Pressestimmen zur Klimakonferenz in Madrid "Auf welchem Planeten leben die denn?"

Abschluss-Plenum der Klimakonferenz in Madrid: "Ruhmloses Ende"
Foto: OSCAR DEL POZO / AFPTausende Teilnehmer aus 200 Ländern, nach Verlängerung ein neuer Rekord bei der Länge der Klimakonferenz - und am Ende nur ein Minimalkompromiss. Bei der Neugestaltung des Marktes für CO2-Zertifikate konnte man sich überhaupt nicht einigen, auch andere wichtige Aspekte mussten auf den Gipfel in Glasgow im kommenden Jahr vertagt werden.
So sehen die Kommentare in den deutschen und internationalen Medien das magere Ergebnis der Mammutkonferenz:
"Die Welt", Berlin:
"Die Umschreibung der Vereinten Nationen als "Staatengemeinschaft" ist im Klimaschutz nicht mehr zutreffend. Die Gemeinschaft ist zerfallen. Das ruhmlose Ende der 25. Weltklimakonferenz von Madrid zeigt, dass globaler Multilateralismus im Kampf gegen die Erderwärmung eine fehlgeleitete Hoffnung war. Das würde aber nicht das Ende des Klimaschutzes bedeuten. Regionale Initiativen beweisen längst ihre Effektivität. Die jährlichen Mammutkonferenzen der Uno mit Zehntausenden Teilnehmern sind da überflüssig. Sie sind im besten Fall nur Geldverschwendung, im schlechtesten rundheraus kontraproduktiv, weil sie falsche Hoffnungen schüren. Sie gehören abgeschafft."
"Die Zeit", Hamburg:
"Wohl nie war die Kluft zwischen dem, was Klimaschützer wissenschaftlich fundiert fordern, und dem, was ein Uno-Klimagipfel überhaupt zu leisten vermag, so groß. Zum Schluss ging es in Madrid nur noch um Schadensbegrenzung, ausgerechnet am Ende eines Jahres, in dem Millionen Menschen in aller Welt für mehr Klimaschutz demonstriert haben, in dem die Warnungen der Wissenschaft vor den Folgen der Klimakrise lauter geworden sind, und in dem klar geworden ist, wie sehr die Zeit drängt."
ZDF, Mainz
"Da haben sie alle gedacht: Das Klimaschutzabkommen von Paris ist ja verabschiedet, jetzt geht es los mit dem globalen Klimaschutz. Die Konferenz von Madrid zeigt, dass es sich dabei um eine grobe Fehleinschätzung handelt. Die 25. Klimakonferenz fühlt sich an wie ein - letztes? - Aufbäumen der Länder, die nach wie vor von der Öl- und Kohlelobby beeinflusst werden. Oder von der Agrarlobby, wie die Beispiele Brasilien und Argentinien zeigen.
Die pure Angst, die nationalen Agrarpolitiken umzubauen, weil natürlich die Rodung für Weideland und die Ausweitung der Viehhaltung den Klimawandel antreiben, führt zu Blockadeattacken, wo es nur geht. Zum Beispiel bei der Anerkennung des Berichts des Weltklimarates über die Wechselwirkung von Landnutzung und Klimawandel. Die heftigen Diskussionen haben hier nicht nur die Konferenz-Präsidentschaft überrascht."
"Berliner Morgenpost":
"Mit den aktuellen Zusagen zur Emissionsminderung steuert die Welt auf über drei Grad Erwärmung zu. Das ist kein Geheimnis. Man kann davon ausgehen, dass auch die Regierungen in den USA, Australien, Brasilien und Saudi-Arabien die entsprechenden Berichte kennen. Es ist ihnen nur offensichtlich egal. Die Botschaft, die von Madrid damit ausgeht, ist fatal. Den kleinen Inselstaaten und vielen anderen, verwundbaren Ländern in der ganzen Welt sagt dieses Ergebnis: Unsere nationalen Interessen gehen vor - euer Überleben ist zweitrangig.
