Suche nach Ursprung der Pandemie Laborthese wird unwahrscheinlicher

In der Fachzeitschrift »Science« sind zwei Studien erschienen, die den Ursprung von Sars-CoV-2 untersuchen. Ausgangspunkt der Pandemie war demnach kein Labor, sondern der Wildtiermarkt im chinesischen Wuhan.
Es gilt als wahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 auf einem Wildtiermarkt in Wuhan auf den Menschen übergesprungen ist.

Es gilt als wahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 auf einem Wildtiermarkt in Wuhan auf den Menschen übergesprungen ist.

Foto: Nicolas Asfouri / AFP

Woher kam Sars-CoV-2? Seit mehr als zwei Jahren wird diese Frage wissenschaftlich intensiv diskutiert. Zwei neue Studien, die in der Fachzeitschrift »Science«  veröffentlicht worden sind, weisen klar in eine Richtung: Ausgangspunkt der Coronapandemie war kein Labor , sondern ein Wildtiermarkt im chinesischen Wuhan.

Die These, dass das Virus aus einem Sicherheitslabor in die Welt gekommen sein könnte, sei entkräftet. Die Untersuchungen hätten gezeigt, »dass es einfach nicht plausibel ist, dass dieses Virus auf eine andere Weise als durch den Handel mit Wildtieren auf dem Markt von Wuhan eingeschleppt wurde«, sagte einer der beteiligten Wissenschaftler, der Virologe Michael Worobey von der University of Arizona.

Nur weil etwas möglich ist, ist es nicht auch wahrscheinlich

Noch im vergangenen Jahr hatte Worobey einen offenen Brief unterzeichnet, in dem dazu aufgerufen wurde, die Theorie eines Laborunfalls  im Institut für Virologie in Wuhan weiter in den Blick zu nehmen. Die seitdem gesammelten Erkenntnisse hätten ihn aber zum Umdenken bewegt, sagte der Virologe nun. Das Virus sei »auf diesem Markt entstanden und hat sich von dort aus ausgebreitet.«

Auch Kristian Andersen vom Scripps Research Institute, der als Professor für Immunologie und Mikrobiologie ebenfalls an den Arbeiten beteiligt war, sagte: Die Theorie eines Laborlecks sei mit den neuen Veröffentlichungen nicht widerlegt. Es sei aber wichtig zu verstehen, »dass es mögliche und wahrscheinliche Szenarien gibt. Und dass möglich nicht gleich wahrscheinlich ist.«

Die Preprints der Studien, also eine Version, die noch nicht von unabhängigen Fachleuten überprüft wurde, waren im Februar veröffentlicht worden.

Die ersten Covid-Fälle verteilen sich geografisch um den Wildtiermarkt

In der ersten Untersuchung wurde die geografische Verteilung der ersten Covid-Fälle im Dezember 2019 analysiert. Das Muster zeigte, dass die Fälle eng um den Huanan-Wildtiermarkt in Wuhan herum angesiedelt waren. Einige der ersten Patienten, die den Markt nicht kurz vorher besucht hatten, lebten in unmittelbarer Nähe des Marktes. Innerhalb des Marktes fanden die Fachleute Fallcluster. Diese Häufung sei »sehr, sehr spezifisch« in Teilen des Marktes, wo Wildtiere wie Marderhunde verkauft wurden. Diese Tiere sind mögliche Träger von Coronaviren.

Dass das Muster, das die Verortung der Fälle ergeben habe, zufällig entstanden sein könnte, sei statistisch äußerst unwahrscheinlich.

Für die zweite Studie nahmen die Forschenden eine Genomanalyse des Virus vor, das bei den ersten Coronapatienten und -patientinnen nachgewiesen wurde. Dabei untersuchten sie zwei Abstimmungslinien des Erregers. Sie kamen zu dem Schluss, dass beide bei verschiedenen Ereignissen – im November und Dezember 2019 – von Tieren auf dem Markt auf Menschen übergesprungen sind. Womöglich kam es also sogar zweimal zu einem sogenannten Spillover-Ereignis. Es sei unwahrscheinlich, dass das Virus vor November 2019 beim Menschen zirkulierte, schrieben die Wissenschaftler.

