
Ausgegraben: Hinterlassenschaften eines Kaisers
Die Abfallgrube des brasilianischen Kaisers Dom Pedro II. bietet Archäologen einen intimen Einblick in das Leben bei Hofe. Welche Zahnpasta benutzte seine Hoheit? Wonach duftete die Kaiserin? Und warum ließ die Herrscherfamilie ihr Trinkwasser aus Deutschland importieren?
Auch Kaiser müssen ihre Zähnen sauber halten. Sie tun es vielleicht nicht mit einer gewöhnlichen Zahnbürste, sondern mit einer aus Elfenbein, aber putzen müssen auch sie. Eine solche kaiserliche Zahnbürste haben Archäologen nun im Norden Rio de Janeiros gefunden. Die Borsten sind zwar lange schon vergangen, doch auf dem Griff ist noch deutlich zu lesen, wessen Hand die Bürste einst führte: S M L'EMPEREUR DU BRESIL, seine Majestät, Kaiser von Brasilien. Seine kaiserliche Hoheit ist Dom Pedro II, der von 1831 bis 1889 über Brasilien herrschte.
Die Zahnbürste des Kaisers lag zusammen mit Dutzenden weiteren aus dem kaiserlichen Haushalt in einer Müllgrube an der Francisco Bicalho Avenue, nahe des alten Bahnhofs Leopoldina. Die Archäologen bargen sie in einer Notgrabung: Rechtzeitig zu den Olympischen Spielen im Jahr 2016 soll hier die U-Bahn Linie 4, die zwischen Barra da Tijuca und Ipanema verkehren wird, entlangdonnern - mitten durch die ehemalige Müllkippe des kaiserlichen Haushalts, der im nahen Palast São Cristóvão residierte. Die Funde erzählen vom Leben am Hof Dom Pedros, der sich nicht nur als Staatslenker, sondern auch als Gelehrter hervortat.
"Zwischen 50 Zentimetern und 2,5 Metern unter der Oberfläche haben wir Porzellanscherben, Glas, Leder und sogar Gold gefunden", erklärte Grabungsleiter Cláudio Prado de Mello kürzlich in einer Pressemitteilung. "Die Arbeiten haben im März begonnen und die Funde ermöglichen es, die Geschichte einer ganzen Region zu erzählen."
Über 200.000 Artefakte aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert bargen die Ausgräber aus dem Boden: "Wir stehen hier womöglich auf der wichtigsten archäologischen Grabung der Stadt. Die Quantität und Qualität des Materials sind beeindruckend."
Deutsches Wasser sollte gegen Krankheiten helfen
Nicht nur die Zahnbürsten landeten nach dem Gebrauch im Müll - sondern auch Zahnpastabehältnisse. Die "kaiserliche Zahnpasta" darin stammte laut Beschriftung der weißen Porzellandosen sogar aus Europa: Der Hersteller Roberts & Co. brüstet sich mit Dependancen in Paris und London. Offenbar wurde so einiges aus Europa importiert - nicht alles davon sinnvoll.
Unter den Funden waren fast 200 Flaschen aus Steinzeug. "Einige der besser erhaltenen stammen aus Deutschland, aus dem Herzogtum Nassau", schreibt Prado de Mello in einer E-Mail an SPIEGEL ONLINE. "Sie wurden in Höhr-Grenzhausen und anderen Städten hergestellt. Die meisten tragen einen Stempel mit dem Löwen und dem Namen "Herzogthum Nassau". Ab 1853 gab es einen regelmäßigen Export dieser Flaschen von Deutschland nach Brasilien." Der Inhalt: Wasser.
Doch was trieb die kaiserliche Familie dazu, ihr Trinkwasser aus dem fernen Deutschland importieren zu lassen? "Man glaubte damals, das Wasser aus der Nassauer Quelle sei besonders rein und könne Krankheiten heilen."
Auch 80 Flaschen aus weißem und 60 Flaschen aus farbigem Glas lagen im Müll. Sechs davon fanden die Ausgräber so gut versiegelt, dass der ursprüngliche Inhalt noch darin schwappte. Was warf die kaiserliche Familie da in den Müll? Die Archäologen warten derzeit gespannt auf die Ergebnisse aus dem Labor.
"Bei einer der Flaschen war der Verschluss ein bisschen offen - und dann hat meine Neugier mich dazu getrieben, sie ganz zu öffnen", gibt Prado de Mello zu. "Es war Ammoniak! Vielleicht stammte es aus einer Apotheke." In vier weiteren Fällen vermutet der Ausgräber ebenfalls medizinische Flüssigkeiten. Nur in der letzten, hofft er, könnte sich tatsächlich Parfum befinden.
Goldring in der Abfallgrube
Einige Gegenstände gerieten wohl auch versehentlich in die Abfallgrube. Inmitten des Mülls lagen eine goldene Krawattennadel und ein Goldring mit einem Glasstein. Der Ring sieht aus wie jene Schmuckstücke, die im Römischen Reich populär waren.
Und es wäre sogar möglich, dass Dom Pedro tatsächlich einen original römischen Ring besaß - schließlich begeisterte er sich für Archäologie. Der brasilianische Kaiser war Mitglied der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte und besuchte den deutschen Archäologen Heinrich Schliemann auf dessen Ausgrabung im griechischen Mykene.
Die Müllkippe ist aber noch deutlich älter als Kaiser Dom Pedro II. Sie entstand bereits 1808-1809, als Pedros Vor-Vorgänger Dom João VI. seinen Palast nach São Cristóvão verlegte. Zwischen 1853 und 1881 stand dann an dieser Stelle auch ein Schlachthaus, das Palast und Stadt mit Fleisch versorgte.
Erst als der Gestank und die Geier zu aufdringlich wurden, verlegte man die Schlachterei auf die Jesuitenfarm Santa Cruz. Geblieben sind aus dieser Zeit das Kopfsteinpflaster, das die Archäologen fast intakt aufdeckten, und der neoklassizistische Eingang des Gebäudes. Er schmückt heute die nationale Zirkusschule Brasiliens.