Biomedizinische Studien Twitter-Nutzer mögen's schräg

Kurznachrichtendienst Twitter: Kurioses statt wissenschaftlicher Relevanz
Foto: KACPER PEMPEL/ REUTERSMüssen Forscher den Kurznachrichtendienst Twitter ernst nehmen? Bislang eher nicht - so lautet das Fazit einer Untersuchung , die jetzt im Fachblatt "Journal of the Association for Information Science and Technology" erschienen ist. "Wir glauben, dass die Zahl der Erwähnungen auf Twitter kein guter Indikator für die wissenschaftliche Relevanz eines Artikels ist", sagt Stefanie Haustein von der Université de Montréal.
Gemeinsam mit Kollegen hat sie analysiert, wie oft biomedizinische Fachartikel auf Twitter gepostet werden. Basis dafür waren 1,4 Millionen Paper aus den Jahren 2010 bis 2012, die in den Datenbanken von PubMed und Web of Science gelistet sind. Diese enthalten biomedizinische Artikel aus fast 4000 Fachblättern, darunter renommierte Magazine wie "Science", "Nature", "Lancet" und "New England Journal of Medicine".
Die Untersuchung ergab, dass die Zahl der Tweets, die ein Paper bekommt, kaum etwas über dessen Bedeutung aussagt. "Die Paper, die auf Twitter populär sind, sind nicht die, die unter Wissenschaftlern die höchste Aufmerksamkeit bekommen", sagt Mitautorin Isabella Peters von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Die Relevanz einer wissenschaftlichen Arbeit, ihr sogenannter Impact, wird ermittelt über die Anzahl der Zitierungen, die ein Fachartikel in anderen Publikationen einheimst.
Meist nur ein Tweet je Paper
Am biomedizinischen Artikel mit den meisten Tweets zeigt sich das Phänomen exemplarisch: Die Studie über genetische Veränderungen , die von niedriger radioaktiver Strahlung ausgelöst wurden, kam auf immerhin 963 Tweets. Zitiert wurde das Paper jedoch nur neun Mal.
"Besonders populär auf Twitter waren Studien, die nicht so ganz ins Bild passen, die neugierig machen", erklärt Peters. In der Top-15-Liste findet sich Schräges, Kurioses, Witziges. Etwa eine Arbeit über Penisbruch bei Sex unter Stress mit 391 Tweets, aber keiner einzigen Zitierung. Oder der Fall einer 63-jährigen Koreanerin , die einen Tintenfisch isst, der trotz Zubereitung noch Spermien in ihrem Mund ablegt (392 Tweets, keine Zitierung). Einen ernsten Hintergrund haben hingegen die beiden erstplatzierten Studien über die Cäsium-137-Werte rund um Fukushima und Mutationen infolge radioaktiver Strahlung.
Bei Twitter beschränke sich die Aufmerksamkeit auf einige, wenige Paper, sagt Peters. Nur 9,4 Prozent der 1,4 Millionen Paper tauchten überhaupt als Link in einem Tweet auf. Und die meisten davon, nämlich 63 Prozent, seien nur ein einziges Mal getwittert worden.
Dass Twitter und wissenschaftliche Relevanz derzeit nicht zusammenpassen, hatte sich schon in einer anderen, noch nicht publizierten Studie gezeigt. Stefanie Haustein und ihre Kollegen hatten darin Publikationen und Twitter-Aktivitäten von Astrophysikern untersucht. Dabei zeigte sich, dass besonders erfolgreiche Wissenschaftler wenig bis gar nicht twittern. Jene Forscher hingegen, die am laufenden Band Kurznachrichten absetzen, publizieren kaum.
Doch die Nutzung von Twitter ändert sich: Die Bedeutung in der Wissenschaftskommunikation steigt rasant, immer mehr Fachblätter veröffentlichen Links zu Studien unter ihrem eigenen Twitter-Account. Wie dynamisch die Entwicklung ist, zeigt sich auch im Anteil der Paper, die jährlich auf Twitter erwähnt werden: 2010 waren es 2,4 Prozent aller veröffentlichten Artikel, ein Jahr später 10,9 und 2012 dann sogar schon 20,4 Prozent. Und zwei der 15 meistgetwitterten Studien brachten es auf mehr als 50 Zitierungen.
Die 15 populärsten Fachartikel
Artikel | Fachblatt | Zitierungen | Tweets |
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1) Hess et al. (2011) Gain of chromosome band 7q11 in papillary thyroid carcinomas of young patients is associated with exposure to low-dose irradiation | PNAS | 9 | 963 |
2) Yasunari et al. (2011) Cesium-137 deposition and contamination of Japanese soils due to the Fukushima nuclear accident | PNAS | 30 | 639 |
3) Sparrow et al. (2011) Google Effects on Memory: Cognitive Consequences of Having Information at Our Fingertips | Science | 11 | 558 |
4) Onuma et al. (2011) Rebirth of a Dead BelousovZhabotinsky Oscillator | Journal of Physical Chemistry A | 0 | 549 |
5) Silverberg (2012) Whey protein precipitating moderate to severe acne flares in 5 teenaged athletes | Cutis | 0 | 477 |
6) Wen et al. (2011) Minimum amount of physical activity for reduced mortality and extended life expectancy: a prospective cohort study | Lancet | 51 | 419 |
7) Kramer (2011) Penile Fracture Seems More Likely During Sex Under Stressful Situations | Journal of Sexual Medicine | 0 | 392 |
8) Newman Feldman (2011) Copyright and Open Access at the Bedside | New England Journal of Medicine | 3 | 332 |
9) Reaves et al. (2012) Absence of Detectable Arsenate in DNA from Arsenate-Grown GFAJ-1 Cells | Science | 5 | 323 |
10) Bravo et al. (2011) Ingestion of Lactobacillus strain regulates emotional behavior and central GABA receptor expression in a mouse via the vagus nerve | PNAS | 31 | 297 |
11) Park et al. (2012) Penetration of the Oral Mucosa by Parasite-Like Sperm Bags of Squid: A Case Report in a Korean Woman | Journal of Parasitology | 0 | 293 |
12) Mottron (2011) Changing perceptions: The power of autism | Nature | 4 | 274 |
13) Villeda et al. (2012) The ageing systemic milieu negatively regulates neurogenesis and cognitive function | Nature | 62 | 271 |
14) Merchant et al. (2011) Integrating Social Media into Emergency-Preparedness Efforts | New England Journal of Medicine | 10 | 267 |
15) Ho et al. (2011) A Low Carbohydrate, High Protein Diet Slows Tumor Growth and Prevents Cancer Initiation | Cancer Research | 6 | 261 |