Ist es aber nicht unwahrscheinlich, dass es innerhalb kürzester Zeit zweimal zu einem eigentlich einmaligen Ereignis kommt? Dazu sagte Joel Wertheim, Mitautor der Studie und Experte für virale Evolution an der University of California, San Diego: Die Bedingungen seien besonders, aber sie seien gegeben gewesen – etwa, dass Menschen und Tiere in unmittelbarer Nähe lebten und dass das Virus von Tieren auf Menschen, aber auch von Mensch zu Mensch übertragen werden könne. »Die Barrieren für eine Ausbreitung wurden so weit gesenkt, dass unserer Meinung nach mehrere Einschleppungen zu erwarten waren«, sagte Wertheim.

Die Laborthese hält sich hartnäckig

Kurz nach dem Ausbruch der Coronapandemie Ende 2019 begannen Spekulationen über ihren Ausgangspunkt. Es wurde diskutiert, ob das Virus bei einem Unfall im Institut für Virologie in Wuhan entwichen sein könnte. Dort wird unter anderem an Coronaviren geforscht. Die chinesische Regierung bestritt diese These vehement.

Im Januar 2021 konnte dann ein internationales Forschungsteam der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nach Wuhan reisen. Dessen Bericht lieferte jedoch keine klaren Ergebnisse zum Ursprung der Pandemie. Die sogenannte Labor-Theorie stuften die Experten der WHO damals als »extrem unwahrscheinlich« ein. An dem Bericht und der Untersuchung selbst waren aber schnell Zweifel und Kritik laut geworden. Viele Länder äußerten Besorgnis darüber, dass den internationalen Fachleuten bei ihrer Untersuchung in China Zugang zu wichtigen Daten verwehrt worden sei. Weitere Untersuchungen, wie auch von WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus gefordert wurden, lehnt die chinesische Regierung bisher ab.

Auch die neuen Studien sind kein endgültiger Beweis für oder gegen eine der Theorien zum Ursprung des Virus. Doch für viele Fachleute sind die Ergebnisse recht eindeutig. »Diese beiden Studien liefern wirklich überzeugende Beweise für die Hypothese des natürlichen Ursprungs«, sagte etwa Matthew Aliota, Forscher für Veterinärmedizin der Universität von Minnesota, der an keiner der beiden Studien beteiligt war. Da die Entnahme von Proben eines Tieres, das sich auf dem Markt befand, unmöglich ist, »ist dies vielleicht der beste Beweis, den man bekommen kann«.

Einen eindeutigen Beweis wird es womöglich nie geben

Der Großmarkt von Wuhan, auf dem unter anderem lebendige Tiere verkauft wurden, stand schon früh als Ursprungsort der Pandemie im Verdacht. Ende Dezember 2019 waren mehrere Personen, die auf dem Markt arbeiteten, an einer neuartigen Lungenentzündung erkrankt. Ende Dezember wurde klar, dass ein neues Coronavirus für die rätselhaften Erkrankungen verantwortlich war. Die chinesischen Behörden ordneten daraufhin an, den Markt in Wuhan zu schließen. Am 1. Januar 2020 machte die Polizei den Wildtiermarkt dicht, die Stände auf dem Markt wurden gewaschen und desinfiziert.

Nach Angaben chinesischer Forscherinnen und Forscher sei das Virus später in zahlreichen Proben von Oberflächen und Abwasserkanälen auf dem Markt gefunden worden. Ein eindeutiger Beweis durch einen Abstrich bei infizierten Tieren auf dem Markt lässt sich nicht erbringen.

vki/AFP/AP
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten