Bioreaktoren Algen sollen Kraftwerke von CO2 reinwaschen
Grüner geht's doch gar nicht: Hamburgs Umweltsenatorin Anja Hajduk war stolz, als sie an diesem Donnerstag im Hamburger Stadtteil Reitbrook eine echte "Hamburgensie" präsentieren konnte: "Chlorella" heißt der neue Star der Grünen-Politikerin. Eine Mikroalge. Diese nur 20 Mikrometer kleine Alge soll Gutes tun - nämlich klimaschädliches CO2 in Biomasse verwandeln - und damit gleichzeitig klimaschädliche Kraftwerke in klima-unschädliche. Eine hübsche Idee.
Doch leider völlig unrealistisch, sagen Experten.
Mit viel Tamtam nahm der Energiekonzern E.on auf seinem Erdgasspeicher in Reitbrook zusammen mit der Stadt Hamburg und weiteren Kooperationspartnern eine Algen-Pilotanlage in Betrieb.
Eigentlich sind es zwei Anlagen - die erste erinnert ein wenig an Solarpanels, nur eben in grün. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man die in regelmäßigen Abständen aufsteigenden Gasblasen, die sich von unten nach oben durch die flachen, flüssigkeitsgefüllten Panels ziehen. Das sieht gut aus, da passiert was, denkt man. Die zweite Anlage wirkt wuchtiger - fast wie ein grüner Tempel. Das CO2 stammt aus einem Heizkraftwerk auf dem Erdgasspeicher.
Die Idee besticht: Das CO2 aus einem gewöhnlichen Kohle- oder Gaskraftwerk wird in einen Tank mit Mikroalgen geleitet. Durch Photosynthese machen die Algen dann aus dem CO2, Sonnenlicht und Wasser letztlich Zucker und Sauerstoff. Die Algen vermehren sich - Biomasse entsteht.
Das CO2, das normalerweise einfach so in die Atmosphäre gelangt und den Treibhauseffekt verstärkt, würde also in Form von Biomasse gebunden und weiter verarbeitet. Zum Beispiel zu Biodiesel, der wiederum Autos antreibt. Aus einem Kilo CO2 kann man etwa 0,4 Kilo Biomasse erzeugen.
"Europaweit einzigartig?" - von wegen
Algen als CO2-Entsorger. Keine aufwendige CO2-Verflüssigung und Entsorgung im Erdboden, mit der andernorts Energiekonzerne ihre Kohlekraftwerke CO2-frei bekommen wollen. Stattdessen eine Pflanze als Kraftwerksreinwascher.
Bernhard Fischer, Mitglied des E.on-Vorstandes, preist Mikroalgen denn auch euphorisch als "neue Sterne am Himmel der nachwachsenden Rohstoffe". Obwohl die eine Million Euro teure Pilotanlage - 500.000 Euro trägt E.on, 500.000 Euro die Stadt Hamburg - "europaweit einzigartig" sei, sei sie dennoch nur ein erster Schritt. Noch stehe die "biologische Abscheidung" von CO2 ganz am Anfang. Viel größere Anlagen seien erforderlich.
"Europaweit einzigartig?" - von wegen: Im sachsen-anhaltischen Klötze steht seit Jahren eine Anlage, die um den Faktor 100 größer ist als die Pilotanlage in Hamburg. Karl-Hermann Steinberg, der sich seit zwölf Jahren mit Algenreaktoren befasst, produziert in insgesamt 500 Kilometer Glasröhren mit einem Volumen von 500 Kubikmetern Mikroalgen der verwandten Art Chlorella vulgaris. Nicht zum Zwecke der Biodieselproduktion, sondern für Lebensmittel.
"Wir haben eine Produktion von 50 Tonnen Biomasse pro Jahr", sagt er zu SPIEGEL ONLINE. Er hält die Pläne von Dieter Hanelt vom Biozentrum Klein-Flottbek, der das Projekt wissenschaftlich betreut, für unrealistisch. Hanelt spricht von 400 Tonnen CO2 pro Jahr, die er mit einem Hektar Algenreaktorfläche binden will. Das wären etwa 160 Tonnen Biomasse.
Herbert Märkl, Spezialist für Bioverfahrenstechnik von der Technischen Universität Hamburg-Harburg, hat sich lange Jahre mit Algenkulturen und technischen Aspekten von Algenreaktoren beschäftigt. "45 Tonnen CO2 pro Jahr wären realistisch", meint Märkl auf SPIEGEL ONLINE.
