Stickstoffoxid-Belastung in Großstädten Corona-Effekt beweist Wirksamkeit von Fahrverboten

Weniger Verkehr macht weniger Schadstoffe. Was logisch klingt, ist in der Coronakrise umstritten - und wird als Beleg gegen Fahrverbote genommen. Forscher stellen das nun richtig, dank neuer Daten aus dem Lockdown.
Diesel unerwünscht: Im baden-württembergischen Stuttgart streiten sich Umweltschützer und Autolobby schon länger um die Wirksamkeit von Fahrverboten.

Diesel unerwünscht: Im baden-württembergischen Stuttgart streiten sich Umweltschützer und Autolobby schon länger um die Wirksamkeit von Fahrverboten.

Foto: Christoph Schmidt/ dpa

Was ein Herunterfahren von Autoverkehr und Fabriken für die Luftqualität in Großstädten heißt, zeigte in der Coronakrise zuerst die US-Raumfahrtbehörde Nasa.

Die Satellitenbilder aus China gingen um die Welt: Nach dem ersten Lockdown durch den Corona-Ausbruch im Februar stellte die Nasa zwei Karten nebeneinander: Die Region um die Metropole Wuhan im Jahr 2019 - über der eine tiefbraune Wolke auf der Karte erscheint - und der gleiche Zeitraum 2020, auf der die Wolke fast verschwunden ist. Der dunkle Klecks zeigt die Belastung an Stickstoffdioxid (NO2).

Das giftige Gas gelangt durch die Verbrennung von Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle in die Luft. In vielen Großstädten sind der Verkehr und dabei vor allem Dieselfahrzeuge NO2-Quellen. Das Umweltbundesamt schreibt , dass Dieselfahrzeuge die "Hauptquelle" für den Stickstoffoxid-Ausstoß in Städten sind. Das bestreiten jedoch Autoverbände, die sich seit Jahren mit Umweltschützern um Dieselfahrverbote und die Schädlichkeit des Gases streiten.

Was passiert, wenn der Verkehr lahmliegt, konnte man nun während der vergangenen Wochen beobachten. Überraschend ist, dass sich beide Parteien - Dieselfans und Umweltschützer - bestätigt sehen. "Corona bestätigt die Datenlage in vielen Städten, wo bereits Fahrverbote durchgesetzt wurden: Je weniger Dieselfahrzeuge, desto niedriger die durchschnittlichen Stickoxidwerte", so DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch.

Es gibt keinen 1:1 Rückgang von Schadstoffen

Die Autolobby sieht das allerdings ganz anders. Beim Automagazin "Motorsport"  heißt es: "Das Coronavirus frisst die reine Lehre". Entgegen den Behauptungen der Umweltschützer sei die Luft in den Städten keinesfalls "kristallklar". Und der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK)  behauptet, der Diesel könne dafür "nicht länger zum Sündenbock gemacht werden", so ZDK-Präsident Jürgen Karpinski. Nicht die Dieselautos, sondern "andere Faktoren", wie Wetterbedingungen oder "andere Emittenten", würden Einfluss auf die NOx-Konzentration nehmen. Spätestens Corona zeige, dass die Fahrverbote völlig "unverhältnismäßig" seien, sagt Kartpinski.

In einem hat der Autolobbyist Kartpinski recht: Der Rückgang des Verkehrs führt nicht automatisch zum Rückgang der Schadstoffemissionen.

Grund dafür sind Faktoren, die zu Schwankungen bei den Messungen führen. Denn bei den Stickoxid-Bilanzen spielt zum Beispiel das Wetter eine Rolle: Bei Windstille reichern sich Schadstoffe in der Luft an. Kräftiger Wind hilft hingegen, die Schadstoffe zu verteilen. Auch Niederschläge können die gemessenen Werte senken. Hinzu kommt die Korrelation von Wetter und Verkehr - so fahren an Feiertagen weniger Autos, im Berufsverkehr sind die Straßen voll.

Experten des Umweltbundesamtes mahnen gleichfalls zur Vorsicht bei der Interpretation von Satellitenbildern. Sie ersetzten keine Schadstoffmessungen nah am Boden, zeigten also nicht, welche Qualität die eingeatmete Luft aufweist.

Corona-Effekt erstmals nachgewiesen

Für Forscher ist die Coronakrise nun ein ideales Reallabor und eine gute Gelegenheit fürs Datensammeln. Forscher des Earth Observation Center (EOC), das im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) angesiedelt ist, wollten es aber genau wissen und haben den Corona-Effekt nun erfolgreich bestimmt . Dafür haben sie die unterschiedlichen Methoden zur Stickoxid-Messung kombiniert.

Dafür betrachteten sie Satellitendaten- und Bodenmessungen zusammen. Schon in diesem ersten Schritt konnten sie für eine untersuchte Region in Norditalien abweichende Werte vom sonst üblichen jährlichen Mittel erkennen.

Zusätzlich rechneten die Forscher Wetterdaten ein, die oftmals für unerwartete Stickstoffwerte sorgen. Dafür nutzen sie eine Computersimulation, die die "Normalsituation" vor einem Jahr und dasselbe Modell für 2020 durchspielten. Das Ergebnis lässt keinen Zweifel: Seit Beginn des Lockdowns in Italien am 8. März gingen die Stickoxid-Emissionen um 45 Prozent zurück - genau in dem Moment, als auch der Verkehr zum Erliegen kam.

"Für pauschale Bewertungen ist das atmosphärische Geschehen zu komplex", schreiben die Forscher. Erst eine kombinierte Betrachtung von Satellitenmessungen, Vor-Ort-Daten und Computermodellierungen ermöglichte einen stichhaltigen Nachweis des "Corona-Effekts".

Vorfahrt für Fahrräder

Doch selbst ohne die Feinberechnungen der DLR-Forscher gab es schon eindeutige Hinweise auf den "Corona-Effekt". Selbst die Nasa-Forscher waren überrascht: "Dies ist das erste Mal, dass ich für ein bestimmtes Ereignis einen so dramatischen Rückgang über ein so weites Gebiet sehe", kommentierte Fei Liu, Luftqualitätsforscherin am Goddard Space Flight Center der Nasa die NOx-Bilder aus China.

Schon zur beginnenden Wirtschaftskrise im Jahr 2008 sei die NO2-Belastung in mehreren Ländern zurückgegangen, allerdings sehr viel langsamer. 

Der Streit über das giftige Gas ist keine Nebensächlichkeit, sondern eine ernste Gefahr für die Gesundheit vieler Menschen. Stickstoffdioxid schädigt die Atemwege und begünstigt zahlreiche Atemwegs-, aber auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Verschiedene Studien gehen von mindestens 6000 vorzeitigen  Todesfällen pro Jahr in Deutschland aus. Allerdings ist die genaue Berechnung der Gesundheitsschäden schwierig zu bestimmen.

Einige Städte haben inzwischen damit begonnen, den Fahrradverkehr zu begünstigen, zum Beispiel durch sogenannte Pop-up-Bike-Lanes, darunter die Hauptstadt und mittlerweile sogar Stuttgart. Dort gab es in den letzten Jahren Spitzenwerte bei Stickoxiden. Auch die Wirksamkeit der Fahrverbote für Euro-5-Diesel wird in der Stadt besonders emotional diskutiert. Doch bereits im vergangenen Jahr sanken die NOx-Werte aufgrund der Fahrverbote für das besonders befahrene Neckartor  merklich.

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