Corona-Sequenzierung Wie Island die Mutanten überwacht

In Deutschland werden nicht mal ein Prozent der Sars-CoV-2-Infektionen auf ihr Erbgut untersucht. Vorreiter bei den Genom-Analysen des Virus ist das kleine Island – dort sind es 100 Prozent. Wie schafft das Land das?
Labor in Reykjavik: Mutanten des Erregers gut im Blick

Labor in Reykjavik: Mutanten des Erregers gut im Blick

Foto: HALLDOR KOLBEINS / AFP

Die möglicherweise infektiöseren Mutationen aus Südafrika und Großbritannien haben ein Defizit offenbart: In Deutschland wird die Aktivität des Virus im Hinblick auf genetische Veränderungen zu wenig überwacht. Dafür müssten die Labors regelmäßig Sequenzierungen der positiven Corona-Proben vornehmen.

Aber offenbar mangelte es hierzulande teils an entsprechender technischer Ausrüstung, teils an der nötigen Finanzierung. Bei nicht einmal einem Prozent der Proben  wurde bisher das komplette Erbgut entschlüsselt. Immerhin soll nun nachgebessert werden. Das Bundesgesundheitsministerium arbeitet an einer Verordnung, bis zu einem Zehntel der Proben soll künftig durch die Sequenziermaschinen laufen.

Besser läuft die Nachverfolgung der genetischen Virusentwicklung in Island. Das Land hat die Mutanten des Erregers so gut im Blick wie kein anderes der Welt. In dem überwiegend dünn besiedelten Inselstaat wird bereits seit zehn Monaten jeder positive Corona-Test genau analysiert – vor allem im Labor von Decode in Reykjavik.

»Für die eigentliche Sequenzierung benötigen wir relativ wenig Zeit«, sagt Laborleiter Olafur Thor Magnusson. Etwa drei Stunden reichten aus, um den Virusstamm zu bestimmen. Der gesamte Prozess von der Isolierung der Erbsubstanz bis zur Sequenzierung nimmt bis zu eineinhalb Tage in Anspruch.

Bisher haben die Wissenschaftler 463 in Island zirkulierende Varianten identifiziert. 41 Menschen trugen die britische Mutante in sich, die südafrikanische hingegen wurde noch nicht nachgewiesen. Alle Infektionen wurden bei der Einreise der Betroffenen entdeckt, wo PCR-Tests verhindern sollen, dass Virusmutanten eingeschleppt werden. Die Sequenzierung der Proben sei laut Gesundheitsministerin Svandis Svavarsdottir der Schlüssel, um den Stand und die Entwicklung der Epidemie zu verfolgen. Die dadurch gewonnenen Informationen dienen den Behörden als Grundlage, um über gezielte Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu entscheiden.

Die Virusanalysen helfen auch, Ansteckungswege nachzuvollziehen. So stellte sich beispielsweise heraus, dass die zweite Infektionswelle in Island Mitte September hauptsächlich auf einen Gast in einem Pub im Zentrum von Reykjavik zurückzuführen ist. Bars und Nachtlokale in der Hauptstadt wurden daraufhin geschlossen.

Auch in anderen Ländern wie Großbritannien, Dänemark, Australien und Neuseeland wird viel sequenziert, doch nirgendwo auf der Welt so umfassend wie in Island. Alle der rund 6000 in Island gemeldeten Corona-Fälle wurden untersucht.

Diese Spitzenposition verdankt das Land auch dem Labor in der Hauptstadt, das auf Genom-Analysen spezialisiert ist. Das 1996 gegründete Unternehmen führte die bisher weltweit größte genetische Studie einer Bevölkerung durch: Um Krebsrisikofaktoren zu erkennen, sequenzierte es 2015 das gesamte Genom von 2500 Isländern und untersuchte das genetische Profil eines Drittels der damals 330.000 Einwohner. Allerdings war das Projekt aus Datenschutzgründen umstritten.

Verglichen damit ist die Sequenzierung von Coronavirusproben unkompliziert. »Es ist sehr einfach, das Virusgenom zu sequenzieren, es sind nur 30.000 Nukleotide«, sagt Geschäftsführer Kari Stefansson. Das menschliche Genom, das normalerweise in seinen Laboren analysiert wird, besteht aus 3,4 Milliarden Paaren dieser DNA-Bausteine.

joe/AFP
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