Britischer Diplomat über die nächste Uno-Klimakonferenz "Wer nicht mitmacht, wird verlieren"

Das Kraftwerk Niederaußem von RWE - eines der klimaschädlichsten in Europa
Foto: Christoph Hardt / Future Image / imago imagesEigentlich sollte 2020 das "Klimajahr" werden und der Uno-Weltklimavertrag starten. Doch dann stoppte die Covid-19-Pandemie die Bemühungen um einen wirksamen Pakt für globalen Klimaschutz. Erst Ende 2021 wollen sich nun die Länder auf der 26. Uno-Klimakonferenz (COP26) im schottischen Glasgow wieder treffen. Großbritannien hat offiziell die COP26-Präsidentschaft übernommen, zuletzt fand die Klimakonferenz in Madrid im Dezember 2019 statt.
Am 12. Dezember will die britische Regierung eine virtuelle Uno-Konferenz einberufen, um die Staaten trotz Covid-19 für mehr Klimaschutz zu motivieren. Das kann gelingen, wenn die Länder ihre Gelder endlich in saubere Energien investieren. Wer diese Möglichkeit nicht erkennt, könnte wirtschaftlich bald abgehängt sein, glaubt der britische Chefdiplomat John Murton. Als COP26-Gesandter der britischen Regierung muss er auch in schwierigen Zeiten arme und reiche Länder motivieren, ihre Wirtschaft radikal umzubauen.

John Murton ist britischer Diplomat und COP26-Gesandter der britischen Regierung. Er bereitet zusammen mit der britischen Regierung den Uno-Klimagipfel in Glasgow für den November 2021 vor. In den vergangenen Jahren arbeitete er als britischer Botschafter in der Republik Kongo sowie als britischer Abgesandter im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP).
SPIEGEL: In diesem Jahr gibt es erstmals seit 25 Jahren keinen Uno-Klimagipfel. Sie haben den schwierigen Job, die 195 Länder des Pariser Abkommens auf nächstes Jahr zu vertrösten. Wie fühlt es sich in Zeiten von Covid-19 an, ein Klimadiplomat zu sein?
Murton: Fantastisch - trotz allem. Wir sehen seit ein paar Monaten wieder richtig Bewegung in den Verhandlungen. Viele Regierungen und Staatschefs erkennen mittlerweile, dass der Übergang zu einer CO2-armen Wirtschaft in ihrem eigenen Interesse ist. Aus dieser Erkenntnis entstehen dann gute Nachrichten für das Klima.
SPIEGEL: Welche denn? Seit ein paar Monaten hört man eher von Ländern, die ihre Klimaziele nicht erhöhen wollen, weil die Pandemie ihre Wirtschaft geschwächt hat. Bisher haben nur zehn von knapp 200 Ländern höhere Klimaziele angekündigt.
Murton: Erst diese Woche hat China angekündigt, dass es bis 2060 klimaneutral werden will. Und Kalifornien ist ebenfalls vorgeprescht und will schon 2035 Benzin- und Dieselautos verbieten. Andere US-Bundesstaaten haben erklärt, dass sie schon 2050 klimaneutral sein wollen. Auch große Unternehmen wie BP machen mit und verpflichten sich, ihre Öl- und Gasförderung zu drosseln. Oder Microsoft: Der Konzern will sogar CO2-negativ werden – also mehr CO2 einsparen, als er selbst produziert. Das alles ist ein echtes Zeichen für einen Wandel. Vor ein paar Jahren hätte sich das noch niemand vorstellen können.
SPIEGEL: Sie haben ihre Stelle kurz vor dem Covid-19-Ausbruch als COP26-Beauftragter der britischen Regierung angetreten. Plötzlich sprach niemand mehr von Klimaschutz. Hat Sie das nachdenklich gestimmt?
Murton: Ich finde es sehr bedenklich, dass viele Menschen bereits heute von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Es gibt immer mehr Extremwetter-Ereignisse wie Dürren, Waldbrände oder Überflutungen. Und es trifft zuerst die Ärmsten. Das macht mir große Sorge. Sehr viele Menschen können sich nicht schützen. Deshalb müssen wir dringend handeln und den Klimaschutz weltweit vorantreiben.
SPIEGEL: Sie haben lange als britischer Botschafter in afrikanischen Staaten wie der Republik Kongo gearbeitet. Können es sich diese Länder noch leisten, an Klimaschutz zu denken?
