
Wahlarithmetik So könnte eine Zukunftsampel funktionieren


Wahlplakate in Berlin, September 2021
Foto:Kay Nietfeld / dpa
Das wichtigste politische Thema der nächsten Legislaturperiode – und auch der darauffolgenden – ist Klimapolitik. Die Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren der vergangenen Jahre sind nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was an Klimaveränderungen auf uns zukommt. Gleichzeitig wird sich die Weltwirtschaft in den nächsten Jahren schneller, als man sich das im Moment vorstellen kann, Richtung CO₂-Neutralität bewegen. Darauf ist auch die deutsche Industrie – nicht nur die Autobranche – bislang nicht vorbereitet.
Die nächste Regierung wird einerseits Vorbereitungen treffen müssen für wetterbedingte Katastrophen, die jetzt schon nicht mehr abzuwenden sind. Andererseits wird sie dafür sorgen müssen, natürlich auch im internationalen Konzert, dass die Menschheit das Schlimmste doch noch verhindert. Und dafür, dass Deutschland in dieser neuen Welt wettbewerbsfähig bleibt, womöglich sogar wieder Vorbild wird.
Abgewirtschaftet
All das wird mit enorm hohen Tempo geschehen müssen, denn die Bundesregierungen der vergangenen 16 Jahre haben bei diesen Aufgaben leider kläglich versagt. Das ist auch der Grund, warum die Unionsparteien dringend auf die Oppositionsbank gehören. Sie haben bewiesen, dass sie es nicht können (oder wollen), weder in Sachen Klimaschutz noch in Sachen Digitalisierung.
Deutschland liegt, was digitale Fortschritte insbesondere im unternehmerischen Bereich angeht, in Europa übrigens derzeit auf dem vorletzten Platz, glaubt man der Studie einer privaten Wirtschaftshochschule . Hinter uns liegt nur noch Albanien.
Die Union hat ihre Klimapolitik von der massiven Korruption verdächtigen Leuten machen lassen, sie hat Klima-»Skeptikern« und Windkraftgegnern im Wirtschaftsministerium Verantwortung gegeben, sich von den Braunkohlekonzernen über den Tisch ziehen lassen – zulasten der Steuerzahler – und der Umstellung der Mobilität sowie dem Ausbau alternativer Energiegewinnung und Infrastrukturen ständig im Weg gestanden.
Diese Phase wird hoffentlich sehr kurz
Und spätestens nach den letzten schäbigen Wahlkampfmanövern sollte allen übrigen Parteien klar sein: Diese Laschet-Union hat abgewirtschaftet. Sie braucht dringend eine Erholungsphase.
Bleiben vier demokratische Parteien, die potenziell eine den anstehenden Aufgaben gewachsene Regierung bilden können.
Die Linke hat sich mit ihren Positionen zur Außenpolitik, zur Nato, zu Wladimir Putins kleptokratischem Regime und zur Rettung afghanischer Ortskräfte für eine Regierungsbeteiligung effektiv disqualifiziert. Das sehen erklärtermaßen die Grünen so, und auch bei Olaf Scholz hat man nicht wirklich das Gefühl, dass er das mit der rot-grün-roten Option wirklich ernst meint. Die Linke wird nach der Wahl vorübergehend zur Droh- und Verhandlungsmasse werden, und diese Phase wird hoffentlich möglichst kurz währen. Wir haben nämlich keine Zeit.
Nicht nur das kleinste Übel
Und schon bleibt nur noch eine Ampelkoalition übrig, aktuell mutmaßlich unter der Führung eines Kanzlers Olaf Scholz. Diese Koalition wäre aber nicht nur das kleinste Übel. Sie könnte, zumindest theoretisch, sogar eine gelungene Mischung sein.
Die Rollenverteilung in so einer – gedachten, idealen – Ampelkoalition wäre klar. Alle drei Parteien, SPD, Grüne und FDP, haben den Klimawandel als drängendes Problem anerkannt. Es würde Parteichef Christian Lindner zufallen, irrlichternde Querschläger innerhalb seiner Partei einzufangen. Leute wie Nicola Beer, die immer wieder mit hanebüchenen Relativierungen (»kleine Ausschläge, die nicht ins Gewicht fallen«) zum Thema Klimakrise auffallen.
