CO2-Entsorgung Klimakiller ab in den Untergrund
Die Hügellandschaft südlich von Kattowitz in Polen gehört zu den größten Kohlereservoiren Europas. Wer hier das Erdreich aufgräbt, hat gewöhnlich nur ein Ziel: dem Boden seine Schätze zu entreißen. Seit kurzem jedoch testet ein internationales Forscherteam auf dem rohstoffreichen Grund genau das Gegenteil. Anstatt Kohle aus der Tiefe nach oben zu befördern, wollen die Forscher durch den Bohrkanal in den kommenden Monaten mehr als 40 Tonnen CO2 in den Untergrund pressen, etwa 1200 Meter tief, bis zu einer Steinkohleschicht, in deren feinen Poren sich das Gas festsetzen soll.
Auf der ganzen Welt laufen zurzeit umfangreiche Experimente zur "Sequestrierung", wie diese neue Form der Schutzhaft für Kohlendioxid im Fachjargon heißt. Allein die US-Regierung investiert inzwischen jährlich knapp 50 Millionen Dollar, um mögliche Speicherkonzepte für CO2 zu erproben - von der Lagerung in unterirdischen Gesteinsschichten bis zum Versenken im Meer. Die EU-Kommission hat gerade erst mehr als 30 Millionen Euro für fünf neue Sequestrierprojekte freigegeben.
Den Klimakiller einfach fangen und wegschließen - die Idee klingt bestechend. Aber lässt sie sich auch umsetzen? Wird da nicht ein gigantisches Geoexperiment in Gang gesetzt, das am Ende womöglich zusätzliche Umweltprobleme schafft oder lediglich als Imagepolitur dient, um den angeschlagenen ökologischen Ruf der fossilen Brennstoffe aufzubessern? Lohnt sich der Aufwand überhaupt?
Die Klimafakten sprechen dafür. Kohlendioxid spielt der gängigen wissenschaftlichen Lehrmeinung zufolge eine entscheidende Rolle beim Wandel des irdischen Klimasystems. Dabei ist das Gas eigentlich kein Umweltzerstörer, denn Pflanzen benötigen CO2 für ihren Stoffwechsel. Die Gas-Moleküle fungieren aber auch als Wärmespeicher: Sie schlucken vom Erdboden reflektierte Sonnenstrahlung und heizen so die Lufthülle auf.
Um zu verhindern, dass das Wetter Kapriolen schlägt und die Erde immer häufiger von Hitzewellen, Wirbelstürmen oder monsunartigen Regenfällen heimgesucht wird, darf die globale Erwärmung nach Ansicht der IPCC-Mitglieder (Intergovernmental Panel on Climate Change) zwei Grad nicht überschreiten. Dieser Grenzwert ist wahrscheinlich nur mit drastischen Emissionsbeschränkungen für CO2 einzuhalten- wesentlich drastischeren, als etwa im Kyoto-Protokoll festgelegt. Die weltweiten CO2-Emissionen müssten bis zur Jahrhundertmitte um ein Drittel, die der Industrieländer sogar um 80 Prozent reduziert werden.
Der Anteil von Sonne, Wind und Wasserkraft am weltweiten Energiemix wird allerdings nur langsam wachsen. Im Business-as-usual-Szenario der Internationale Energieagentur IEA liegt er 2030 erst bei sechs Prozent; nicht zuletzt, weil Schwellenländer wie China und Indien über riesige Kohlevorräte verfügen und den Abbau der Rohstoffe massiv fördern, um ihren Wirtschaftsaufschwung zu beschleunigen.
Bleibt die Sequestrierung. In seinem jüngsten "Fahrplan für eine Energiewende zur Nachhaltigkeit" geht Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen davon aus, dass in den kommenden hundert Jahren bis zu 1000 Milliarden Tonnen CO2 in der Erdkruste gespeichert werden.
Drei grundsätzlich verschiedene Abfangtricks haben Ingenieure für Großverschmutzer wie Kraftwerke entwickelt. Am besten erprobt sind Verfahren, bei denen das Kohlendioxid nach der Verbrennung von Erdgas oder Kohle aus dem Rauch herausgefischt wird. Ein chemisches Reinigungsmittel, zumeist ein Amin, ein Ammoniak-Derivat, wird von oben in das Rauchgas geschüttet. Die Kohlendioxid-Moleküle verbinden sich mit der Waschsubstanz und sinken nach unten, während das übrige Abgas aufwärts steigt und abzieht. In der chemischen Industrie sind Amin-Wäschen längst Standard, etwa in Düngemittelfabriken, die das abgetrennte CO2 an Kunststoffhersteller oder Getränkefabriken weiterverkaufen.
