Christian Stöcker

Klima-Konferenz in Madrid Wir sind Hauptschuldige

Das Umweltbundesamt sagt, Sprit muss teurer werden. ADAC und Verkehrsminister reagieren aggressiv. Das hängt mit einem tieferliegenden Problem zusammen: dem Klima-Selbstbetrug der Industrienationen.
Schwere Regenfälle auf den Philippinen: Die Bundesregierung tut weiterhin so, als sei die Klimakrise irgendwie ein abstraktes Problem, das uns doch eigentlich gar nicht richtig betrifft

Schwere Regenfälle auf den Philippinen: Die Bundesregierung tut weiterhin so, als sei die Klimakrise irgendwie ein abstraktes Problem, das uns doch eigentlich gar nicht richtig betrifft

Foto: Jes Aznar/ Getty Images

Meine deutsche Lieblingsbehörde ist das Umweltbundesamt (UBA), weil es ständig furchtlos unpopuläre Fakten publiziert.

Das UBA rechnet vor, wie viele umweltschädliche Subventionen der deutsche Staat Jahr für Jahr verteilt (2012 waren 57 Milliarden Euro ). Es ist die Quelle der wichtigsten Zahl in der Debatte über die Notwendigkeit einer CO2-Steuer - eine Tonne CO2 verursacht Schäden in Höhe von mindestens 180 Euro . Es schlüsselt auf, wie giftig und teuer die deutsche Kohle ist.  Es hat aber auch einen fünfzigseitigen Leitfaden  darüber im Angebot, was für Stifte deutsche Behörden einkaufen sollten, um die Umwelt zu schonen. Genau die charmante Mischung aus deutscher Gründlichkeit und kompromissloser Faktentreue also, die Deutschland braucht, wenn es seine Klimaziele doch irgendwann erreichen will.

Die noch amtierende UBA-Präsidentin Maria Krautzberger geht zum Jahresende in den Ruhestand. Was schade ist, denn Krautzberger ist für diese unerschrockene Behörde die richtige Chefin. Das hat sie gerade noch einmal bewiesen: Ihre Behörde hat eine Studie  veröffentlicht, die kühl vorrechnet, was nötig wäre, damit Deutschland zumindest im Bereich Verkehr seine Klimaschutzziele für 2030 erreicht.

Das Papier lag dem "Tagesspiegel"  zufolge seit einem halben Jahr in der Schublade. Es wurde demnach zurückgehalten, weil das Umweltministerium, dem das UBA untersteht, dem Verkehrsministerium bei der Verkündung der notwendigen Maßnahmen in Sachen Verkehr den Vortritt lassen wollte.

Andreas Scheuer, der Mann mit dem Gespür für Panik

Aber Bundesverkehrsminister ist ja, aus unerfindlichen Gründen, immer noch Andreas "Mautdesaster" Scheuer. Als das UBA sein Papier schließlich doch veröffentlichte, in dem unter anderem steht, dass Benzin und Diesel teurer werden müssen, weil sonst über 50 Millionen Tonnen CO2 zu viel emittiert werden, war der sonst tatenlose Minister blitzschnell zur Stelle: "Die Bürger erneut mit Verzicht, Verbot und Verteuerung à la Umweltbundesamt in Panik zu versetzen, ist der falsche Ansatz." Scheuers Ministerium hat weiterhin keine nennenswerten Vorschläge zur Erreichung der eigenen Ziele, außer erst mal lieber gar nichts zu tun. Und auf Wunder (hier "technologische Innovationen" genannt) zu warten.

Für den Fortbestand des Verbrennungsmotors streiten neben Scheuer die deutsche Automobilindustrie und der ADAC, der Paladin des kleinen Mannes mit dem großen Auto. Die UBA-Vorschläge qualifizierte der Automobilclub als Evidenz für einen "ideologisch geprägten Kampf" gegen das Auto ab.

Verbrennungsmotoren und 1,5-Tonner mit je einem Passagier sind aber schlicht gestriger, unvernünftiger Unsinn, das hat wenig mit Ideologie zu tun. In vielen Absatzmärkten der deutschen Automobilindustrie, allen voran China, hat man das längst verstanden. Deshalb ist die Verteidigung des Status quo nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch verantwortungslos. Wir werden bald chinesische Elektroautos importieren.

