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Jungen-Erziehungsheim in Florida Vergewaltigt, verprügelt, verscharrt

Es ist ein Ort wie aus einem Horrorfilm: Von 1900 bis 2011 wurden Teenager in der Florida School for Boys systematisch geprügelt, gefoltert und vergewaltigt, in manchen Fällen offenbar bis zum Tod. Angehörige und Archäologen versuchen, die Schicksale der Opfer zu rekonstruieren.

Marianna - Was die ehemaligen Insassen des Jungen-Erziehungsheims "Florida School for Boys" über ihre Erlebnisse schreiben, ist so schrecklich, dass es sich kaum ertragen lässt. Viele von ihnen haben in den vergangenen Jahren ihre Geschichten öffentlich gemacht . Sie nennen sich heute die White House Boys - nach dem weißen Betongebäude, in dem die Misshandlungen stattfanden.

Auf dem Gelände der Schule, die zeitweise auch Arthur G. Dozier School for Boys (AGDS) hieß, haben Archäologen jetzt viel mehr Gräber gefunden, als es dort eigentlich geben sollte. Sie sind Zeugnis für die brutalen Erziehungsmethoden, bei denen die Aufseher offensichtlich sogar den Tod der Jungen in Kauf nahmen.

Auf ihrer Webseite suchen die White House Boys nach weiteren Zeugen, die helfen können, die schrecklichen Taten aufzudecken. Einer, der sucht, ist Jeffrey Sampson.

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Horror-Schule: Das Grauen in der Florida School for Boys

Foto: Katy Hennig/ University of South Florida

Im Herbst 1965 kam Jeffreys Bruder Gregory nach nur wenigen Monaten in der Florida School for Boys kurz wieder nach Hause. Doch was er in der Schule - die eher einer Strafanstalt glich - erlitten hatte, konnte er nicht mehr erzählen. Denn Gregory, der zuvor ein gesunder Junge gewesen war, saß nun im Rollstuhl, war auf einem Auge blind, konnte nicht mehr sprechen und kaum noch die Arme bewegen. Er starb, ohne seine Geschichte zu hinterlassen - die sein Bruder ihm nun mit Hilfe von Zeugen zurückgeben will.

Fast doppelt so viele Gräber wie vermutet

Ein Team um Erin Kimmerle von der University of South Florida hilft mit archäologischen Methoden, den Horror ans Licht zu bringen: Sie suchen auf dem Gelände nach Gräbern. Die Florida School of Boys hatte über die Insassen und deren Verbleib alles andere als gewissenhaft Buch geführt. Bei vielen Todesfällen wurde die Ursache schlicht als "unbekannt" vermerkt. Bei der Durchsicht der Akten fand man nach Schließung der Schule Hinweise auf 31 Gräber, die auf dem Gelände liegen sollten. Doch allein in den vergangenen Monaten entdeckte Kimmerle bereits 55 Gräber - und die Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen.

Von ordentlichen Begräbnissen kann nicht immer die Rede sein. Griffe und Haken, die auf Särge hinwiesen, fanden die Archäologen nur in einigen Gräbern. In anderen entdeckten sie etwa Flaschen mit Einbalsamierungsflüssigkeit, die jemand offenbar achtlos hineingeworfen hatte. "Einige der Jungen wurden planlos in unterschiedlichen Tiefen verscharrt", erklärt Lara Wade-Martinez, Pressesprecherin der University of South Florida. "Das Team fand sterbliche Überreste unter einer Straße, unter einem Baum oder verstreut im umliegenden Waldgebiet."

Ein Teil des offiziellen Begräbnisplatzes nutzten die Betreiber der Schule offenbar später als Müllkippe, die Ausgräber fanden dort Abfälle aus den vergangenen Jahren der Anstalt. Der wohl bewegendste Fund war eine Murmel: "Jemand hatte sie einem der toten Jungen als Grabbeigabe in die Hosentasche gesteckt", sagt Wade-Martinez.

Das Grauen war kein Geheimnis

Mit Bodenradar und Leichenspürhunden, die auf alte Knochen trainiert sind, will Forensikerin Kimmerle nach weiteren Gräbern suchen. Proben der Knochen und Zähne werden für DNA-Analysen an das Health Science Center der University of North Texas geschickt. Elf Familien, die Angehörige in der Florida School for Boys verloren haben, haben sich bereits gemeldet. Am Ende soll jedes Kind eine eigene Akte bekommen, in der alles notiert ist, was die Knochen erzählen: Spuren der Quälereien zu Lebzeiten und die Umstände des Todes.

Dass die Kinder in der Schule die Hölle auf Erden erlebten, war nie ein Geheimnis. Als der Gouverneur von Florida der Schule 1968 einen Besuch abstattete, war er schockiert von den Zuständen in der überfüllten Anstalt. 564 Jungs saßen damals ein. Manche hatten sich nicht mehr zu schulden kommen lassen, als die Schule zu schwänzen.

In jenen Jahren hatte der Schrecken der Anstalt einen Namen: Troy Tidwell. Der einarmige Aufseher war nach Angaben vieler seiner Opfer der brutalste von allen. Sein Instrument war ein langer Gürtel, verstärkt mit Metall. Damit schlug er die Kinder - manchmal, bis sie ohnmächtig wurden. Erlahmte sein Arm, befahl er anderen Aufsehern, weiterzuschlagen. Weinte ein Junge, wurde die Strafe erhöht.

Der Staat organisierte die Schule schließlich um, doch der Horror blieb. 1982 ergab eine erneute Untersuchung, dass die Zustände sich kaum gebessert hatten, obwohl die Florida School for Boys jetzt nur noch 150 Insassen hatte. Noch 2010, im Jahr vor der endgültigen Schließung, gab mehr als jeder zehnte Junge an, in den zurückliegenden zwölf Monaten von Angestellten der Schule unter Gewaltanwendung sexuell missbraucht worden zu sein. Keiner der Täter wurde jemals zur Rechenschaft gezogen.

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