Kritik von Experten Arzneimittelreste in Flüssen und Seen – wichtige Daten werden geheim gehalten

Rückstände von Medikamenten belasten Gewässer
Foto: Yulia Reznikov / Getty ImagesArzneimittel sind für viele Menschen ein unverzichtbares Mittel – solche Chemikalien lindern und heilen. Doch je nach Präparat werden bis zu 90 Prozent der Wirkstoffe wieder ausgeschieden und gelangen über die Toilette ins Abwasser. Deutsche Kläranlagen können die Substanzen aber meist nicht aus dem Wasser fischen, deshalb gelangen sie in Seen und Flüsse und reichern sich in der Umwelt an.
Welche Folgen die Chemikalien dort haben, ist teils noch nicht geklärt. Die Hersteller müssen zwar Studien zu Umweltverhalten und -toxizität durchführen. Aber die Ergebnisse dieser Studien bleiben meist unter Verschluss, bemängeln Experten nun. »Umweltbehörden und Öffentlichkeit kommen an die Daten oft nicht heran«, erklärt die Juristin und Umweltwissenschaftlerin Kim Teppe vom Umweltbundesamt (Uba). Effektiver Gewässerschutz sei in der Folge erheblich erschwert.
Für andere Stoffe wie Industriechemikalien, Biozide und Pflanzenschutzmittel sind die Ergebnisse ökotoxikologischer Studien öffentlich zugänglich. Bei Arzneimitteln hingegen müssen Hersteller bisher nur bei den Zulassungsbehörden Daten einreichen und können sich zudem auf umfangreiche Ausnahmen berufen, sodass in der Praxis oftmals gar keine Daten vorgelegt werden, wie Teppe erklärt.
Von den Zulassungsbehörden dürften die Daten zudem nicht an Umweltbehörden oder die Fachöffentlichkeit weitergegeben werden. Selbst bei gezielter Anfrage einer Gewässerüberwachungsbehörde könnten Hersteller unter Verweis auf Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Teile oder gar das vollständige Umweltdossier als geheimhaltungsbedürftig einstufen, sagt Teppe.
Klage ist bereits eingereicht
Immerhin wird europaweit über eine Neuregelung nachgedacht. Ein erster Entwurf für ein neues Humanarzneimittelrecht soll Ende März vorgelegt werden. »Darin sind dann hoffentlich Umweltbelange wie das Schließen von Datenlücken und die Datentransparenz wenigstens ansatzweise schon adressiert«, hofft Teppe.
Die Juristin, die für ihre Arbeit mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichnet wurde, hat selbst Vorschläge bei der EU-Kommission eingereicht. Zuvor hatte sie am Verwaltungsgericht Köln auf Zugang zu den Umweltdaten geklagt. Seither laufe das Verfahren, das zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) führen könnte.
Derzeit gelangen in Deutschland jährlich Tausende Tonnen biologisch aktive Wirkstoffe aus Human- und Tiermedizin über Abwässer, Klärschlamm und Gülle in die Umwelt. Mehr als 2000 verschiedene Substanzen sind im Handel. Häufig in Gewässern nachgewiesen werden dem Uba zufolge Schmerzmittel, Antibiotika, Hormone, Betablocker, Kontrastmittel und Antidepressiva.
Aber auf der Liste sogenannter prioritärer Stoffe im Sinne der EU-Wasserrahmenrichtlinie taucht bisher kein einziger Arzneimittel-Wirkstoff auf, sagt Gerd Maack von der Fachgruppe zur Umweltbewertung von Arzneimitteln beim Uba. Gelistet werden dort Stoffe mit besonders hohem Umweltrisiko und einer weiten Verbreitung in Gewässern.
Nach EU-Entscheidungen könnten immerhin bald hormonell wirksame Substanzen oder das Schmerzmittel Diclofenac auf der Liste stehen. Bei Diclofenac liegt der vorgeschlagene Grenzwert laut dem Uba bei 0,04 Mikrogramm pro Liter. Tatsächlich werden in Europas Gewässern aber im Mittel 0,4 Mikrogramm pro Liter gemessen, also der zehnfache Wert.
Der Wirkstoff, von dem in Deutschland pro Jahr etwa 80 Tonnen verbraucht werden, ist ein Beispiel dafür, dass Arzneistoffe ebenso überraschende wie furchtbare Folgen für Natur und Umwelt haben können. In Indien starben in den Neunzigerjahren massenweise Geier an Nierenversagen, nachdem die Vögel Rinderkadaver verzehrt hatten. Die Wiederkäuer waren zuvor von Landwirten mit dem Mittel behandelt worden.
Streit um eine neue Reinigungsstufe
Diclofenac wird in deutschen Kläranlagen nur zum Teil herausgefiltert. Bisher ist die Klärtechnik nicht dafür ausgelegt. Seit Jahren tobt deshalb eine Debatte über die Einrichtung einer weiteren, vierten Reinigungsstufe. Sie hält solche sogenannten Spurenstoffe zumindest zum Teil durch Aktivkohlefiltration oder den Einsatz von Ozon zurück.
Bisher ist der Bau der vierten Reinigungsstufe aber nicht verpflichtend für die Betreiber von Kläranlagen. Doch immer mehr Kommunen testen oder planen solche Anlagen – vor allem, wenn sie das Abwasser in sensible Gewässer einleiten.
Bei dem Thema sind neben den Herstellern aber auch die Verbraucher in der Verantwortung. Generell sollten sie hinterfragen, wie notwendig der Einsatz der Mittel ist. Zudem sollen Reste nicht in Waschbecken oder Toilette entsorgt werden.
Über die Wasserentnahme aus Gewässern und Grundwasser gelangen die Substanzen unvermeidbar auch ins Trinkwasser, ebenso in Mineralwasser. »Das ist nicht unbedingt weniger belastet als Wasser aus dem Hahn«, sagt Maack. Zwar liegen die Konzentrationen meist weit weg von den therapeutisch wirksamen. Die möglichen Langzeitfolgen für den Menschen sowie potenzielle Wechselwirkungen seien aber völlig unklar, gibt Maack zu bedenken.