Kampf gegen tödliche Erreger Die Virenjäger
Das Coronavirus verunsichert die Welt. Chinesische Megametropolen: abgesperrt. Der internationale Flugverkehr nach China: eingeschränkt. Krankenhäuser: überfüllt.
Das Epizentrum der Epidemie: die elf-Millionen-Einwohner-Metropole Wuhan. Von dort aus verbreitete sich der Erreger rasend schnell in der Welt.
Während die Bevölkerung von Covid-19 ziemlich überrascht wurde, rechnen Expertinnen und Experten jederzeit mit einem solchen Ausbruch – auch in Deutschland wird in besonders gesicherten Speziallaboren an tödlichen Erregern geforscht.
Leonie Voss, DER SPIEGEL
"Eine Pandemie ist die weltweite Verbreitung einer Infektionskrankheit. Und wie ernst die Lage ist, hat die WHO vergangenes Jahr in einem Bericht deutlich gemacht. Darin heißt es: Es besteht die reale Gefahr für eine Pandemie, die 50 bis 80 Millionen Menschen töten könnte. Doch wie entstehen Pandemien?"
Die häufigste Ursache für Pandemien: Krankheitserreger, die von Tieren auf den Menschen übergehen, sogenannte Zoonosen. Bei der Sars-Epidemie 2002 sprang das Virus vermutlich von einer Fledermaus auf einen Larvenroller, eine Schleichkatze, über und von diesem Zwischenwirt auf den Menschen.
Pandemien begleiten uns schon lange - etwa die Pest, die im 14. Jahrhundert fast ein Drittel von Europas Bevölkerung dahinraffte. Das Bakterium Yersinia pestis wurde durch Flöhe und Läuse auf den Menschen übertragen. Bis zu 50 Millionen Tote forderte die Spanische Grippe, die vermutlich 1918 im US-Bundesstaat Kansas ausbrach.
Leonie Voss, DER SPIEGEL
"Wir wollen wissen: Wie gut ist die Welt gewappnet für zukünftige Pandemien? Wie weit ist die Forschung auf dem Gebiet? Deswegen fahren wir heute ins Seuchensperrgebiet. Und zwar auf die Ostseeinsel Riems zum ältesten virologischen Forschungsinstitut der Welt."
Das Friedrich-Loeffler-Institut liegt abgeschottet auf der Insel vor der Stadt Greifswald. Der Zutritt für Unbefugte ist strengstens verboten. Denn hier wird an teils tödlichen Erregern geforscht.
Auf Riems versuchen Wissenschaftler herauszufinden, wie bestimmte Erreger es schaffen, vom Tier auf den Menschen zu springen. Nutztiere wie Kühe sind häufig Zwischenwirte für neuartige Viren.
Einen solchen Überdruck-Schutzanzug brauchen wir heute nicht. Wir sind in einem Labor der Sicherheitsstufe 2 verabredet. Hier experimentieren Forscher mit Vogelgrippeviren.
Ihr Ziel: mögliche Mutationen des Erregers vorherzusehen. Dies wäre ein wichtiger Schritt, sagt Institutspräsident Thomas Mettenleiter. Bisher sei die Wissenschaft noch weit davon entfernt, die gesamte Virenwelt zu überblicken.
Thomas Mettenleiter, Präsident Friedrich-Loeffler-Institut
"Wir sehen die Spitze des Eisbergs. Wir sehen doch nicht den gesamten Eisberg. Es gibt Schätzungen, die man sicherlich auch mit einer gewissen Vorsicht sehen muss, dass im Säugetier-Bereich noch etwa 300.000 bis 400.000 Viren schlummern, die wir nicht kennen, die aber eine potenzielle Gefährdung für den Menschen darstellen können. Das heißt, da gibt es noch ein ziemlich unerschöpfliches Reservoir."
In den Sechzigerjahren hofften Wissenschaftler noch, Infektionskrankheiten langfristig ausrotten zu können. Heute ist klar: Das Gegenteil ist der Fall - die Pandemiegefahr ist gestiegen.
Leonie Voss, DER SPIEGEL
"Dafür verantwortlich ist der technologische Fortschritt. Denn je mehr der Mensch reist, desto schneller verbreiten sich Viren: Die Pest kam mit Schiffen nach Europa, die Spanische Grippe wurde im Ersten Weltkrieg von amerikanischen Soldaten übertragen. Und Corona reiste mit dem Flugzeug."
Seit 2003 hat sich die Zahl der Flugpassagiere von 1,7 auf 4,3 Milliarden mehr als verdoppelt. Unsere Lebensweise und hypervernetzte Wirtschaft begünstigen die Verbreitung von Viren extrem.
Thomas Mettenleiter, Präsident Friedrich-Loeffler-Institut
"Da spielt die Globalisierung eine wichtige Rolle. Das zweite ist natürlich insgesamt nicht nur der Reiseverkehr, sondern auch der Warentransport. Und ein drittes wesentliches Merkmal ist, dass der Mensch nun in Regionen vordringt, in die er früher so leicht nicht gekommen ist."
