Dänemarks Klima Wackelkurs des Windkraft-Weltmeisters

Klima-Musterland Dänemark: Keiner nutzt mehr Windkraft, keiner geht effizienter mit Energie um. Ein Modell für die ganze EU, die heute bei ihrem Gipfel den Kampf gegen die Erderwärmung beschließen will. Leider sind die Dänen auch Meister im Verharmlosen der Krise.
Von Stefan Schmitt

Angela Merkel hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt: 60 bis 80 Prozent ihrer CO2-Emissionen soll die EU bis 2050 im Vergleich zu 1990 einsparen. Dafür wolle sie beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel kämpfen, sagte sie. Bei dem Gipfel sitzen ihr Vertreter von 26 anderen EU-Staaten gegenüber. Jedes Land hat einen anderen Energiemix, besondere wirtschaftliche Interessen und zum Teil ganz eigene Auffassungen von Umweltschutz. Das wird am Beispiel des nördlichen Nachbarn Dänemark klar, der eigentlich ein Klimaschutz-Musterknabe ist - aber für Merkel ein richtig ungemütlicher Verhandlungspartner werden könnte.

Den Dänen sollten die Folgen der globalen Erwärmung nähergehen als allen anderen Europäern, ist doch mit dem Königreich auch das riesige Grönland assoziiert. Auf der arktischen Insel werden sich die Folgen der globalen Erwärmung besser beobachten lassen als irgendwo sonst: 2005 wurde in Narsarsuaq an der Westküste mit plus 16 Grad Celsius ein Wärmerekord für den Monat Februar gemessen. Selbst am Mittelmeer war es zum gleichen Zeitpunkt kälter. Im August desselben Jahres beschnitt Grönlands Fischerei- und Jagdbehörde die Abschussquote für Eisbären, deren Lebensraum durch die Schmelze um den Nordpol herum bedroht ist.

Im vergangenen Sommer schließlich teilte das dänische meteorologische Institut mit, auf Grönland sei der Temperaturanstieg in Folge des Klimawandels doppelt so hoch wie im globalen Mittel.

Und tatsächlich scheint Dänemark ein Klimaschutz-Wunderkind zu sein - ein großes Vorbild für den Nachbarn im Süden. Schon während der neunziger Jahre wuchs der Windkraftanteil am dänischen Strommarkt von rund 2 auf mehr als 20 Prozent. Früh förderte die Regierung in Kopenhagen Biogasanlagen, Kraft-Wärme-Kopplung, Wärmedämmung und Stromsparen. Heute bezeichnet sich das Königreich zwischen Nord- und Ostsee selbst als energieeffizientestes Land der Welt, gleichauf mit Japan.

Klimapolitik nur "des Kaisers neue Kleider"

Doch ausgerechnet die gegenwärtige Regierung will vom Klimawandel und dessen Folgen wenig wissen. Die neuen EU-Vorstellungen seien doch nur "des Kaisers neue Kleider", hatte Finanzminister Thor Pedersen schon im vergangenen September erklärt. Der menschliche Einfluss auf das Klima werde von den Medien "wild übertrieben". In einem erfolglosen Versuch wollte die konservative Regierung 2005 die Zukunft der Energieversorgung einzig den Marktkräften überlassen.

Umweltministerin Connie Hedegaard gilt im Kabinett als weitgehend machtlos. Ihr Kabinettskollege Pedersen hält das EU-Ziel, die globale Erwärmung unterhalb einer kritischen Grenze zu halten, für "prinzipiell verkehrt". Anfang 2002 hatte die Regierung Rasmussen gar mit einem Boykott des Kyoto-Protokolls gedroht.

Der Klimaschutz hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren. 2001 wurden 700 Windräder in Dänemark aufgestellt - im vergangenen Jahr kein einziges mehr. Der Energieverbrauch in dem Land steigt wieder leicht an, der Ausbau erneuerbarer Energien stagniert, und die CO2-Emissionen konnten in den vergangenen fünf Jahren nicht nennenswert reduziert werden.

Was ist los in jenem Land, das zu den Weltmarktführern bei Windkraft gehört und sich mittelfristig von fossilen Energien unabhängig machen will?

"Das Problem in Dänemark ist, dass wir David und Goliath lieben", sagt Katherine Richardson, Meeresökologin an der Universität von Kopenhagen. Sie glaubt, dass Skeptiker der gängigen Klimamodelle in den dänischen Medien zu viel Aufmerksamkeit zuteil wird. Das führe dazu, dass der Eindruck von wissenschaftlicher Uneinigkeit entstehe, wo es tatsächlich kaum eine Debatte gebe. "Kein ernstzunehmender Forscher stellt derzeit in Frage, dass Treibhausgase eine Rolle bei der globalen Erwärmung spielen", sagt Richardson SPIEGEL ONLINE.

