Checkliste für Chirurgen Deutsche Kliniken wollen Operationen sicherer machen
Fünf vergessene Tupfer, zwei verwechselte Füße, drei Nadelstücke in der Wunde - das ist nur ein Teil der 2007 und 2008 gegenüber Haftpflichtversicherungen gemeldeten Schäden in Deutschland. Der Sicherheitsstandard in deutschen Operationssälen ist zwar groß - aber nicht groß genug. Noch immer kommt es hierzulande vor, dass ein Mensch bei einem Routineeingriff stirbt.

Alles im Blick: WHO-Checkliste kann im OP Leben retten
Foto: CorbisSchuld daran ist mitunter nur eine Unachtsamkeit oder die fehlende Kommunikation zwischen den Verantwortlichen. Diese Fehlerquellen wollen die Helios-Kliniken nun mit einem einfachen Fragenkatalog bekämpfen: der Checkliste der Weltgesundheitsbehörde WHO für sichere Operationen.
Auf dem DIN-A4-Blatt der WHO sind Fragen zu dem Eingriff, dem Patienten, seinen Begleiterkrankungen und Allergien notiert. Ein Beauftragter muss sie dem Operationsteam stellen - vor, während und nach der Operation. In einem Pilotprojekt hatten acht Städte rund um den Globus die Liste der WHO getestet. Mit Erfolg: Die Rate schwerwiegender Komplikationen bei chirurgischen Eingriffen fiel von 11 auf 7 Prozent. Auch die Zahl der Todesfälle sank von 1,5 auf 0,8 Prozent .
Diese Erfolgsgeschichte will der Helios-Konzern - nach eigenen Angaben mit insgesamt 62 Krankenhäusern unter den drei größten Klinikketten Deutschlands - nun fortsetzen. In seinen 43 Akutkliniken will das Unternehmen die Checkliste ab dem 1. April 2009 verbindlich einführen, eine achtmonatige Testphase haben einige Krankenhäuser bereits hinter sich. "Wir haben den Fragenkatalog ganz leicht verändert und für Deutschland angepasst", sagt Henning Baberg, Leiter der Prozessentwicklung bei Helios, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE.
Fehlende Kommunikation als fatales Versäumnis
Der Konzern will die Checkliste in den Ablauf von Operationen integrieren, weil bei einfachen Operationen Komplikationen auftraten, die die Chirurgen nicht erwartet hatten. Von insgesamt 200.000 Eingriffen im Jahr 2008 starben 99 Menschen nach Eingriffen mit niedrigem Risiko . "Bei der Analyse dieser Fälle haben wir entdeckt, dass die Ärzte die Gefahr der Operation für den Patienten mitunter nicht richtig eingeschätzt oder kommuniziert haben", erklärt Baberg. So habe etwa ein Stationsarzt den Anästhesisten nicht ausreichend über ein Herzproblem seines Patienten informiert - ein fatales Versäumnis.
"Die Kommunikation zwischen Chirurgie und Anästhesie wird durch die Liste besser werden", hofft Baberg. Praktisch soll es bei jeder Operation einen Verantwortlichen geben, der die Fragen stellt, dafür sorgt, dass Versäumtes nachgeholt wird und dann mit seinem Namen unterschreibt. "So sichern sich auch die Ärzte für spätere Überprüfungen ab", sagt Baberg. Das zusätzliche Blatt Dokumentation würden die Mediziner daher in Kauf nehmen.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) ist von der Zweckmäßigkeit der Checkliste überzeugt und rät ihren Mitgliedern, " sie in ihren Krankenhäusern einzuführen und täglich anzuwenden ." 2008 hatte der damalige Präsident der DGCH, Rainer Arbogast, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE gesagt: "Die Initiative der WHO ist eine vernünftige Sache. Es gibt eine riesige Menge von kleinen Fehlerquellen, und die gilt es zu minimieren."
Missverständnisse und Hierarchieprobleme
Dennoch soll es nur bei einer Empfehlung bleiben, eine gesetzliche Verankerung ist laut Bundesgesundheitsministerium derzeit nicht geplant. "Eine Verpflichtung der Ärzte, die Checkliste im OP zu führen, hält das Gesundheitsministerium nach eingehender Beratung nicht für den richtigen Weg", sagte Sprecherin Ina Klaus zu SPIEGEL ONLINE. Zum einen gebe es das sogenannte Cirs (Critical Incident Reporting System). Dabei melden Chirurgen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie anonym Fehler, die ihnen unterlaufen sind. Die Gesellschaft berät dann im Anschluss, wie die Ärzte solche Fälle in Zukunft vermeiden könnten.
Zum anderen unterstütze das Ministerium die Initiative des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. Das bietet "Handlungsempfehlungen zur Vermeidung von Eingriffsverwechslungen in der Chirurgie" an, die es 2007 an 2000 Krankenhäuser ausgegeben hatte, wie das Ärzteblatt berichtete . Doch die Beurteilung fiel gemischt aus: Einige Anweisungen, wie etwa das "Team-Time-Out", seien missverständlich formuliert, die eigens für OPs angefertigten Poster würden mitunter übersehen und in einigen Kliniken sei es sogar zu Hierarchieproblemen gekommen. Das Frankfurter Universitätsklinikum hingegen kam nach einem Testlauf zu einem positiven Ergebnis, das Ärzteblatt zitiert den Pflegewirt Thomas Wietryckus: "Seitdem gab es keine Beinahe-Verwechslungen mehr."
Ob auch mit der Checkliste der WHO Probleme auftreten werden, wird sich noch zeigen müssen. "Auf der Liste stehen eigentlich nur Sachen, die Ärzte, Pfleger und Schwestern schon heute machen müssen", meint Helios-Organisationsleiter Baberg. "Jetzt wird es nur strukturierter ablaufen und dadurch können wir hoffentlich Fehler vermeiden."