»Unkontaktierte« Indigene Was der Tod des einsamsten Urwaldbewohners über versteckte Völker verrät

Sein Stamm wurde vor Jahrzehnten ermordet, seitdem lebte ein Indigener abgeschottet und allein im Amazonasregenwald. Nun starb auch er. Wie viele solcher »Unkontaktierter« gibt es noch – und wo?
Ein Kawahiva 2011 im brasilianischen Dschungel: Versteck im Urwald

Ein Kawahiva 2011 im brasilianischen Dschungel: Versteck im Urwald

Foto: AP/dpa

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Der »isolierteste Mann auf dem Planeten« ist tot. Seit Jahrzehnten lebte ein Indigener allein und völlig abgeschottet im brasilianischen Amazonas-Regenwald an der Grenze zu Bolivien. Er war Experten zufolge der letzte Überlebende eines indigenen Stammes, der in den Achtzigerjahren bei Angriffen von Außenstehenden nahezu ausgelöscht worden war.

Weltweit gibt es laut der Menschenrechtsorganisation Survival International  noch mehr als 100 sogenannter unkontaktierter Völker – und viele sind wie der Stamm des nun Verstorbenen in ihrer Existenz bedroht. Die »Unkontaktierten« vermeiden den Austausch mit der Außenwelt, über viele von ihnen gibt es kaum Informationen. Ein Blick auf fünf dieser faszinierenden Gruppen, deren Lebensraum aber in immer größere Gefahr gerät.

1. Sentinelesen (Andamanen-Insel)

Die Sentinelesen sind Survival International  zufolge »das am meisten isolierte Volk der Welt«. Schätzungsweise 50 bis 150 Sentinelesen leben wohl als Jäger und Sammler auf der 75 Quadratkilometer großen North Sentinel Island im Indischen Ozean, westlich von Thailand. Das Eiland ist militärisches Sperrgebiet, überwacht von Polizei und Armee, und darf nicht betreten werden.

North Sentinel Island (2005): Heimat der Sentinelesen

North Sentinel Island (2005): Heimat der Sentinelesen

Foto: Gautam Singh/ AP

Vereinzelt gab es in der Vergangenheit erfolgreiche Kontaktversuche mit den Sentinelesen, die wohl schon seit Jahrhunderten abgeschottet leben. Mitte der Neunzigerjahre wurden die Besuche aber eingestellt und der Wunsch der Gruppe, isoliert leben zu wollen, respektiert. Als 2018 ein US-Missionar trotzdem zu der Insel aufbrach, töteten die Ureinwohner ihn mit Pfeil und Bogen und beerdigten seine Leiche, die noch immer auf der Insel liegt.

2004 ging das Foto eines Sentinelesen um die Welt. Tage nach dem Sumatra-Andamanen-Beben, das verheerende Tsunamis ausgelöst hatte, flog ein Hubschrauber über North Sentinel Island – und wurde mit Pfeilen beschossen. Offensichtlich hatte die Inselbevölkerung das Zurückziehen des Meeres richtig interpretiert und sich vor der Flutwelle rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

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Isolierte Völker: Allein im Dschungel

Foto: AFP PHOTO / INDIAN COAST GUARD / SURVIVAL INTERNATIONAL

2. Kawahiva (Brasilien)

Allein im Amazonasregenwald in Brasilien sollen Dutzende isolierte Völker leben. Eines davon sind die Kawahiva, die von benachbarten Völkern als »Rotkopfmenschen« und »kleine Menschen« bezeichnet werden. Die Kawahiva sind laut Survival International  Nomaden, die sich als Jäger und Sammler versorgen. Doch das war wohl nicht immer so.

Lichtungen im Regenwald legten nahe, dass die Kawahiva vor Generationen noch ein sesshaftes Leben führten und unter anderem Mais anbauten. In den vergangenen 30 Jahren seien sie jedoch durch Bedrohungen wie Holzfäller, Viehzüchter und Bodenspekulanten zur Flucht gezwungen worden. »Wahrscheinlich wurden viele von Außenstehenden, die es auf ihr Land und ihre Ressourcen abgesehen hatten, ermordet, oder kamen durch Krankheiten wie Grippe und Masern, gegen die sie keine Abwehrkräfte haben, ums Leben«, so Survival International. Sie seien zu Nomaden geworden, um zu überleben.

