Coronakrise in Südamerika Argentiniens Wirtschaft steht vor dem Kollaps

Noch verhandelt die Regierung mit Gläubigern, bald könnte Argentinien aber in die Staatspleite rutschen. Durch die Coronakrise hat die Armut bereits jetzt dramatisch zugenommen.
Desinfektionsaktion in dem Armenviertel "Villa 31" in Buenos Aires

Desinfektionsaktion in dem Armenviertel "Villa 31" in Buenos Aires

Foto: Natacha Pisarenko/ dpa

Eigentlich wäre Argentinien am Freitag wieder einmal pleite gewesen. Das Land verpasste eine Frist für Zinszahlungen in Höhe von 503 Millionen US-Dollar. Die Schulden der zweitgrößten Volkswirtschaft in Südamerika waren schon vor der Coronakrise extrem hoch und sind zu den aktuellen Bedingungen nicht mehr tragfähig. Kurz vor Fristende verlängerte die Regierung von Alberto Fernández ihr Umschuldungsangebot an die privaten Gläubiger aber erneut.

Bis zum 2. Juni könnte mit den Eignern von nach ausländischem Recht ausgegebenen Staatsanleihen nun weiter nach einer Lösung im Schuldenstreit gesucht werden, teilte das Finanzministerium in Buenos Aires mit. Solange die Verhandlungen mit den Gläubigern weiter andauern, dürfte dies nach Einschätzung von Experten zunächst keine direkten Folgen haben.

Nach einem monatelangem Lockdown liegen die Nerven in Argentinien blank. Schon vor der Coronakrise kämpfte das Land mit einer Wirtschaftskrise, die Zahl der Menschen ohne regelmäßiges Einkommen und Arbeit steigt seit Monaten an. Das Bruttoinlandsprodukt werde infolge der Coronakrise um 5,7 Prozent fallen, schätzt der Weltwährungsfonds. Besonders dramatisch sind die Folgen für die Gastronomie.

Deshalb fordert Argentinien Zugeständnisse von den Gläubigern. Beispielsweise sollen sie auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten. Ein erstes Angebot der Regierung, das einen Schuldenschnitt und ein Zahlungsmoratorium bis 2023 vorsah, lehnten die großen Gläubiger ab. Zu ihnen zählen unter anderem die Investmentfonds Blackrock, Ashmore und Fidelity.

Corona als Krisen-Katalysator

Argentinien ist in seiner Geschichte bereits achtmal in Verzug geraten, zuletzt im Jahr 2001, als es hundert Milliarden US-Dollar Schulden hatte und in die Staatspleite rutschte. Danach erholte sich das Land wieder etwas, aber geriet immer wieder in Wirtschaftskrisen.

Am 20. März verhängte Argentiniens Präsident Alberto Fernández einige der strengsten Quarantänemaßnahmen Lateinamerikas. Seitdem können viele Argentinier nicht mehr arbeiten und daher weder Miete noch Strom und Wasser bezahlen oder lebenswichtige Konsumgüter kaufen. Derzeit werden einige Branchen langsam wieder angefahren, wie das VW-Werk General Pacheco bei Buenos Aires.

Die Neuinfektionsrate in dem Land ist trotz der strengen Ausgangsbeschränkungen seit Mitte März relativ hoch. Gerade in den vergangenen Tagen gab es eine rasante Zunahme von neuen Covid-19-Fällen. Mittlerweile stecken sich immer mehr arme Menschen an. In den ärmlichen Siedlungen - in Argentinien "Villas" genannt - fehlt es den Bewohnern oft am Nötigsten wie Wasser und Seife, zugleich leben ganze Familien in einem Raum zusammen. Abstand halten ist kaum möglich.

Der argentinische Sozialaktivist und Hochschullehrer Juan Grabois sagte in einem Interview der Zeitung "La Nación": "Wir sind in einen perfekten Sturm geraten: drohende Staatspleite, Pandemie, Armut." Die Coronakrise verschärfe die sozialen Unterschiede noch. In einer Studie der katholischen Universität UCA in Buenos Aires heißt es: "Wir erleben nicht nur eine Epidemie, sondern auch eine neue Welle struktureller Armut, die vor allem die schwächsten Teile der Gesellschaft treffen wird."

Nach neuesten Zahlen von Unicef  waren in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 etwas mehr als die Hälfte der Kinder des Landes von Armut betroffen. Ende 2020 könnte die Zahl auf fast 59 Prozent steigen. In den Armenvierteln sei die Situation noch dramatischer und könnte in den nächsten Monaten 90 Prozent überschreiten.

sug/dpa-AFX
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