Nicht geeignet, um Kohlekraftwerke CO2-frei zu bekommen
Das sind Dimensionen, die einem klar werden lassen, dass diese Technik niemals für die Reinwäsche eines Kohle- oder irgendeines Kraftwerks geeignet sein wird: Kohlekraftwerke in der Bundesrepublik stoßen - je nach Größe - zwischen 2 bis 27 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus. Millionen Tonnen - nicht Tonnen.
Das bestätigt auch Herbert Märkl: "Ein bescheidenes Kohlekraftwerk, ein 500 Megawatt-Werk, verbraucht am Tag 3000 Tonnen Kohle. Man bräuchte 5000 Tonnen Algen pro Tag, um diese Menge CO2 zu binden."
5000 Tonnen Algen pro Tag? Hanelt will 160 Tonnen pro Jahr schaffen.
Aber eine CO2-Wäsche soll wohl offensichtlich dann doch nicht das Ziel sein, wie ein Sprecher klarstellt: "Es geht nicht darum, ein Kraftwerk CO2-frei zu bekommen. Es geht um die Produktion von Biomasse - das ist eine viel größere Geschichte."
Und da ist Dieter Hanelt optimistisch: Chlorella wachse sehr schnell, teile sich alle sieben Stunden und dann auch gleich in acht bis 16 Zellen auf einmal, sagt er. Weil der Bioreaktor nicht in der sonnen- und wärmereichen Wüste steht, sondern im norddeutschen Hamburg, sei es laut Hanelt besser, einen regional angepassten Organismus zu nehmen. Also habe man Chlorella hamburgensis auserkoren und nicht eine andere Alge. Außerdem sei die Lichtausbeute zehnmal höher als bei Landpflanzen, sagt Hanelt. Diese Werte hält Herbert Märkl für irreal.
Selbst wenn die Alge schnell und effizient sein mag - die Algenreaktoren sind es noch lange nicht. Deshalb will Hanelt mit der Pilotanlage erkunden, wie man die Prozesse noch optimieren kann. Aber wieso eigentlich, wundert sich Herbert Märkl: "Algen werden weltweit gezüchtet. Man kennt die Leistungsdaten - ich verstehe nicht, warum man ausgerechnet in Hamburg noch eine Pilotanlage braucht."
Probleme gebe es jedenfalls noch genug, so Hanelt. Eine der größten sei die Ernte der Algen. Die Alge sei so klein, dass sie in den wassergefüllten Panels frei umherschwebe und sich nicht absetze. "Man muss sie entweder filtern oder zentrifugieren - das aber kostet wiederum Energie." Außerdem könne man nur trockene Biomasse weiter verwerten, aus den Algen muss ein Trockengranulat erstellt werden. Auch das ist aufwendig.
"Das Ganze ist eine Sackgasse"
Und genau diese beiden Aspekte, so der algenerfahrene Steinberg, seien die Crux. "Sie haben eine Ausbeute von 0,2 Gramm Trockensubstanz pro Liter. Sie müssen also 5000 Liter Wasser filtern, um ein Kilo Trockensubstanz zu erhalten. Das ist ein enormer Aufwand, sie brauchen immer mehr Energie, als sie ernten."
Nach den Methoden der Klötzener kostet die Produktion eines Kilos Algen-Biomasse 50 Euro. "Deswegen wird eine Biodieselproduktion aus Algen niemals ökonomisch sein", sagt Steinberg. "Selbst wenn das Ganze noch optimiert - im besten Fall würde der Liter Biodiesel 50 Euro kosten."
"Das Ganze ist eine Sackgasse", sagt Steinberg.
Und regenerativ übrigens auch nicht, obwohl die Protagonisten es so verkaufen. Denn das CO2, aus dem die Algen die Biomasse produzieren, stammt aus fossilen Quellen. Wenn die Biomasse dann in Form von Biodiesel im Motor eines Autos verfeuert wird, gelangt das CO2 doch in die Atmosphäre. Und ist dort netto zu viel, weil es aus einer fossilen Quelle kommt. Was man gewonnen hat, ist lediglich eine nochmalige Nutzung des sonst völlig sinnlos aus dem Kraftwerk verpufften CO2.