
Corona-Theorien Unsinn von unten, Unsinn von oben


US-Präsident Donald Trump: Er beschimpft Journalisten, erpresst Gouverneure und feiert seine Einschaltquoten - während Tausende sterben
Foto: Win McNamee/ Getty ImagesEs wird viel Unsinn verbreitet in diesen Tagen. Manchmal kommt er gewissermaßen von unten, aus den Kreisen selbsternannter Aufklärer. Andernorts kommt er von ganz oben, und das ist weit gefährlicher. Aber dazu später.
Ob der Unsinn von unten bei Facebook in den vergangenen Wochen zugenommen hat, hat ein Forscherteam von der Uni Münster gerade empirisch geprüft *: Gut 20.000 von insgesamt knapp 117.000 untersuchten Facebook-Posts hatten mit Corona zu tun, die meisten stammten aus "Mainstream"-Medien, knapp zweieinhalbtausend von "alternativen" Medien.
Gleichklang zwischen Kreml-Medien und Rechtsradikalen
Die gute Nachricht ist - so viel kompletter Unsinn war gar nicht dabei: "Insgesamt machten Posts, die man mit Desinformation oder Verschwörungstheorien in Verbindung bringen kann, nur 1,1 Prozent des gesamten Datensatzes und nur 1,1 Prozent der Interaktionen aus." Mit Interaktionen sind hier Likes, Facebook-Reactions, Shares und Kommentare gemeint. Allerdings werden die Posts später oft weiterverarbeitet und -verbreitet, etwa von verschwörungstheoretischen oder rechtsradikalen YouTube-Channels.
Ein typisches Beispiel für Verwirrungs-Content: Die Theorie, dass es sich beim Coronavirus in Wahrheit um eine wahlweise außer Kontrolle geratene oder bewusst freigesetzte Biowaffe handeln könne, mal produziert von China, mal von Bill Gates. Das Thema fanden die Forscher nicht nur bei RT Deutsch und Sputnik, sondern auch bei den üblichen Verdächtigen der deutschen Rechtsaußen- und Verschwörungstheorieszene wie "Compact", "Philosophia Perennis", "Unzensuriert" oder "Pravda TV".
Es wird wie immer krakeelt, aber wenige hören zu
Auch in Krisenzeiten machen sich deutsche Rechtsradikale und Verschwörungstheoretiker also fleißig zu Signalverstärkern russischer Propagandabemühungen. Auf allzu fruchtbaren Boden scheint so etwas aber nicht zu fallen. Tatsächlich haben Studien immer wieder gezeigt, dass das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in Institutionen und Presse im internationalen Vergleich weiterhin ziemlich hoch ist .
Das hat auch damit zu tun, dass unsere Gesellschaft, einem ausgewogenen, ausdifferenzierten Mediensystem und dem Verhältniswahlrecht sei Dank, längst nicht so polarisiert ist wie etwa die der USA, auch, wenn die AfD das gern hätte. Wer eines Tages womöglich koalieren muss, kann nicht ungebremst Hass und Verachtung über den politischen Gegner ausgießen.
Das schmerzverzerrte Gesicht des medizinischen Beraters
In den USA bietet sich ein ganz anderes Bild: Der oberste Verschwörungstheoretiker und Schlangenölverkäufer des Landes ist mittlerweile bekanntlich dazu übergegangen, öffentlich und vollmundig Medikamente anzupreisen, deren Wirksamkeit mindestens zweifelhaft , deren Schädlichkeit für bestimmte Risikogruppen aber zumindest wahrscheinlich ist. Gegen den expliziten Rat seiner eigenen Fachleute.
Donald Trump nannte die Kritik der Demokraten an seinem Umgang mit der Krise einen 'Hoax', sagte dann, dass es sang- und klanglos wieder verschwinden werde, dann, dass er alles im Griff habe, und dann plötzlich, dass "nur" 100.000 Corona-Tote im eigenen Land als großer Sieg betrachtet werden könnten. Er beschimpft Journalisten, erpresst Gouverneure und feiert seine Einschaltquoten, während Tausende sterben.
Because the “Ratings” of my News Conferences etc. are so high, “Bachelor finale, Monday Night Football type numbers” according to the @nytimes, the Lamestream Media is going CRAZY. “Trump is reaching too many people, we must stop him.” said one lunatic. See you at 5:00 P.M.!
