Corona-Folgen Stärkster CO2-Rückgang seit mindestens 60 Jahren

Berlin-Tiergarten (Symbolbild): Laut Studie war der stärkste CO2-Rückgang im Transportsektor zu beobachten
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Die Maßnahmen zahlreicher Staaten zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben die weltweiten Kohlendioxidemissionen drastisch gesenkt. Der CO2-Ausstoß ging zeitweise um 17 Prozent gegenüber dem üblichen Tageswert von rund 100 Millionen Tonnen zurück, in Deutschland wurden Anfang April sogar 26 Prozent weniger CO2 als üblich emittiert. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer Untersuchung von 13 internationalen Klimaforschern, die am Dienstagnachmittag im Wissenschaftsmagazin "Nature Climate Change" veröffentlicht wurde.
Für das Gesamtjahr 2020 sagten die Verfasser einen Rückgang der globalen Emissionen um 4,2 bis 7,5 Prozent voraus - je nachdem, wie schnell die Maßnahmen gelockert werden und wie lange Einschränkungen, etwa für Großveranstaltungen, erhalten bleiben.
Nicht in dieser Prognose einkalkuliert sind signifikante Einbrüche der Energienachfrage aufgrund einer möglichen Weltwirtschaftskrise. Grundlage der Berechnungen sind Verkehrs- und Energieverbrauchsdaten der größten Volkswirtschaften der Erde. Diese sind zusammen für mehr als 95 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich.
Der Rückgang durch die starken Beschränkungen sei "extrem", resümieren die 13 Wissenschaftler. Demnach handelt es sich um die stärkste Schrumpfung des menschengemachten CO2-Ausstoßes seit mindestens 60 Jahren. Dennoch sei der globale CO2-Ausstoß selbst auf dem Tiefpunkt der vergangenen Wochen immer noch so hoch gewesen wie im Durchschnitt des Jahres 2006.
Stärkster CO2-Rückgang im Transportsektor
Am stärksten wirken sich die Ausgangssperren, Reiseverbote, Flugstreichungen, Grenz-, Fabrik-, Laden- sowie Schulschließungen auf die Emissionen des Transportsektors aus. In der Spitze ging der CO2-Ausstoß des Straßen- und Schiffsverkehrs um die Hälfte oder 7,5 Millionen Tonnen pro Tag zurück - das waren fast die Hälfte der insgesamt eingesparten Emissionen. Flugzeugtriebwerke bliesen sogar 60 Prozent oder rund 1,7 Millionen Tonnen CO2 pro Tag weniger als normalerweise in die Atmosphäre.
Die Emissionen der Industrie sanken um bis zu 19 Prozent (4,3 Millionen Tonnen), die von Kraftwerken hingegen nur um höchstens sieben Prozent (3,3 Millionen Tonnen). Im Gegenzug erhöhte etwa vermehrte Heimarbeit den CO2-Ausstoß der Privathaushalte lediglich um höchstens drei Prozent oder 0,16 Millionen Tonnen pro Tag.
Seit Ostern steigen die Emissionen im Einklang mit den Lockerungen wieder an. Ende April waren sie weltweit aber noch 14 Prozent und in Deutschland sogar 16 Prozent unter dem Normalwert. "Die Industrie und das öffentliche Leben", sagte der Mitverfasser Felix Creutzig vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC, "sind noch nicht komplett wieder angeworfen worden."
Den Klimawandel verzögert der Lockdown kaum merklich
Aber sobald das geschehe, werde sich der CO2-Ausstoß dem üblichen Niveau wieder schnell annähern - wie es China etwa schon passiert sei. Und das sei eine große Gefahr. "Wir halten es für möglich, dass es einen Rebound gibt und die Emissionen 2021 und 2022 stark ansteigen werden", sagte Creutzig dem SPIEGEL.
Den Klimawandel wird der pandemiebedingte Einbruch allenfalls marginal verzögern. Schließlich entsprechen die gesamten errechneten Einsparungen nicht einmal dem üblichen weltweiten CO2-Ausstoß von 14 Tagen. "Der Rückgang nutzt wenig, wenn die Politik diese Krise nicht zum Anlass für einen Strukturwandel nimmt", sagte Creuzig. "Wir haben jetzt die Möglichkeit, ökonomische Strukturen zu schaffen, die unabhängiger vom fossilen Energieverbrauch sind." Die Regierungen müssten sich daher in ihren Wiederaufbauprogrammen auf die Förderung neuer, emissionsarmer Technologien konzentrieren.
Die Studie offenbart, wie radikal diese Kehrtwende sein müsste, um die durchschnittliche globale Erwärmung möglichst bei maximal 1,5 Grad zu halten, wie es die Staatengemeinschaft im Pariser Weltklimaabkommen verabredet hat. Hierfür müsste laut den Autoren der weltweite CO2-Ausstoß jedes Jahr und über Dekaden hinweg in einem ähnlichen Tempo fallen wie im Corona-Jahr 2020.