Die für indigenes Leben in Brasilien zuständige Behörde Funai beobachtet eine der Kawahiva-Gruppen seit mehreren Jahren. 2011 filmte sie Mitglieder des Stammes, die sich, als sie das bemerkten, jedoch im Gebüsch versteckten.

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3. Yanomami und Moxihatetea (Brasilien und Venezuela)

Das größte relativ isoliert lebende Volk Südamerikas sind laut Survival International  die Yanomami. Seine etwa 38.000 Angehörigen leben im Regenwald und in den Bergen Nordbrasiliens und Südvenezuelas. Vor Jahrzehnten drangen Goldsucher in ihre Gebiete ein, töteten mehrere Menschen und zerstörten Dörfer – seitdem ist der Lebensraum der Yanomami gefährdet.

Die Yanomami berichten, dass in ihrem Gebiet Menschen leben, die noch nie Kontakt zur Außenwelt hatten. Sie nennen sie Moxihatetea. Laut Survival International wird befürchtet, dass die Moxihatetea in einem Gebiet leben, in dem in großem Umfang illegal Gold geschürft wird. »Kontakt mit den Goldsuchenden könnte für die Moxihatetea sehr gefährlich sein und gewaltsame Konflikte zur Folge haben«, berichtet die Organisation: »Die Goldsuchenden stellen auch ein großes Gesundheitsrisiko dar, da eingeschleppte Krankheiten wie Malaria insbesondere für unkontaktierte Indigene lebensgefährlich sein können.«

Davi Kopenawa Yanomami, Anführer der Yanomami-Indigenen in Brasilien, setzt sich für die Moxihatetea ein. »Es gibt viele unkontaktierte Indigene. Ich kenne sie nicht, aber ich weiß, dass sie so leiden wie wir auch«, sagte er: »Es ist sehr wichtig für alle Indigenen – auch die unkontaktierten – auf dem Land leben zu können, auf dem sie geboren wurden.«

4. Mashco-Piro (Peru)

Die Mashco-Piro leben in Perus Nationalpark Manú. Im Jahr 1998 schätzte die Internationale Arbeitsgruppe für indigene Angelegenheiten (IWGIA)  die Stammesgröße auf etwa 100 bis 250 Personen. Die Mitglieder leben als nomadische Jäger und Sammler und haben deutlich gemacht, nicht von der Außenwelt kontaktiert werden zu wollen. Doch in den vergangenen Jahren wurden wiederholt Mashco-Piros fotografiert oder gefilmt, weil sie in Gegenden unterwegs waren, in denen Kontakt kaum ausbleiben konnte.

Survival International  berichtet, dass möglicherweise illegaler Holzschlag im Naturschutzgebiet ebenso wie tieffliegende Hubschrauber, die nahegelegene Öl- und Gasförderprojekte ansteuern, die Indigenen aus ihrem Gebiet vertrieben haben könnten. 2013 berichtete die BBC  gar, dass Mitglieder des Stammes nach Angaben lokaler Aktivisten kurzzeitig aus dem peruanischen Dschungel aufgetaucht seien, um nach Nahrung zu fragen.

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5. Ayoreo und Totobiegosode (Bolivien und Paraguay)

In Paraguay und Bolivien leben Tausende Angehörige der Ayoreo in mehreren Untergruppen. Am abgeschiedensten leben laut Survival International  die Totobiegosode, deren Name »Menschen vom Ort der Wildschweine« bedeute. Als die Totobiegosode sich in den 1940er- und 1950er-Jahren der Missionierung widersetzt hätten, seien einige ums Leben gekommen. 1979 und 1986 habe die New Tribes Mission zudem viele Totobiegosode gewaltsam vertrieben. Dennoch lebten heute noch Totobiegosode als Nomaden im Wald.

2007 meldete die Menschenrechtsorganisation eine Sichtung dieser Gruppe. Die letzten unkontaktierten Indigen südlich des Amazonasbeckens seien von anderen Mitgliedern ihres Stammes in Paraguay gesichtet worden, hieß es damals . Diese hätten Fußspuren und ein noch brennendes Lagerfeuer von Mitgliedern des Ayoreo-Totobiegosode-Stammes entdeckt.

Vor Kurzem riefen mehrere Indigenen-Organisationen  dazu auf, einen Völkermord an den Totobiegosode zu verhindern. Ihr Lebensraum werde von enormen Abholzungen bedroht.

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