Über 1000 Klimatote - in Deutschland

Die Bundesregierung tut weiterhin so, als sei die Klimakrise irgendwie ein abstraktes Problem, das uns doch eigentlich gar nicht richtig betrifft.

Einer diese Woche bei der Klimakonferenz in Madrid vorgestellten Studie  zufolge war Deutschland 2018 im weltweiten Vergleich am drittstärksten von klimabedingten Schäden betroffen. Allein die Hitzewellen der vergangenen Sommer hätten über 1000 Todesopfer gefordert, die monetären Extremwetter-Gesamtschäden beliefen sich demnach auf über fünf Milliarden US-Dollar. Vor uns liegen auf dieser Klimageschädigten-Hitliste nur Japan und die Philippinen. Zur Erinnerung: Das ist erst der Anfang.

Im 20-Jahres-Rückblick von 1999 bis 2018 stuft Germanwatch, der Auftraggeber der Studie, Deutschland auf Platz 17 der Klimageschädigten ein. Geschätzte Schäden durch Extremwettereregnisse (ja, Attribution ist schwierig, aber noch mal - das ist erst der Anfang!): über vier Milliarden Euro pro Jahr. Unter den Top Ten im 20-Jahres-Rückblick landeten ausschließlich Entwicklungs- und Schwellenländer. Oxfam  zufolge zwingt der Klimawandel derzeit geschätzte 20 Millionen Menschen pro Jahr, aus ihrer Heimat zu fliehen. Das müsste eigentlich sogar die AfD interessieren.

Eine wichtige Zahl in diesem Zusammenhang: Die heutigen EU-Staaten, von denen ja manche gern behaupten, ihre Emissionen spielten ohnehin keine Rolle, sind kumulativ für 22 Prozent aller menschengemachten Treibhausgase in der Atmosphäre  verantwortlich. Vor uns liegen nur die USA mit 25 Prozent. Wir sind Hauptschuldige, nicht arme Opfer. Jetzt aber sollen es die anderen richten.

Konzertiertes Sich-in-die-Tasche-lügen

Im Moment scheinen viele Industrienationen darauf zu spekulieren, dass sie ihre CO2-Einsparungen einfach in irgendwelchen Entwicklungsländern einkaufen  können, um zu Hause weiterhin wenig bis nichts ändern zu müssen. Dabei gibt es zahlreiche Tricks , mit denen die reiche Welt sich selbst in die Tasche lügt. Zum Beispiel alte Emissionszertifikate aus der Zeit des Kyoto-Protokolls, die für Entwicklungsländer damals nur 20 Cent kosteten.

Brasilien etwa möchte seine eigenen Emissionsminderungen außerdem erstens selbst zählen und zweitens noch mal in Zertifikatsform veräußern dürfen. Den Kuchen essen und ihn dann noch mal verkaufen gewissermaßen. Das sind nur zwei Beispiele für zahlreiche Tricksereien.

Die Industrienationen, allen voran Deutschland, sollten alles daran setzen, solche Spielchen zu unterbinden. Das setzt aber voraus, dass man aufhört, sich selbst in die Tasche zu lügen. CO2 muss sehr viel teurer werden. Die Industrienationen müssen selbst den Anfang dabei machen, die notwendigen Veränderungen umzusetzen. Nur so gewinnt man in Zukunft, auch wirtschaftlich.

Wenn wir nicht weit mehr einsparen als bisher geplant, wird die Welt zur Jahrhundertwende womöglich drei bis vier Grad heißer sein - oder noch mehr. Das wäre entsetzlich. 

Wir sollten endlich Vorbild sein statt Klimakolonialisten.

Anm. d. Red: In einer früheren Fassung des Textes hieß es, die Welt könnte zur Jahrtausendwende möglicherweise drei bis vier Grad heißer sein. Tatsächlich hätte es Jahrhundertwende heißen müssen. Wir haben die Passage korrigiert.
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