Egoismus bei Schiffsunglücken Frauen und Kinder zuletzt

Schiffsunglück-Übung: Häufig überlebt die Crew, aber nur wenige Kinder werden gerettet
Foto: DPA/ PNASUppsala - Als der Kapitän der Costa Concordia das sinkende Schiff frühzeitig verließ, verhielt er sich wie viele seiner Kollegen. Crewmitglieder überleben Schiffsunglücke deutlich häufiger als Passagiere, berichten schwedische Forscher im Magazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" . Auch die gesellschaftliche Erwartung, dass Frauen und Kinder zuerst gerettet werden sollen, wird laut Studie nur in Ausnahmefällen erfüllt. Demnach ergattern Frauen nur halb so häufig einen Platz im Rettungsboot wie ihre männlichen Mitpassagiere.
Die Wissenschaftler werteten Daten von 18 Schiffsunglücken in den vergangenen 100 Jahren aus, an denen mehr als 15.000 Menschen aus 30 Nationen beteiligt waren. Überlebt haben die Unglücke demnach vor allem Personen, die mit dem Schiff und den Notfallmaßnahmen vertraut waren: die Besatzung. Nur in der Hälfte der Fälle ging der Kapitän mit seinem Schiff unter.
Besonders schlechte Überlebenschancen dagegen hätten weibliche Passagiere und Kinder: Lediglich den Untergang der Titanic und ein weiteres Schiffsunglück haben laut Studie mehr Frauen als Männer überlebt. Bei elf Katastrophen blieben dagegen mehr Männer am Leben.
Dabei könne der Kapitän die Überlebenschancen von Frauen und Kindern mit einfachen Mitteln erhöhen, indem er befiehlt, sie zuerst zu retten. Das Kommando ertönte jedoch nur bei fünf der 18 untersuchten Untergänge. "In der Regel führt die Anweisung, Frauen und Kinder zuerst vom Schiff zu bringen, dazu, dass Frauen und Männer ähnliche Überlebenschancen haben", sagt Mikael Elinder von der Universität in Uppsala.
Auch die grundsätzliche gesellschaftliche Entwicklung zu mehr Gleichberechtigung kommt Frauen im Unglücksfall offenbar zu Gute: Seit dem ersten Weltkrieg sei der Abstand bei den Überlebenschancen zwischen Frauen und Männern geschrumpft, berichten die Forscher. Das führen sie auf das gesteigerte soziale Ansehen und größere Selbständigkeit der Frauen zurück.
Besonders auf britischen Schiffen regiert der Egoismus
"Das ungeschriebene Gesetz, Frauen und Kinder zuerst zu retten, wird in der Literatur ganz besonders der britischen Gesellschaft zugeschrieben", sagt Elinder. So überraschte ein Ergebnis der Studie die Forscher besonders: Auf britischen Schiffen, die von einem britischen Kapitän und überwiegend britischer Besatzung geführt werden, starben bei den Unglücken überdurchschnittlich viele Frauen.
"Wir haben aufgrund der kulturellen Gegebenheiten erwartet, dass Frauen auf britischen Schiffen bessere Überlebenschancen haben", sagt Elinder. "Dass dort im Durchschnitt sogar weniger von ihnen überleben, widerspricht vollkommen dem Bild vom höflichen britischen Gentleman." Eine Erklärung für das besonders egoistische Verhalten hat der Wissenschaftler nicht.
Die Rettung auf der Titanic ist untypisch für Schiffsunglücke
Gestärkt wird der Glaube an die männliche Ritterlichkeit auf See vor allem durch den Untergang der Titanic 1912. Bei der Katastrophe starben mehr als dreimal so viele Männer wie Frauen. Damals befahl der britische Kapitän, Frauen und Kinder zuerst zu retten, die Crew nahm seine Anweisung ernst. Einige Männer, die sich widersetzten, sollen angeblich sogar von der Crew erschossen worden sein. "Schiffsunglücke sind ein gutes Modell dafür, wie Menschen handeln, wenn es um Leben und Tod geht", schreiben die Forscher. Man könne daran testen, ob soziale Normen wie der Schutz der Schwächeren oder die gegenseitige Hilfe in diesen Extremsituationen standhielten.
Doch das derzeitige Bild, das maßgeblich vom Untergang der Titanic geprägt ist, entspricht offenbar nicht der Realität: "Auf Grundlage unserer Analyse wird deutlich, dass der Untergang der Titanic in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich war", schreiben die Forscher. "Was auf der Titanic geschah, scheint eine Reihe von falschen Vorstellungen des menschlichen Verhaltens in Katastrophenfällen befeuert zu haben."