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) March 29, 2020
Endlich eine eigene TV-Sendung!
Das schmerzverzerrte Gesicht von Trumps medizinischem Chefberater Anthony Fauci bei den Press Briefings wird als das tragische Antlitz der Coronakrise in den USA in die Geschichte eingehen. Doch das Corona-Chaos in den USA, die katastrophale Organisation, die gewaltigen Infektionszahlen, der rasante Anstieg der Covid-19-Toten, die Kühllaster für Leichen in den Straßen New Yorks scheinen Trumps Zustimmungswerten nicht zu schaden, im Gegenteil. Laut der auf Statistiken spezialisierten US-Seite Fivethirtyeight, die viele Umfragen miteinander verrechnet, stimmen im Moment sogar mehr US-Bürger mit Trumps Amtsführung überein als vor Beginn der Coronakrise: fast 45 Prozent . Die Zahl derer dagegen, die seine Amtsführung ablehnen, ist sogar etwas geschrumpft, auf derzeit etwa 50 Prozent.
Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ihm das Format liegt, ätzte der Fernsehkritiker James Poniewozik Ende März in der "New York Times": "Als Präsident hatte er bislang nicht das, was er mit NBC’s 'The Apprentice' hatte: Eine regelmäßige Fernsehsendung, in der er einen Manager spielt, der alles im Griff hat." All sein Geschwätz über die Ungefährlichkeit des Virus falle in dieser Fernsehunterhaltungslogik nicht ins Gewicht: "Das war die vorige Staffel."
Der Hass auf die "andere Seite" sticht alles
Weitere Anhaltspunkte liefert ein faszinierendes Porträt im "New Yorker" vom 30. März: Es handelt von der überzeugten Republikanerin Sarah Longwell, die Trump verabscheut. Sie gehört zu der schrumpfenden Gruppe, die seit 2016 versucht, innerhalb der Partei den Widerstand gegen den Präsidenten zu organisieren. Mit bekanntlich überschaubarem Erfolg.
Der Text beschreibt Szenen aus Fokusgruppen, bestehend aus republikanerfreundlichen Frauen aus der Mittelschicht, in denen es immer nur um diese Frage geht: Steuert Trump das Land in die richtige Richtung? Nein, finden die Frauen. Manche nennen den Präsidenten einen "narzisstischen Psychopathen", andere erklären, sie würden "lieber einen Hund wählen" als noch einmal Trump.
Dann aber folgt stets die ernüchternde Wendung: "Die Frauen mochten Trump nicht, aber sie mochten auch sonst niemanden. Sie vertrauten den Medien nicht und waren der Meinung, andere Politiker seien genauso schlimm wie der Präsident."
"Alle sagten: Biden"
Die Ablehnung gegenüber der "anderen Seite" sticht im Zweifel alle anderen politischen Motivationen. Und jetzt führt der Präsident ja auch noch quasi-präsidiales Verhalten vor, er schaut ernst, macht nur noch gelegentlich geschmacklose Witze, verspricht zu handeln - und die Medien, die seine Wählerinnen und Wähler konsumieren, geben ihm recht. Kritik wird dank der extremen Polarisierung der Gesellschaft immer als Angriff der "anderen Seite" aufgefasst.
Ein Hoffnungsschimmer für die unentwegte "Never Trumperin" Longwell ist die Entscheidung von Bernie Sanders, aus dem Rennen um die Kandidatur auszusteigen. Denn der nun designierte Kandidat scheint nicht ganz so weit auf der "anderen Seite" zu stehen.
Die Frauen aus Longwells Fokusgruppen, allesamt Vertreterinnen einer Wählergruppe, die Trump für einen erneuten Wahlsieg dringend braucht, sind sich in einem Punkt einig: "Der Moderator fragte, von wem sie glaubten, dass er gewinnen werde, sollte Biden der Kandidat der Demokraten werden. Alle sagten: Biden."
*Offenlegung: Mit mehreren der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler habe ich schon in anderem Kontext zusammengearbeitet .
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war zu lesen, Donald Trump habe das Coroana-Virus als "Hoax" bezeichnet". Tatsächlich sagte Trump am 28. Februar, die Reaktion der Demokraten auf sein Krisenmanagement sei "ihr neuer Hoax", es gebe ja in den USA bislang erst fünfzehn Fälle. Wir haben die Passage präzisiert.