Ausgegraben - Neues aus der Archäologie Tod den Kindheitsgefährten

Wer im bronzezeitlichen Krasnosamarskoe vom Jungen zum Krieger werden wollte, musste seinen Hund töten. Archäologen fanden Spuren des grausigen Rituals an der Wolga und in indischen Gebeten. Außerdem im archäologischen Wochenrückblick: manipulierte Orakel, umfunktionierte Tempel und Farbenrätsel.
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Grausames Ritual: Hundeopfer um Krieger zu werden

Foto: Dorcas Brown

Einen toten Hund finden Archäologen öfter mal. Einige lebten als Haustiere bei den Menschen und bekamen am Ende ihres treuen Daseins eine eigene Grabstätte - andere endeten als Mahlzeit in den Schüsseln und ihre Knochen auf Abfallhaufen. Doch auf die Knochen von mindestens 51 Hunden und sieben Wölfen in der bronzezeitlichen Siedlung Krasnosamarskoe in der russischen Wolga-Region konnten die Ausgräber sich zunächst keinen Reim machen.

Jemand hatte sie zunächst gehäutet, zerlegt, verbrannt und dann die Reste mit der Axt in kleine Stücke zerteilt. Doch das nicht etwa wahllos, sondern immer nach dem gleichen Muster: die Schnauze war in drei Teile gehackt und der Schädel in kleine geometrische Stücke von etwa zweieinhalb Zentimetern Durchmesser. Am Wachstumsmuster der Zähne konnten die Archäologen vom Hartwick College in Oneonta im US-Bundesstaat New York ablesen, dass dieses blutige Ritual immer im Winter stattgefunden haben muss.

Archäologisch konnten die Forscher den Hintergrund dieser Riten nicht erklären. Also suchten sie in den frühen Mythen und Geschichten Eurasiens. Einen Hinweis fanden sie schließlich in indischen Gebeten, in denen beschrieben ist, wie Jungen zu Kriegern gemacht werden. Zu dem Ritual am Ende ihrer Ausbildung gehört, dass die jungen Krieger einen Mantel aus Hundefell anziehen, wenn sie das Elternhaus verlassen und sich den Kriegern anschließen. Die Hunde von Krasnosamarskoe waren alle zwischen sieben und zwölf Jahren alt, als sie starben. Die Ausgräber spekulieren, dass es die Hunde der Jungen gewesen sein könnten, mit denen sie von Geburt an aufgewachsen waren. Um zu einem Krieger zu werden, vermuten sie, mussten die Kinder die eigenen Hunde - ihre treuen Kindheitsgefährten - töten.

+++ Der Kaiser schummelte beim Orakel +++

Der Kaiser schummelte beim Orakel

Orakelknochen: "Entstehung der Muster kontrollierbar"

Orakelknochen: "Entstehung der Muster kontrollierbar"

Foto: AP/ Chongyuan Art Auction House

Die Chinesen haben geschummelt. Zumindest, wenn es um Prophezeiungen geht. Zu diesem Schluss kamen Wissenschaftler um den Archäologen Hou Yanfeng von der Verwaltung der Kulturgüter in der Provinz Henan. Während der Shang Dynastie (ca. 1600 bis 1046 v. Chr.) hatten Prophezeiungen am Kaiserhof eine große Bedeutung und wurden oft zur Entscheidungsfindung herangezogen. Aus dieser Zeit stammen die ersten erhaltenen chinesischen Schriftdokumente - es sind Texte auf Orakelknochen.

Bei einer Methode, die Zukunft vorherzusagen, wurden Rinderknochen oder Schildkrötenpanzer verbrannt und die dabei entstandenen Risse interpretiert. "Wir haben aus Experimenten gelernt, dass die Entstehung bestimmter Rissmuster kontrollierbar ist", sagte Yanfeng am Montag der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. "Während der Shang Dynastie stand der Kaiser den Wahrsagern vor. So konnte er die öffentliche Meinung mit Hilfe des Knochenorakels kontrollieren." Die Forscher untersuchten 185 Fragmente von Knochen und Panzern auf Manipulationen und bekamen so Einblicke in die Tricks und Kniffe der Wahrsager.