Die FDP müsste sich auch von der wirklich seltsamen Idee verabschieden, dass »Freiheit« vor allem beim ungebremsten Verbrennen fossiler Brennstoffe entsteht. Und sie dürfte diesmal nicht in letzter Minute kneifen, aber das würde Christian Lindner als Parteivorsitzender wohl ohnehin nicht überleben.
Die drei Parteien und ihre Kernkompetenzen
Für die gewaltige Reform- und Umstrukturierungsaufgabe der kommenden Jahre braucht es eine ganze Reihe von Zutaten, und die könnten die drei Parteien einer solchen Zukunftsampel, auf dem Papier zumindest, durchaus liefern.
Die Grünen haben das am besten durchdachte Konzept zum Klimaschutz. Auch ihres reicht einer Studie des wahlkampfunverdächtigen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nicht aus, um Deutschland im Rahmen eines 1,5-Grad-Budgets zu halten. Aber es ist von allen Parteien am nächsten dran, sagt das DIW .
Die FDP hat ein Klimaschutzkonzept mit großen Lücken vorgelegt, und sie propagiert teilweise erwiesenermaßen unsinnige Ansätze wie sogenannte E-Fuels für Autos. Die haben einen weit niedrigeren Wirkungsgrad, als einfach Elektroautos direkt mit Strom vom Windrad oder der Solaranlage zu betanken. Und wir müssten sie importieren.
In einer Zukunftsampel aber könnte die FDP gesichtswahrend von solchen albernen Ablenkungsmanövern lassen und hoffentlich eine Stärke ausspielen, die doch eigentlich zu den Kernkompetenzen einer liberalen Partei gehören sollte: effektive Deregulierung.
Die brauchen wir nämlich dringend, aber ohne das zunehmend lächerliche »Verbote, Verbote«-Warngeheul. Was, da hat sogar Armin Laschet ausnahmsweise recht, in Deutschland wirklich dringend schneller und schlanker werden muss, sind Genehmigungsverfahren insbesondere für Infrastrukturprojekte. Seien es Windparks, Bahn- oder Stromtrassen. Deutschland braucht sehr schnell ein Infrastruktur-Update von gewaltigem Umfang, und wer könnte da besser das Paragrafendickicht lichten als die Partei, zu deren Credo schon immer »weniger Staat« gehörte?
Bonus: bei Bürgerrechtsfragen müssten sich gerade FDP und Grüne eigentlich sehr schnell einig werden. Und die FDP könnte der grünen Parteispitze im Gegenzug helfen, sich ihrerseits gesichtswahrend von einigen an der grünen Basis populären wissenschafts- und technologiefeindlichen Positionen zu verabschieden.
Scholz ist kein Klimaschützer
Die SPD wiederum ist zwar an der derzeitigen Misere in Klima- und Digitalisierungspolitik als langjährige Regierungspartei durchaus mitschuldig, und Olaf Scholz hat sich wahrhaftig nicht als Klimaschützer hervorgetan, ganz im Gegenteil.
Eine echte Läuterung ist Teilen der Partei da aber durchaus abzunehmen – solange es ihr gelingt, sich von ihrer traditionellen Begeisterung für alles, was mit Kohle zu tun hat, zu lösen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze wurde in der vergangenen Legislaturperiode noch von ihrem eigenen Parteifreund Scholz gebremst. In einer rot-grün-gelben Koalition könnten die progressiven, klimabewussten Kräfte der SPD sich hoffentlich besser entfalten.
Vor allem aber könnte, wenn man von den alten Kernkompetenzen der Parteien ausgeht, die SPD sicherstellen, dass die notwendigen Umstellungen auch tatsächlich sozialverträglich ablaufen. Dass Mehrkosten durch höhere CO₂-Steuern etwa vor allem Menschen mit hohem Einkommen und Vermögen treffen, nicht diejenigen, die ohnehin schon wenig haben. Da wiederum sollte rot-grün genügend Gewicht mitbringen, die FDP zu überstimmen.
Die Grünen für echte Klimapolitik, die FDP für die dazu nötige Deregulierung, Unternehmerkultur und Beschleunigung, die SPD fürs Soziale – wenn eine solche Bundesregierung tatsächlich bereit wäre, sich schnell, konstruktiv und kompromissbereit den anstehenden Aufgaben zu widmen, statt gleich wieder in Wahlkampf zu verfallen, könnte sie ein echter Gewinn für Deutschland und die Welt werden.