
Skelettfund in Frankreich: Kleines Kind mit großem Schädel
Foto: IJPPEin gerade analysiertes Skelett könnte der bisher älteste Nachweis eines Kindes mit Down-Syndrom sein. Trotz seines ungewöhnlichen Aussehens war der junge Mensch offenbar fester Bestandteil der Gemeinschaft.
Das etwa fünf bis sieben Jahre alte Kind lag zwischen Gräbern von Erwachsenen auf dem kleinen Friedhof von Saint-Jean-des-Vignes im Nordosten Frankreichs. Doch etwas war anders bei diesem jungen Menschen, der im 5. oder 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gelebt hatte. Als eine Gruppe von Anthropologen um die Doktorandin Maïté Rivollat von der Universität Bordeaux den Schädel näher untersuchten und einen CT-Scan anfertigte, stellten die Forscher einige ungewöhnliche Merkmale fest.
Der Kopf war außergewöhnlich groß. Der Hinterkopf war flacher als üblich, die Krümmungswinkel der Schädelhöhle stumpfer. Dazu waren die Schädelknochen sehr dünn und an der Schädelnaht hatten sich kleine zusätzliche Knöchelchen gebildet. Die Schädelbasis war gedrungen, das große Hinterhauptloch sehr viel größer als gewöhnlich. Das Kind hatte unterentwickelte Stirnhöhlen, ein sehr kleines Gesicht und einen dünnen Unterkiefer. Schließlich waren auch die Zähne nicht im besten Zustand: Einige fehlten, andere waren von Parodontose befallen.
Alle diese Merkmale zusammen genommen deuten auf einen Grund hin, warum dieses Kind so anders war: Wahrscheinlich lag sein 21. Chromosom dreifach vor. Es litt an Trisomie 21, am Down-Syndrom. Der Verdacht war zwar seit der Ausgrabung im Jahr 1989 bereits mehreren Forschern gekommen. Doch Rivollat und ihre Kollegen gingen diesem Verdacht jetzt zum ersten Mal gezielt nach, vermaßen den Schädel und verglichen ihn mit den Schädeln von 78 Kindern ähnlichen Alters.
Auf der Suche nach einer Diagnose
Einige der Deformationen könnten auch durch andere Krankheiten verursacht worden sein. Die dünnen Schädelknochen, der flache Hinterkopf und die verkümmerten Stirnhöhlen beispielsweise sind typische Anzeichen für Skorbut - einem Vitamin C-Mangel. Doch wer über einen langen Zeitraum zu wenig Vitamin C zu sich nimmt, entwickelt auch poröses Knochengewebe in den Augenhöhlen - und das hatte das Kind nicht. Auch der Unterkiefer war nicht deformiert, wie es häufig bei Skorbut zu beobachten ist.
Eine weitere mögliche Diagnose wäre ein Wasserkopf. Auch bei dieser krankhaften Erweiterung der Flüssigkeitsräume im Gehirn wird die Schädeldecke dünn und es bilden sich Wormsche Knochen, kleine zusätzliche Knöchelchen in einer Schädelnaht. Außerdem ist es - wie bei dem Schädel aus Saint-Jean-des-Vignes - möglich, dass die metophische Naht verknöchert und die Schädelbasis ungewöhnlich klein ausfällt. Doch bei einem Wasserkopf ist das Schädelvolumen deutlich vergrößert. Der Schädel des Kindes vom Friedhof in Saint-Jean-des-Vignes war jedoch nicht größer als diejenigen seiner Altersgenossen.
Begraben wie alle anderen auch
Damit, folgern die Forscher, ist Trisomie 21 die wahrscheinlichste Erklärung. So könnte es der älteste bekannte Fund eines Kindes mit Down- Syndrom sein. Das galt zuvor für einen angelsächsischen Schädel aus Brothwell. Das neun Jahre alte englische Kind lebte zwischen 700 und 900.
Ansonsten aber war bei dem Begräbnis alles so wie bei den übrigen Toten des Friedhofes von Saint-Jean-des-Vignes. Das Grab war in Ost-West-Richtung orientiert, der Kopf zeigte gen Westen. Anhand der Lage der Knochen konnten die Ausgräber feststellen, dass der Verwesungsprozess in einem Freiraum im Boden stattgefunden hatte - so wie ihn typischerweise ein Sarg schafft.
"Daraus folgern wir", schließen die Forscher ihren Aufsatz im "International Journal of Palaeopathology" , "dass das Kind mit Down-Syndrom im Tod nicht anders behandelt wurde als alle anderen Gemeindemitglieder." Vom Tod, finden sie, könne man durchaus auch auf das Leben schließen: "Das interpretieren wir dahingehend, dass dieses Kind im Leben trotz seiner Behinderung nicht stigmatisiert wurde."