menschen zum Einsatz - bei Vaterschaftstests.
Die Senckenberg-Forscher können, wenn sie genug Probenmaterial zur Verfügung haben, übrigens nicht nur bestimmen, ob es sich um einen Wolf handelte oder nicht - sondern im Idealfall auch sagen, welches Individuum aus welchem Rudel den Angriff geführt hat. Das Problem: Nichtinvasive Proben enthalten oft nur wenig DNA-Material, daher müssen die Laboranalysen mehrfach repliziert werden.
Nicht immer lassen sich Ergebnisse finden
Die Genetiker können auch Wölfe von Hunden unterscheiden. "Über einen sogenannten SNP-Chip werden zahlreiche über das komplette Genom verteilte Punktmutationen untersucht, an denen sich Wölfe unabhängig ihrer geografischen Herkunft sicher von Haushunden unterscheiden lassen", sagt Senckenberg-Pressesprecherin Judith Jördens.
Nicht immer führt die Untersuchung dann aber zu einem Ergebnis. Bei angeblich von Wölfen getöteten Nutztieren klappt das nur etwa in jedem zweiten Fall. "DNA-basierte Rissuntersuchungen basieren auf Speichelresten am Tierkadaver, die durch Regen, Sonne und Nachnutzer schnell zersetzt werden", sagt Jördens. Der Analyseerfolg hänge vor allem von einer zeitnah durchgeführten, professionellen Beprobung ab.
Ob im Fall des Gemeindearbeiters von Steinfeld verwertbares Probenmaterial vorliegt, muss sich zeigen. Der Mann hatte die Wunde nach dem Angriff von einem Arzt versorgen lassen. Hier sind also keine Spuren mehr zu erwarten. Und ob am Pullover tatsächlich etwas zu finden sein wird, ist unklar. Der Mann soll das Kleidungsstück während der Arbeit am Arm hochgeschoben haben.
Bleiben der Hammer und die gefundenen Haare. Und die wiederum könnten auch von anderen Tieren stammen, heißt es. Etwa von einem Fuchs. Kompliziert wird es auch, wenn mehrere Tierarten mit einer Probe in Kontaktgekommen sind - zum Beispiel, wenn Fuchs oder Hund sich mit herumliegenden Wolfskot befasst haben.
"Sollte sich durch die entnommenen DNA-Proben bestätigen, was derzeit nicht erwiesen ist, dass es sich bei dem Biss tatsächlich um einen Wolfsbiss handelt", so das niedersächsische Umweltministerium, "muss das Tier im Rahmen einer Maßnahme zur Gefahrenabwehr so schnell wie möglich getötet werden."
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