+++ Das Bakterium allen Übels +++

Das Bakterium allen Übels

Kontrastverschärfte Aufnahme: Yersinia pestis DNA an den Skeletten nachgewiesen

Kontrastverschärfte Aufnahme: Yersinia pestis DNA an den Skeletten nachgewiesen

Foto: Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege/ H.P. Volpert

Wie viele Menschen die Justinianische Pest tatsächlich dahinraffte, weiß man nicht. Zur schlimmsten Zeit soll es allein in Konstantinopel bis zu 5000 Opfer gegeben haben - pro Tag. Am Ende waren rund 40 Prozent der Bevölkerung der Stadt tot, im gesamten Mittelmeerraum waren es etwa ein Viertel aller Bewohner. Selbst den Kaiser, nach dem der Ausbruch benannt wurde, hatte es erwischt - doch er überlebte.

Wer war Schuld an der Pandemie? Über diese Frage streiten sich seit einiger Zeit die Wissenschaftler. Wurde die große Pest der Spätantike von dem Bakterium Yersinia pestis ausgelöst? Das war nachweislich der Schuldige für die zweite große Pandemie des 14. bis 17. Jahrhunderts sowie den dritten und bislang letzten weltweiten Ausbruch der Pest im 19. und 20. Jahrhundert.

Vor zwei Jahren hatten Tübinger Forscher ausgerechnet, dass der gemeinsame Vorfahre aller Pesterreger frühestens um das Jahr 1282 entstanden sein könnte - und damit zur Zeit der Justinianischen Pest noch gar nicht existierte. Doch jetzt haben Wissenschaftler um Michaela Harbeck vom Archeobiocenter der Ludwig Maximilians Universität München nachweisen können, dass zu Zeiten des Kaisers Justinian in der Tat Yersinia pestis schon sein Unwesen trieb. In einer internationalen Studie analysierten die Forscher ancient DNA aus Gräbern des 6. Jahrhunderts von dem frühmittelalterlichen Friedhof im bayerischen Aschheim in zwei unabhängigen Laboren. Wie sie in dem Open Access Journal "PLOS Pathogens" berichten , konnten sie eindeutig Yersinia pestis DNA an den Skeletten nachweisen.

Hinweis: Die Forscher um Johannes Krause von der Universität Tübingen kamen abweichend von ihrer Veröffentlichung im Jahr 2011 bereits im November vergangenen Jahr ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Justinianischen Pest auch um die Beulenpest handelte und veröffentlichten dies am 29. November 2012 im Fachblatt PLOS ONE online .

+++ Minoer waren Europäer +++

Minoer waren Europäer

Ägyptische Tempel? Falsch - die Minoer waren waschechte Europäer

Ägyptische Tempel? Falsch - die Minoer waren waschechte Europäer

Foto: Corbis

Während in Ägypten die Pharaonen der ersten vier Dynastien regierten, blühte auch in Europa die erste Hochkultur. Von der Insel Kreta aus beherrschten die Minoer das Mittelmeer. Doch wer war dieses Seefahrervolk? Der erste Ausgräber der minoischen Paläste auf Kreta, Sir Arthur Evans, hielt sie für Ägypter. So ähnlich seien ihre Bauwerke den Tempeln der Pharaonen, dass sie nur von dort hergekommen sein könnten, meinte der Gelehrte.

Doch nun hat eine neue Studie gezeigt, dass die Minor nicht aus Ägypten kamen - sondern waschechte Europäer waren. Dafür verglich eine Gruppe von Forschern um George Stamatoyannopoulos von der amerikanischen University of Washington die mitochondriale DNA von 4000 Jahre alten Minoern aus einer Höhle auf dem Lassithi Plateau mit der von zeitgleichen und von modernen Europäern. In der Zeitschrift "Nature Communications" publizierten sie ihr Ergebnis: Das Erbgut der Minoer ist sowohl dem bronzezeitlicher als auch dem moderner Europäer sehr ähnlich - dem der Ägypter jedoch nicht. Die Ergebnisse legen somit nahe, dass die Minoer die Nachfahren eines Zweiges von anatolischen Bauern waren, die vor rund 9000 Jahren Europa besiedelten.

Wie kam dann die ägyptisch anmutende Kunst und Architektur nach Kreta? Vermutlich durch einen regen Austausch, meinen die Forscher. Schließlich waren die Minoer berüchtigt für ihre Tüchtigkeit auf See. Dass dabei oft Schiffe in ägyptischen Häfen anlegten, ist nur allzu wahrscheinlich. Wenn die Minoer aber Europäer waren, dann sprachen sie wahrscheinlich auch eine proto-indoeuropäische Sprache. Diese Erkenntnis könnte helfen, das bislang noch unentschlüsselte Linear A zu verstehen, das oft für eine eigene Sprachfamilie gehalten wird.