Einfluss der Skeptiker

Wer sich in Kopenhagen umhört, dem sagen die Menschen: Wir wissen, dass wir zu wenig wissen. "In Dänemark wissen die Leute nicht so genau, was beim Klimawandel stimmt und was nicht", sagt die Kopenhagener Journalistin Charlotte Priesjensen.

Daran ist die Regierung nicht unschuldig. Seit dem Wahlsieg des konservativen Anders Fogh Rasmussen 2001 wurden Risiken und Folgen des Klimawandels heruntergespielt.

Auch die Kopenhagener Studentin Anne Sophie Fogedby vermisst eine breite Diskussion in den Medien: "Generell scheint sich die Debatte in den dänischen Zeitungen mehr auf die Sichtweise von Politikern und Wissenschaftlern wie Björn Lomborg zu konzentrieren."

Lomborg ist der Polarisierer in der dänischen Klimadebatte. Der Ökonom machte 2001 mit dem Buch "The Skeptical environmentalist" ("Der skeptische Umweltschützer") auf sich aufmerksam. Darin warf er Öko-Aktivisten Panikmache, Weltuntergangspropaganda und falschen Umgang mit Statistiken vor. Seitdem ist er die Hassfigur vieler Ökologen, Umweltbewusster und Linker. Das "Time Magazine" hat ihn 2004 in die Liste der weltweit 100 einflussreichsten Menschen aufgenommen. Die britische Wirtschaftszeitung "Economist" sponserte ihm zwei Jahre zuvor eine Konferenz namens Copenhagen-Consensus, in der Ökonomen über die drängendsten Probleme der Menschheit abstimmten. Die Bekämpfung von Aids und Malaria landeten ganz oben auf dieser Prioritätenliste. Den Klimawandel zu bekämpfen, lehnt Lomborg hingegen ab: Das Kyoto-Abkommen sei teuer und ineffizient. Vor allem die Bewohner reicher Industrienationen seien vom Gedanken an die globale Erwärmung besessen, die Armen hingegen hätte ganz andere Probleme.

Premierminister Rasmussen ernannte Lomborg im März 2002 zum Direktor eines neuen Instituts, das die Regierung mit Kosten-Nutzen-Analysen zur Umweltpolitik beliefern sollte. Doch schon im November 2003 traten fünf von sieben Mitgliedern des Aufsichtsrats zurück - drei von ihnen aus Protest gegen den Einfluss der dänischen Regierung beim Projekt Copenhagen-Consensus. Nach heftiger öffentlicher Kritik legte Mitte 2004 auch Lomborg sein Amt nieder und kehrte an die Universität von Aarhus zurück.

"Cool it" wird die Emotionen hochkochen lassen

Seine Position, wonach die Folgen des Klimawandels weniger drastisch ausfallen werden als vorhergesagt und jeder Kampf Geldverschwendung ist, ist in der dänischen Debatte aber bis heute sehr präsent. Sie beeinflusst auch die Regierungspolitik. So beschnitt das Kabinett Rasmussen das Umweltbudget um ein Viertel und trennte die Zuständigkeiten für Energie und Umwelt voneinander.

Für den kommenden September ist Lomborgs neues Buch angekündigt. Schon der Titel dürfte seine Kritiker in Wallung bringen: "Cool It: Das Handbuch des skeptischen Umweltschützers zur globalen Erwärmung".

"Die dänische Bevölkerung unterstützt Klimaschutzpolitik", sagt Kirsten Halsnaes, Umwelt-Ökonomin am Risö-Forschungszentrum der Uno-Umweltorganisation Unep in Roskilde, SPIEGEL ONLINE. "Aber Einsparungen beim Treibhausgas-Ausstoß sind einfach schwer zu erreichen, weil die Menschen süchtig nach Energie sind."

In einem Gastbeitrag für die Zeitung "Politiken" schrieb Anfang März Svend Auken, europapolitischer Sprecher der oppositionellen Sozialdemokraten, dass nach Umfragen immerhin 60 Prozent der Dänen bereit seien, mehr für ihren Strom zu bezahlen. Gar 80 Prozent seien tief beunruhigt und wollten künftig mehr Energie sparen. "Die Dänen haben die Klimagefahr verstanden", schreibt Auken. "Aber was ist mit ihrer Regierung?"

"Die Lomborgs und Rasmussens dieser Welt haben uns erzählt, dass das alles nur falsche Vorhersagen sind, mit denen Wissenschaftler an Geld für weitere Forschung kommen wollen", sagte Auken zu SPIEGEL ONLINE. Er gilt nicht nur als profilierter Klimapolitiker. Er war auch bis zum Regierungswechsel 2001 Umweltminister. Mit seiner damaligen deutschen Kollegin Angela Merkel hatte Auken im Dezember 1997 das Kyoto-Protokoll ausgehandelt.

Seine Nachfolgerin Hedegaard und ihr Chef Rasmussen werden für die heutige Kanzlerin Merkel deutlich unangenehmere Verhandlungspartner sein.

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