Und den Millionen, die im vergangenen Jahr auf die Straße gegangen sind in der Hoffnung, der Wissenschaft bei den Regierenden Gehör zu verschaffen, sagt dieser Abschluss: Auf uns könnt ihr euch nicht verlassen.
Das ist brandgefährlich. Wenn multilaterale, auf Konsens angelegte Systeme so krachend scheitern, dann laufen sie Gefahr, das Vertrauen gerade der vielen jungen Klimaaktivisten in die Demokratie grundlegend zu erschüttern."
"Volksstimme", Magdeburg:
"Besonders enttäuschend ist es, dass es nach diesem Klimagipfel keine Fortschritte beim Ausbau des weltweiten Emissionshandels geben wird. Könnten sich die Staaten hier auf den Preis von CO2 einigen und gäbe es - wie in Europa - zentrale Stellen, die Zertifikate vergeben, würde Klimaschutz endlich überall in der Welt ein echter wirtschaftlicher Faktor. Die Chance ist erst einmal vertan. Das hat auch Folgen für Europa, wo steigende Preise für Emissionen einen globalen Wettbewerbsnachteil ergeben könnten. Die Voraussetzungen für stärker steigende Preise für Klimagas werden schlechter.
Eine Einigung über die Hilfen für Weltregionen, die besonders vom Klimawandel betroffen sind, ist demgegenüber weit komplizierter. Wie sollen Länder bedacht werden, die schon den Großteil ihrer Entwicklungshilfe unter ihren Eliten verteilen? Länder, die damit überfordert sind, Maßnahmen zu planen und umzusetzen. Das sind Probleme, die in vielen Jahrzehnten nicht gelöst werden konnten."
"Südkurier", Konstanz:
"Auf welchem Planeten leben die Teilnehmer der Klimakonferenz eigentlich? Nicht dort offenbar, wo seit einem guten Jahr Millionen von jungen Leuten für das Klima auf die Straße gehen. All das Demonstrieren, all die Appelle und Debatten wurden von der Konferenz in Madrid letztlich ignoriert. Wichtige Beschlüsse, wie der Handel von CO2-Verschmutzungsrechten, wurden vertagt, andere umschifft, wie die Gründung eines Fonds für die Folgen des Klimawandels. So, das zeigt dieser Gipfel wieder einmal, wird das nichts mit dem Klimaschutz. Der multilaterale Ansatz bringt uns nicht weiter: Obwohl die Welt ein gemeinsames Interesse daran haben müsste, kommt sie nicht auf einen gemeinsamen Nenner. Es ist Zeit, die kostspieligen, langwierigen und letztlich sinnlosen Gipfel endlich bleiben zu lassen. Und stattdessen auf Klimaschutzprojekte mit denen zu setzen, die dabei sein wollen. Länder und Regionen vernetzen sich längst für das gemeinsame Ziel. Und sie sind erfolgreich damit."
"Badische Neueste Nachrichten", Karlsruhe:
"Nationale Egoismen sorgten in Madrid dafür, dass keine harten Regeln eingeführt wurden, um das Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, nämlich die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu drücken. Boomende Industrienationen wie China und Indien wollen weiter wachsen, sie agieren gegen zu hohe CO2-Einsparungsziele, weil die Geld kosten - und wenn sie am Ende doch einem Kompromiss zustimmen, weiß niemand, ob sie ihn wirklich einhalten. Denn wirkungsvolle Kontrollen gibt es nicht."
"Neue Zürcher Zeitung":
"Die Klimakonferenz in Madrid hat das Ziel, den Elan des Pariser Abkommens von 2015 zu bewahren und dessen Regelwerk zu vollenden, deutlich verfehlt. Auch die vorgeschlagene Finanzierung von Schäden durch Folgen des Klimawandels blieb umstritten. Nicht einmal zu einem klaren Bekenntnis, alle nationalen Klimaziele wie ursprünglich vorgesehen im kommenden Jahr zu verschärfen, konnten die Delegierten sich durchringen - es blieb beim Appell.
Es hat sich im Laufe der Zeit als charakteristisch für die internationale Klimapolitik erwiesen: Größere Entscheidungen werden zunächst in den Himmel gelobt - und einige Jahre später heftig kritisiert. Dem Pariser Abkommen droht nun ein ähnliches Schicksal wie dem Kyoto-Protokoll. Die Ambivalenz des in Paris beschlossenen Texts, die für den Erfolg mitverantwortlich war, ermöglichte es geschickten Verhandlern, bei der weiteren Diskussion über das Regelwerk allerlei Winkelzüge zu machen."
"de Volkskrant", Amsterdam:
"Natürlich enden solche Treffen oft mit Versprechungen und frommen Worten, die später wenig wert sind. Aber auf der Pariser Klimakonferenz 2015 wurde zumindest ein Geist der Zusammenarbeit konstatiert, der in Madrid nur schwer zu finden war. Das Scheitern von Madrid droht die Unterstützung für die Klimapolitik zu untergraben. Warum sollte Europa teure und manchmal sogar schmerzhafte Maßnahmen ergreifen müssen, während der Rest der Welt weiterhin Treibhausgase emittiert?
Trotzdem muss Europa die Klimapolitik auf vernünftige Weise fortsetzen. Erstens, weil die Klimakrise so akut ist, dass Europa seiner Verantwortung in der Hoffnung gerecht werden muss, dass sich andere Länder anschließen. Zweitens, weil viele Klimaschutzmaßnahmen der Umwelt zugutekommen. Alle Menschen haben ein Interesse an sauberer Luft, gut isolierten Häusern oder an der Entwicklung erneuerbarer Energiequellen als Alternative zu fossilen Brennstoffen."
"Times", London:
"Nun fällt Großbritannien als Gastgeber von COP26 in Glasgow im November nächsten Jahres die Aufgabe zu, den Weg zu einer Lösung zu finden. Weitere Beweise für die hohen Kosten des Klimawandels sollten das Kabinett anspornen, dies zu einer vorrangigen Aufgabe zu machen. Die gerade gewählte konservative Regierung hat sich richtigerweise zu hochgesteckten verbindlichen Zielen für die Reduzierung der britischen CO2-Emissionen bekannt. Boris Johnson hat gesagt, er wolle, dass nach dem Brexit ein "globales Großbritannien" eine führende Rolle auf der Weltbühne spiele. Er sollte es zu seiner Mission machen, dass die Delegierten über ihn statt über Greta Thunberg reden, wenn sie Glasgow verlassen."
"La Repubblica", Rom:
"Das Scheitern der Madrider Klimakonferenz ist entsetzlich. Das bedeutet, dass die internationale Gemeinschaft noch mehr Zeit verschwenden wird, ohne die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Die Zeit läuft ab, der Notfall erfordert sofortige Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen, sonst wird die Umweltkrise unumkehrbar und die Folgen noch dramatischer. Leider ist es bisher noch niemandem gelungen zu beweisen, dass Nachhaltigkeit mehr Arbeitsplätze und mehr Einkommen schafft als der Kohlekapitalismus. Europa setzt sich zumindest scheinbar mit dem von Ursula von der Leyen vorgelegten Green Deal dafür ein.
Aber es gibt auch hier Missverständnisse. Es wurde von Hunderten Milliarden Dollar Investitionen gesprochen. Aber die Union setzt sehr wenig Geld ein und erwartet, dass der Rest vom Privatsektor kommt. Die Schwellenländer vermuten zudem, dass der Umweltschutz das neue Kleid der politischen Korrektheit des Protektionismus ist: Denn Ursulas Green New Deal beinhaltet eine Umweltsteuer auf Importe von Waren, die durch die Erzeugung von CO2 hergestellt werden."
"La Croix", Paris:
"Den Unterhändlern scheint es immerhin gelungen zu sein, all das von dem Pariser Klimaabkommen zu retten, was nach dem Ausstieg der Vereinigten Staaten noch zu retten ist. Durch den Mindestkompromiss haben sie zudem bestätigt, dass die Verhandlungen nicht völlig überflüssig sind, auch wenn es keine entscheidenden Fortschritte gab. Den Regierenden der Großmächte fehlt es allerdings an Mut und Weitsicht. Und das trotz aller Warnungen von Forschern und trotz des Engagements der Zivilgesellschaft."