+++ Vom Stier zum Elefanten +++

Vom Stier zum Elefanten

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Rätselhaftes Grab: Vom Stier zum Elefanten

Foto: Carmona Archaeological Ensemble

Dass dieses Grab irgendwie anders ist, war den Archäologen schon immer klar. Zu dem Elefantengrab auf dem römischen Friedhof der spanischen Stadt Carmona gehören neben einem Altarraum auch noch eine Küche, ein Speisesaal und eine Zisterne. Benannt wurde es allerdings nach der Sandstein-Statue eines Elefanten, die darin aufgestellt war. Nun haben Archäologen um Inmaculada Carrasco von der Universität Pablo de Olavide eine Idee, wofür das Grab ursprünglich gebaut worden sein könnte. Sie halten es für einen Tempel des Mithras, der erst später zur Grabstätte umfunktioniert wurde.

Den entscheidenden Hinweis für ihre Theorie gab ihnen ein Fenster in dem Gebäude. Es liegt so, dass jeweils zu den Tag- und Nachtgleichen die Sonne genau hindurchfällt und drei Stunden nach Sonnenaufgang einen zentralen Platz in dem Altarraum bestrahlt. Hier, vermuten die Forscher, stand die Kultstatue des Gottes Mithras, der den Stier schlachtet. Das gesamte Grundlayout des Gebäudes entspricht einem typischen Mithrastempel: ein hauptsächlich unterirdischer Bau mit einem dreigeteilten Inneren, einem Altar oder Schrein, der durch ein Fenster von der Kopfseite her beleuchtet wird und eine Wasserquelle.

"Die Anwesenheit einer Wasserquelle ist sehr bedeutsam, da sie meistens in Tempeln des Mithras gefunden werden", betont Carrasco in einer Pressemitteilung der Universität. Die Ausgräber konnten vier verschiedene Bauphasen des Gebäudes ausmachen. Nur in der ersten Zeit war es ein Tempel, später wurde es dann mehr und mehr seiner Funktion als Grab angepasst. Der Kult des Mithras war im römischen Reich vor allem bei den Soldaten sehr populär. Tempel des Mithras befinden sich in nahezu allen Regionen, in denen denen römische Soldaten stationiert waren.

+++ Welche Farbe hatte Lincolns Eisenbahnwagon? +++

Welche Farbe hatte Lincolns Eisenbahnwagon?

Schokoladenbraun oder bordeauxrot? Ein Splitter der Holzverzierung brachte die Lösung

Schokoladenbraun oder bordeauxrot? Ein Splitter der Holzverzierung brachte die Lösung

Foto: Hulton Archive/ Getty Images

Als Abraham Lincoln starb, ging sein Leichnam zwei Wochen lang auf Tour durch die nördlichen Staaten der USA - mit der Eisenbahn. Millionen Trauernde strömten herbei, um dem ermordeten Präsidenten auf dem vorbeifahrenden Zug die letzte Ehre zu erweisen. Doch trotz der enormen Popularität dieses Ereignisses rätseln Historiker über eine große Frage: Welche Farbe hatte der Zug?

Als Chemiker und Modelleisenbahnbauer interessierte Wayne Wesolowski von der University of Arizona die Antwort gewaltig - und er machte sich daran, die Antwort zu finden. Der Wagen war 1911 in Flammen aufgegangen - das Original ist für immer verloren. Als Lincoln starb, gab es noch keine Farbfotografie und auch zeitgenössische Gemälde des Zuges existieren nicht. Zeitungsberichte beschrieben den Wagen sehr unterschiedlich. Mal war er "von reichem Schokoladenbraun", mal Bordeauxrot. Und das damalige Schokoladenbraun war mit Sicherheit nicht einmal unser heutiges - weil Schokolade damals nur getrunken, nicht aber gesessen wurde; unsere heutige Milchschokolade gab es noch nicht.

Doch zum Glück konnte Wesolowski ein etwa bleistiftgroßes Stück der Holzverzierung auf dem Sammlermarkt ergattern. Mit Hilfe der Konservatorin Nancy Odegaard verglich er die mikroskopisch kleinen Farbpartikel auf dem Holz mit den damaligen nationalen Standardfarben. Das Ergebnis: ein dunkles Kastanienbraun. Der Wagen war ein Geschenk der United States Military Railroad an den Präsidenten gewesen. Anfang des Jahres 1865 hatte die Eisenbahn ihn an Lincoln geliefert. Nur kam er niemals dazu, ihn lebend zu nutzen. Am 21. April verließ er darin Washington als Leiche.

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