Bakterienflora Auf ewig Darm

Ohne Bakterien wäre der menschliche Darm aufgeschmissen. Die Besiedler helfen bei der Verdauung, im Gegenzug erhalten sie Kost und Logis. Jetzt zeigt eine Studie: Die Bakterien bleiben uns erstaunlich lange treu - bis der Tod die Rollen neu verteilt.
E.-coli-Bakterien (Illustration): Auch sie gehören zur lebenslangen Wohngemeinschaft im Darm

E.-coli-Bakterien (Illustration): Auch sie gehören zur lebenslangen Wohngemeinschaft im Darm

Foto: Corbis

Darmbakterien leben an einem unwirtlichen Ort. Er ist feucht, finster und überfüllt. Mit bis zu 1.000.000.000.000, also einer Billion Lebewesen in einem Milliliter Darminhalt ist der Dickdarm der Ort mit einer der höchsten Einwohnerdichten der Welt.

Dennoch möchten die Bewohner offenbar mit niemandem tauschen, melden US-Mikrobiologen jetzt im Fachblatt "Science" . Sie haben die Bakterien von 37 gesunden Frauen und Männern über einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren untersucht - und dabei eine erstaunliche Anhänglichkeit festgestellt.

Obwohl der Mensch regelmäßig Billionen Keime mit dem Stuhl ausscheidet, können die residenten Bakterienstämme sich in ihrer Heimat halten. Und obwohl er jeden Tag neue Bakterien schluckt, lassen die alteingesessenen Keime sich von den Neuankömmlingen kaum vertreiben.

Das Muster der Darmbesiedlung, so das Fazit der Studie, bleibt verblüffend stabil. Die standorttreuen Bakterienstämme würden vermutlich "viele Aspekte unserer biologischen Eigenschaften während der meisten Zeit unseres Lebens und in einigen Fällen unser ganzes Leben lang prägen", schreibt das Team um Jeffrey Gordon von der Washington University School of Medicine in St. Louis (US-Bundesstaat Missouri).

Tauschgeschäfte im Inneren des Körpers

"Alistipes indistinctus" oder etwa "Veillonella parvula" lauten die Namen der an den Zotten hausenden Geschöpfe. Manche führen ein Nischendasein. Andere kommen massenhaft vor und dominieren das Biotop Darm, so Mitglieder vom Stamme Bacteroidetes und Actinobacteria.

Die unsichtbar kleinen Gefährten im Verdauungstrakt sichern dem Menschen das Überleben. Mit einer Gesamtmasse von etwa zwei Kilogramm wiegen sie mehr als das Gehirn - und entfalten eine größere biochemische Aktivität als die Leber. Die Mikroorganismen erhalten im Darm Kost und Logis und leisten im Gegenzug wertvolle Dienste.

Sie spalten Stärkemoleküle, Zellulosen sowie bestimmte Zuckerverbindungen und Proteine. Sie liefern dem Körper Brennstoff in Form von Chemikalien und versorgen ihn mit den Vitaminen B2, B6, B12 sowie Vitamin K für die Blutgerinnung. Sie stellen seifenartige Säuren für die Verdauung her und produzieren Gase, die als Abwinde entweichen.

Jeder Darm ist einzigartig

Mikroben und Menschen sind einander derart innig verbunden, dass die Artgrenze zu verschwimmen scheint. Sie bilden einen Superorganismus. Wir seien unseren Darmbakterien nicht nur freundlich zugetan, resümiert das Magazin "Nature Reviews Gastroenterology & Hepatology" : "Die Beziehung ist unendlich enger - wir sind mit ihnen verheiratet."

Und dieser Bund, das zeigt sich nun, ist wohl fürs Leben. Er bahnt sich an mit der Geburt des Menschen, wenn er die sterile Fruchtblase zum Springen bringt. Der Säugling wird zumeist mit den Bakterien aus der Muttermilch und vom Körper der Mutter besiedelt, später gesellen sich weitere Keime aus dem Umfeld hinzu. Jeder Mensch hat ein einzigartiges Besiedlungsmuster, das sich - bezogen auf Bakterienstämme - zwischen nicht verwandten Menschen offenbar um etwa 70 Prozent unterscheidet. Unter Geschwistern ist die Ähnlichkeit größer.

Im Alter von zwei bis drei Jahren ist die Kolonisierung weitgehend abgeschlossen, und die Parteien sind jetzt unzertrennlich. Obwohl der Mensch sich auch fortan ständig in einer Wolke fremder Mikroben bewegt und mit der Nahrung unzählige Keime aufnimmt, werden seine ursprünglichen Besiedler kaum mehr verdrängt.

Scheidungsgrund Antibiotikum

Es sei denn, der Mensch zerstört seine Darmflora mit einem Antibiotikum. Oder er wählt eine falsche Ernährung. Als für die aktuelle Erhebung vier Probanden wochenlang nur Flüssignahrung zu sich nahmen und dadurch zehn Prozent an Gewicht verloren, wurde das Besiedlungsmuster instabil.

Doch in der Studie ging es vor allem um den Normalfall. Von den jeweils etwa 200 verschiedenen Bakterienstämmen im Darm blieben durchschnittlich 60 Prozent im Beobachtungszeitraum von fünf Jahren und vermutlich Jahrzehnte darüber hinaus erhalten, schreiben die Mikrobiologen in "Science".

Erst mit dem Tod geht die Symbiose zu Ende. Dann machen sich die Darmbakterien davon. Wie auf ein geheimes Signal hin überwinden sie die Darmwand und zersetzen jenen Leib, der ihnen ein treuer Wirt war.

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