
Caracallafeldzug 2013: Marschieren wie die alten Römer
Wie läuft es sich in römischen Soldatenstiefeln? Wie trägt man am besten einen sieben Kilogramm schweren Schild? 22 Freiwillige testeten auf einem 140-Kilometer-Marsch römische Ausrüstung im Selbstversuch. Einiges ging dabei schon am ersten Tag zu Bruch.
Damit sie keine kalten Füße bekamen, trugen römische Legionäre Tibialia - gefilzte Socken, die bis zum Knie hinaufreichten. Angeblich sollten die Fußwärmer verhindern, dass die Schuhe bei langen Märschen Blasen scheuern. "Aber irgendetwas haben wir falsch gemacht", gibt Marcus Vinicius Telesporus zu. Der Lagerarzt ist mit einem Erkundungstrupp 140 Kilometer durch römisch-germanisches Grenzgebiet gewandert, vom Grenzkastell Aalen am Limes zum Kastell Osterburken. "So etwas habe ich noch nie gesehen, die ganze Fußfläche war eine einzige Blase", schaudert der Medicus. "Wir haben meterweise Blasenpflaster verbraucht."
Zwar hatten die Römer im 3. Jahrhundert Socken, aber natürlich keine Blasenpflaster. Die hat der Lagerarzt also nicht als Marcus Vinicius Telesporus verteilt, sondern als Marcus Resch. "Da wurde dann ein bisschen geschummelt", gibt er zu. "Aber die Alternative wäre gewesen, aufzuhören - und das kam nicht in Frage." Auch Schmerzmittel durfte der Arzt nicht originalgetreu verabreichen: "Mit der damals üblichen Opiumnarkose bekomme ich bei der Zulassung vor Ort meist Probleme."
Die Blasen haben sich die 22 Teilnehmer des Projekts Caracallafeldzug 2013 im Dienste der Wissenschaft gelaufen. Bei ihrem Marsch ging es unter anderem darum, römische Ausrüstung zu testen. Wie tauglich sind die gängigen Rekonstruktionen römischer Schuhe? Wie muss eine römische Hose geschnitten sein, damit sie nicht scheuert? Wie trägt man am besten einen sieben Kilogramm schweren Schild durch die Landschaft?
"Unsere wissenschaftliche Betreuung findet durch das Limesmuseum Aalen und durch Andreas Hensen von der Universität Heidelberg statt. Wir haben für sie Schuhwerk, Verpflegung und die Wettertauglichkeit von Rüstungen und Zelten getestet", erzählt Resch im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Schlicht hält länger
Anlass für den Marsch war das 1800-jährige Jubiläum des Germanienfeldzugs des römischen Kaisers Caracalla. Der kam im Jahr 213 an den Limes. Es gab Gerüchte über eine neue Germanengruppe, die für Unruhe an der Grenze sorgte. Dem Spuk wollte der Kaiser mit einem Präventivschlag ein Ende setzen. In Erinnerung an den Feldzug des Caracalla stellten die Mitglieder der Gruppe Numerus Brittonum , einer Abteilung des Historischen Vereins Welzheim, einen Spähertrupp dar, der für das kaiserliche Hauptheer Wege und Lagerplätze erkundet. Im normalen Leben sind sie Lehrer, Ingenieur oder - wie Resch - Paläontologe. Aber vom 17. bis zum 25. August marschierten sie in Tagesetappen zwischen 14 und 19 Kilometern als Römer durchs Feindesland. "Wir versuchen, alles so authentisch wie möglich zu halten", sagt er. "Wir sind keine Rentner mit Centurioschmuck auf dem Kopf, die zweimal ums Feld marschieren und dann die Bierflaschen ploppen lassen!" Alkohol haben die Teilnehmer des Projekts Caracallafeldzug 2013 sich zwar abends im Lager gegönnt - aber strikt historisch mit zwei Drittel Wasser verdünnt.
Nicht nur die Wollsocken haben im Praxistest versagt. "Schuhe, Schildtrageriemen und Schwertgürtel waren die häufigsten Ausfälle", sagt Resch. Die musste der Schuhmacher der Truppe abends flicken. Schuld waren oft die angebrachten Silberverzierungen. Das Fazit: "Schlicht hat besser funktioniert." Jeder Soldat musste seine 35 Kilo Ausrüstung selbst tragen. Davon entfielen 13 auf das Kettenhemd. Auch Körner für drei Tage mussten die römischen Legionäre tragen. Aber bestimmt nicht in Tonkrügen, wie es auf einigen Triumphbögen dargestellt ist, haben die Wanderer schnell gelernt. Die Krüge seien schon kaputt gewesen, bevor der erste Tag zu Ende war, resümiert Resch. "Das waren also reine Propaganda-Darstellungen."
Basaltstückchen im Mehl
Mit den Körnern haben die Neuzeit-Legionäre auch schummeln müssen. Eine 15 Kilo schwere Getreidemühle hatten sie zwar dabei. "Aber wenn wir fürs Abendbrot genügend Mehl hätten haben wollen, hätte einer immer schon mittags mit dem Mahlen anfangen müssen." Außerdem sind beim Mahlen ständig kleine Basaltstücke abgesplittert, die im Getreidebrei landeten: "So weit, dass wir die hohen Zahnarztrechnungen in Kauf genommen hätten, ging unsere Geschichtsliebe dann doch nicht."
Das Essen brachte der Versorgungstrupp deshalb abends mit dem Auto - inklusive Grillfleisch. Im Rahmen des Experiments war das vertretbar. "Es hätte sonst eine Jagdabteilung gegeben, die auszieht und Tiere erlegt, während andere Soldaten die Zelte aufbauen."
Außerdem gab es Hilfe von unerwarteter Seite. Statt auf feindliche Germanen trafen die Römer oft auf extrem freundliche Einheimische. In dem Blog, das der Lagerarzt während des Marsches führte, schrieb er: "Auch hier ist die Bevölkerung romfreundlich gesinnt und beschlichtete die Truppe umgehend mit Tributzahlungen in Naturalien. Wo lokalisiert Caracalla bloß die Gegner? Bisher trafen wir nur auf friedliche Germanen und auch auf kaum Gegenwehr." Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE übersetzt Resch: "Die haben uns Bleche mit frischem Pflaumenkuchen ins Lager gebracht."
Zu richtig harten Testbedingungen kam es am letzten Tag. Es schüttete wie aus Eimern, und ein Gewitter zog über die Truppe hinweg. "Was die Römer in so einem Fall gemacht haben, weiß ich nicht", erzählt Resch. "Wir aber hätten, wenn es noch schlimmer gekommen wäre, ganz schnell unsere Rüstungen hingeschmissen - denn in Eisen gekleidet bei Gewitter auf einem Feld rumzulaufen, wäre glatter Selbstmord gewesen."