Dadurch kommen Menschen öfter mit Wildtieren in Kontakt. So wie hier in Abidjan, einer Metropole der Elfenbeinküste. Auf diesem Markt wird sogenanntes „Bush-meat“ verkauft, also das Fleisch wilder Tiere, darunter Affen und Flughunde. Diese Tiere können Viren in sich tragen, die mutieren und dann auf den Menschen überspringen - etwa, wenn das Fleisch nicht durchgegart ist.
Im Nachbarland Guinea nahm im Dezember 2013 eine Ebola-Epidemie ihren Anfang. Die Fieberkrankheit verbreitete sich rasend schnell in Westafrika. Mehr als 10.000 Menschen starben.
Leonie Voss, DER SPIEGEL
"Das Robert-Koch-Institut ist führend in der Forschung an Ebola. Und ich treffe gleich einen Mann, dessen akribische Spurensuche tatsächlich dazu geführt hat, dass man herausgefunden hat, wie sich der erste Patient mit dem Virus infiziert hat."
Fabian Leendertz war 2014 einer der ersten Wissenschaftler, die nach Meliandou reisten – das Dorf in Guinea, in dem die Behörden "Patient null" vermuteten, also den allerersten Infizierten, einen zweijährigen Jungen.
Fabian Leendertz, Robert Koch-Institut
"Wir waren zehn Tage, nachdem bekannt wurde, dass dort Ebola ausgebrochen war, vor Ort. Das war schneller als es je ein Team geschafft hat. Aber uns war klar, dass es super wichtig ist, schnell da zu sein, weil sich die Situation ja verändert. Das ist ja wie im Kriminalroman: Wenn der Mord 50 Jahre her ist, ist er schwerer zu erklären, als wenn er vorgestern war."
Leendertz und seine Kollegen hörten sich in Meliandou um: Wann und wo könnte der zweijährige Junge mit Wildtieren in Kontakt gekommen sein?
Fabian Leendertz, Robert Koch-Institut
"Nachdem wir das Vertrauen der Bevölkerung gewonnen hatten, haben sie uns dann auch erzählt von diesem großen, hohlen Baum, der direkt neben dem Dorf steht, wo wohl eine riesige Kolonie an Fledermäusen dran gewesen ist und das war eben ein natürlicher Spielplatz der Kinder."
Eine mit Ebola-infizierte Fledermaus - das wäre der endgültige Beweis für den Ursprung der Epidemie gewesen. Doch die Forscher fanden kein einziges Tier mehr - nur einen Haufen Asche. Der Baum hatte kurz vor ihrer Ankunft gebrannt.
Fabian Leendertz, Robert Koch-Institut
"Nachdem ich meinen Frust überwunden hatte, habe ich dann gedacht, wir müssen das Szenario so weit wie möglich einengen. Wir haben also die Erde um diesen abgebrannten Baum gesammelt und genetische Analysen gemacht. Und mithilfe dieser genetischen Analysen konnten wir herausfinden, was für eine Fledermausart denn in diesem Baum gewohnt hat."
Leonie Voss, DER SPIEGEL
"Fabian Leendertz ist sich ziemlich sicher: Es waren sogenannte Bulldoggfledermäuse, die den Ebola-Erreger auf den Menschen übertragen haben. Ob der kleine Junge gebissen wurde, oder mit Kot gespielt hat - das konnte Leendertz nicht rekonstruieren. Aber für die Forscher war es ein großer Erfolg herauszufinden, woher der Erreger aller Wahrscheinlichkeit nach stammt, auch um zukünftige Epidemien zu verhindern."
Die Ebola-Epidemie in Westafrika konnte eingedämmt werden. Und das ist die gute Nachricht: Jede Epidemie ebbt irgendwann ab. Aber warum eigentlich?
Thomas Mettenleiter, Präsident Friedrich-Loeffler-Institut
"Bei Epidemien ist es so, dass irgendwann keine Organismen mehr zur Infektion zur Verfügung stehen. Die, die schon infiziert waren und das überlebt haben, haben Abwehrstoffe gebildet, sind also resistent. Und das bestimmt dann die berühmte epidemische Kurve. Die steigt also am Anfang sehr stark an. Das ist das, was wir gerade sehen bei dem neuen Coronavirus, dann peakt die Kurve, also hat sie irgendwo einen Gipfel, und dann fällt sie genauso wieder ab."
Wie schnell die Kurve wieder fällt, lässt sich beeinflussen. Im Fall von Covid-19 wird das durch strenge Quarantänemaßnahmen versucht, durch den schnellen Bau von Krankenhäusern und einen offenen Informationsaustausch über das Virus unter Wissenschaftlern.
Mit jeder Pandemie lernen Experten dazu. Doch Viren mutieren schnell und sind unberechenbar. Die Gefahr ist also groß, dass die Wissenschaftler beim nächsten Ausbruch einer Infektionskrankheit wieder einen Schritt zu spät sind.
**Korrektur: In einer vorherigen Version hieß es, dass das Sars-Virus von einer Fledermaus auf eine Zibetkatze übertragen wurde und von diesem Zwischenwirt auf den Menschen. Richtig ist, dass ein Larvenroller der Zwischenwirt war. Wir haben den Fehler korrigiert.