Wesentlich bequemer lässt sich das Kohlendioxid abfangen, wenn man das Brennmaterial im Kraftwerk nicht, wie üblich, mit Luft, sondern mit reinem Sauerstoff verfeuert. Das Abgas besteht dann überwiegend aus zwei Komponenten - CO2 und Wasserdampf -, die durch Kühlen trennbar sind: Der Dampf kondensiert zu Wasser, das Kohlendioxid bleibt übrig. Der Haken an diesem "Oxyfuel-Verfahren": Üblicherweise gewinnt man reinen Sauerstoff, indem man ihn bei minus 200 Grad aus flüssiger Luft abdestilliert, ein Prozess, der ebenfalls sehr energieaufwendig ist.
Bei der dritten Methode wird das CO2 noch vor dem Verfeuern aus dem Brenngas geholt. Der Vorteil: Das Brenngas ist in der Regel komprimiert, sein Volumen klein und seine Kohlendioxid-Konzentration hoch, sodass es relativ einfach ist, das Treibhausgas abzutrennen. Weil das natürlich nur bei gasförmigem Brennmaterial funktioniert, erfordert die frühe Reinigung in Kohlekraftwerken aber einen zusätzlichen Arbeitsschritt: Die festen Kohlebrocken müssen vor der Feuerung in ein Synthesegas umgewandelt werden - keine ganz neue Technik.
Kraftwerke mit integrierter Kohlevergasung (IGCC) hielten bereits in den achtziger Jahren Einzug in die Energielandschaft, allerdings ohne sich dauerhaft auf dem Markt durchzusetzen. Jetzt könnte die Sequestrierung dem verschmähten Kraftwerksmodell zu neuer Beliebtheit verhelfen. Denn in einer IGCC-Anlage lässt sich das CO2 nicht nur besonders leicht einfangen. Das Kraftwerk bleibt trotz des Abfangsystems auch vergleichsweise effizient, da man in einem IGCC Gasturbinen und Dampfturbinen hintereinander schalten kann.
Lesen Sie im zweiten Teil:
Wohin Wissenschaftler das Kohlendioxid verfrachten wollen und welche Gefahren von unterirdischen CO2-Lagerstätten ausgehen
Als Kerker für den Klimakiller kommen ganz unterschiedliche Speicherorte in Frage. Seit vier Jahren strömen beispielsweise täglich rund 5000 Tonnen CO2 durch Rohrleitungen von einer Fabrik für synthetische Treibstoffe im Norden der USA nach Kanada zu einem nahezu ausgebeuteten Ölfeld namens Weyburn. Dort lässt die kanadische Ölgesellschaft EnCana das Gas in stillgelegten Bohrlöchern verschwinden - mit einem willkommenen Nebeneffekt: Das in den Untergrund gepumpte Kohlendioxid vermischt sich mit den Ölresten in der Lagerstätte, vergrößert das Volumen der Rohöls und erhöht so den Förderdruck.
Um den drohenden Klimaumschwung abzuwenden, reicht die Aufnahmekapazität der Öl-, Gas und Kohlereservoire allerdings kaum aus. Wollte man in ihnen das gesamte von Menschen produzierte CO2 einlagern, wären die Speicher spätestens nach 30 Jahren voll, so die Analysen der Internationalen Energieagentur.
Weit mehr Stauraum bieten so genannte salinare Aquifere, ausgedehnte, salzwasserhaltige Sandsteinschichten, die das CO2 gleich einem Schwamm in ihren Poren aufsaugen. Wie Messungen des norwegischen Ölkonzerns Statoil ergaben, könnte allein das geräumige Sleipner-Reservoir gut hundert Jahre lang die CO2-Emissionen sämtlicher europäischen Kraftwerke aufnehmen. Der Speicherplatz aller salinaren Aquifere auf der Erde reicht vermutlich noch um ein Vielfaches länger. Zumindest, wenn sich die Hochrechnungen der internationalen Energieinstitute als richtig erweisen.
"All diese Zahlen sind vorläufig noch sehr unsicher", gibt Franz May von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover zu bedenken. Die systematische Diskussion über die Speichermöglichkeiten habe gerade erst begonnen. "Momentan ist ja nicht einmal die Rechtslage geklärt." Wer darf den Gas-Müll wo hinpacken? Fällt die Lagerung unter das Abfallgesetz? Oder unter das Berggesetz wie bei Erdgas? Wer haftet für die Sicherheit der Speicher? Und wie lange sollen sie überdauern? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Oder mindestens bis zur nächsten Eiszeit?
Für ein anderes Modell der CO2-Entsorgung könnten genaue juristische Gutachten indes das endgültige Aus bedeuten: Die Ozeane sind mit Abstand die größten natürlichen Kohlendioxid-Reservoire der Erde. Und ihr Aufnahmevermögen ist noch längst nicht erschöpft. Länder wie Japan, die über wenig geologischen Speicherplatz verfügen, würden sich das gern zunutze machen und ihre CO2-Abgase direkt ins Meer einleiten, entweder hinunter bis auf den Grund, wo das flüssige Kohlendioxid unter dem hohen Wasserdruck zu einer Art See zusammengeballt liegen bliebe.
Oder nur bis in mittlere Wasserschichten, in denen sich das Gas vollständig lösen würde. Gelöstes CO2 bildet jedoch Kohlensäure und senkt den pH-Wert des Wassers. Bei steigendem Säuregrad nimmt zum Beispiel die Wachstumsrate von Miesmuscheln merklich ab, wie Biologen des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung vor kurzem herausfanden.
Grundsätzlich fürchten Greenpeace, der WWF und andere Umweltgruppen, dass zu viele Fördermittel in die Sequestrierung fließen, die dann beim Ausbau der erneuerbaren Energien fehlen. Dabei, so argumentieren sie, verschlinge die gesamte Speicher-Prozedur auch noch zusätzliche Energie. Statt Treibhausgas zu vermeiden, erzeuge man also mehr und verbuddele es für kommende Generationen - womöglich mit gefährlichen Folgen.
Kohlendioxid ist zwar nicht giftig, aber schwerer als Luft, kann sich am Boden sammeln und dort alles Lebende ersticken. Bei einer plötzlichen CO2-Eruption an einem Vulkansee in Kamerun beispielsweise kamen 1986 mehr als 1500 Menschen ums Leben. Die Sicherheit der Lagerstätten sei bisher deutlich zu wenig erforscht, warnt Greenpeace-Mitarbeiterin Gabriela von Goerne. "Stellt man die Weichen fürs Sequestrieren, ohne über die potenziellen Risiken Bescheid zu wissen, beschert uns die Technologie vielleicht ein zweites Atommüllproblem."
Doch den Vergleich mit Nuklearabfällen halten Geologen wie Franz May dennoch für "absolut überzogen". Ehemalige natürliche Erdgas- und Ölreservoire hätten jahrtausendelang bewiesen, dass sie dichthalten. Gleichwohl stimmen die Befürworter den Gegnern der Sequestrierung zu, dass die Zuverlässigkeit der verschiedenen Lagerarten in zukünftigen Experimenten noch besser ausgetestet werden muss.
Gleichzeitig gilt es, wirtschaftliche Anreize zum CO2-Sparen zu schaffen. Sequestrieren ist teuer: Einfang, Transport und Lagerung von einer Tonne Kohlendioxid addieren sich derzeit, je nach Fangmethode und Speicherart, zu Beträgen zwischen 40 und 85 Euro, wobei das Abtrennen am Kraftwerk ungefähr drei Viertel der Gesamtsumme ausmacht.
Indem sie weiter an der Abtrenntechnik feilen, wollen Anlagenbauer die Gesamtkosten langfristig auf 20 bis 30 Euro drücken. Zum Vergleich: Die CO2-Vermeidungskosten für Windkraft liegen momentan mit 40 bis 70 Euro je Tonne in derselben Größenordnung, die für Solarenergie noch eine ganze Zehnerpotenz höher.
Ein Projekt auf dem Weg in diese CO2-freie Energiezukunft wird vielleicht sogar die Kritiker der Sequestrierung ein bisschen mit der Speichertechnik versöhnen: In unmittelbarer Nähe des geplanten Kohlendioxid-Depots im Havellandstädtchen Ketzin soll eine Vergasungsanlage für Pflanzenabfälle gebaut und an das Reservoir angeschlossen werden.
Ein solches Biomasse-Kraftwerk hat schon im Normalfall eine ausgeglichene CO2-Bilanz. Es stößt nur so viel Kohlendioxid aus, wie die Pflanzen zu Lebzeiten aufgenommen haben. Fängt man dieses Abgas nun noch im Speicher auf, wird das Kraftwerk gewissermaßen zum Klimaschützer: Statt Treibhausgas abzugeben, fischt es CO2 aus der Luft - und entlastet die Atmosphäre.
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