Murton: Diese Länder kämpfen mit extremen Problemen. Neben dem Klimawandel trifft sie auch die Pandemie besonders hart. Gerade die erneuerbaren Energien sind aber eine Lösung für diese Länder – nicht nur aus Klimaschutzgründen. Abgelegene Dörfer können mit Solarpaneelen viel schneller elektrifiziert werden. Damit sind die Menschen sicherer und das schafft wiederum Jobs. Das trägt auch zu Befriedung bei.
SPIEGEL: Welche Länder sind besonders fortschrittlich beim Klimaschutz?
Murton: Ich war vergangene Woche erst in Kopenhagen. Dänemark ist eine der weltweit führenden Klima-Nationen. Dort plant die Regierung den Strom schon bald zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien zu gewinnen. Aber auch Costa Rica und Äthiopien sind ganz vorn mit dabei. Wir haben fortschrittliche Kräfte in allen Regionen – egal ob arm oder reich.
SPIEGEL: Deutschland fällt Ihnen da nicht ein?
Murton: Es gibt zahllose Bespiele von den letzten Jahrzehnten für deutsch-britische Partnerschaft in Bezug auf Klimawandel - deutsche Unternehmen haben einen großen Beitrag zum Erfolg der britischen Offshore-Windparks geleistet, und wir arbeiten in Bereichen wie Waldschutz sehr eng zusammen. Ich bin mir sicher, dass Deutschland eine wichtige Rolle in den Vorbereitungen der Klimakonferenz spielen wird.
SPIEGEL: Und wer sind die "bad boys"? Sieben Länder, darunter Australien, Russland und Japan wollen ihre Klimaziele nicht erhöhen und zeigen auch sonst wenig Interesse am Uno-Prozess. Die USA sind ohnehin ganz raus.
Murton: Ich glaube daran, dass ich diese Länder noch überzeugen kann. Denn die Investitionen in Klimaschutz und erneuerbare Energien sind in ihrem ökonomischen Interesse. Geld, was jetzt in fossile Energien fließt, ist schlecht angelegt. Indien verkauft mittlerweile Solarstrom für spektakuläre dreieinhalb Cent pro Kilowattstunde. Diese Länder werden zukünftig auch Produkte viel billiger herstellen können, weil der Strompreis niedriger ist. Jeder, der da nicht mitmacht, wird verlieren.
SPIEGEL: Aber fossile Energien wie Kohle, Öl und Gas werden immer noch von den meisten Ländern subventioniert. Deshalb haben Wissenschaftler der britischen Universität Exeter nun dazu aufgerufen, dass alle Länder des Weltklimaabkommens diese steuerfinanzierte Förderung für klimaschädliche Energien streichen sollen. Würden Sie das unterschreiben?
Murton: Großbritannien ist das erste Land der Welt, das erklärt hat, bis 2050 klimaneutral zu werden. Wir werden das aber nur in Zusammenarbeit mit Unternehmen schaffen. Wir müssen unsere Politik so gestalten, dass es für Investoren profitabler ist, in klimafreundliche Lösungen zu investieren, als in Kohle, Gas oder Öl. Fossile Investitionen werden über kurz oder lang zu "stranded assets", also gestrandeten Vermögenswerten. In Gesprächen weisen wir immer darauf hin, dass staatliche Hilfen für Kohlekraftwerke die sozialen und ökologischen Probleme nur noch größer machen.
SPIEGEL: In einem Jahr findet in Glasgow der nächste Uno-Klimagipfel statt. Was muss passieren, dass es eine erfolgreiche Konferenz wird?
Murton: Die Konferenz wird ein Erfolg, wenn die Staaten nach Abschluss der Verhandlungen auf einem irreversiblen Pfad in Richtung einer CO2-freien Gesellschaft sind. Die Staatschefs müssen Glasgow mit dem Gefühl verlassen, dass sie den Wandel wirklich anpacken wollen.
SPIEGEL: Was wäre ein Scheitern? Immerhin könnte der Klimaleugner Donald Trump wiedergewählt werden und noch mehr Länder aus dem Abkommen austreten…
Murton: …mein Job ist es, optimistisch zu sein. Und deswegen bin ich mir sicher, dass wir es schaffen.