Neue Klimadaten des Umweltbundesamtes für Deutschland Die Emissionen sinken nicht – sie steigen

Eine echte Trendumkehr zeichnet sich weiter nicht ab: Nach der Coronapause 2020 stieg der CO₂-Ausstoß 2021 wieder deutlich an, dies zeigen gerade veröffentlichte Zahlen. Vor allem zwei Bereiche machen Sorgen.
Eine Analyse von Susanne Götze
Kokerei Prosper in Bottrop, Nordrhein-Westfalen

Kokerei Prosper in Bottrop, Nordrhein-Westfalen

Foto: Rupert Oberhäuser / IMAGO

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Die deutschen Treibhausgase haben im zweiten Coronajahr wieder deutlich zugelegt. Wie das Umweltbundesamt (UBA) in den am Dienstag vorgelegten Zahlen zeigt, stieg der Ausstoß auf 762 Millionen Tonnen – das sind 33 Millionen Tonnen oder 4,5 Prozent mehr als 2020. Besonders in der Industrie und der Energiewirtschaft aber auch im Verkehr legte der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen wieder um zweistellige Millionenbeträge zu, nur in der Landwirtschaft und bei Gebäuden sanken die Emissionen um wenige Tonnen.

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Um die Klimaziele bis 2030 zu schaffen, müsste der Treibhausgasausstoß pro Jahr dagegen eigentlich um sechs Prozent sinken, mahnt der Präsident des Umweltbundesamtes, Dirk Messner. »Seit 2010 waren es aber im Schnitt nicht einmal zwei Prozent.«

Allerdings sind die Klimastatistiken seit Ausbruch der Coronapandemie mit Vorsicht zu genießen. Denn die vergangenen zwei Jahre haben die eigentliche Klimabilanz verfälscht: Weil die deutsche Wirtschaft im Jahr 2020 und 2021 teilweise heruntergefahren werden musste, viele Menschen im Homeoffice arbeiteten und weniger reisten. Vor einem Jahr feierten viele noch die historischen Einbrüche klimaschädlicher Gase, sogar die zuvor fast verfehlten deutschen Klimaziele von 2020 waren plötzlich leicht zu erreichen. Aus diesem Coronatief heraus steigen die Emissionen nun wieder an. Dennoch liegen sie weiterhin unter dem Ausstoß von 2019 – dem letzten »normalen« Jahr.

Die Herausforderung für Analysten liegt nun darin, den Coronaeffekt aus den Zahlen herauszurechnen – und einen allgemeinen Trend zu erkennen: Wo steht Deutschland auf dem Weg in die Klimaneutralität? Ist der Anstieg der Emissionen vom Vorjahr ein harter Rückschlag für die deutsche Klimapolitik?

Die Coronapause ist zu Ende

Die Antwort ist ein klares »Jein«. Die heutigen Zahlen zeigen vor allem, dass die Coronapause wirklich nur eine Pause und der historische Einbruch von 2019 auf 2020 nur eine Ausnahme war. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sanken die Emissionen zu Beginn der Pandemie um spektakuläre neun Prozent. Dieser historische Wert wird nun von dem neuen Anstieg im Jahr 2021 teilweise wieder aufgefressen: Es geht seit einem Jahr wieder aufwärts mit der deutschen Wirtschaft – aber auch mit den Emissionen.

Das hätte durch eine vorausschauende Politik verhindert werden können, etwa mit einschneidenden Klimaschutzmaßnahmen, die eine schnellere Abkehr von Kohle, Erdöl oder Erdgas hätten einleiten können. Doch das angeblich »grüne« Corona-Wiederaufbaupaket der vergangenen Regierung hat wenig bewirkt. Deutschland ist deshalb von einer Absenkung der Emissionen von sechs Prozent pro Jahr – so wie es das UBA fordert – weit entfernt.

Stattdessen stiegen die Emissionen etwa im Verkehr (um rund drei Millionen Tonnen) aber auch bei der Industrie (um neun Millionen Tonnen). Das lag laut der Behörde vor allem am Lkw-Verkehr, der im vergangenen Jahr wieder rollte und an der Wiederaufnahme der Stahlproduktion.

Die leere Autobahn A40 führt vorbei an den Konzernzentralen von RWE (l) und Evonic (m). Durch den Coronavirus sind auf den Straßen wesentlich weniger Menschen unterwegs.

Die leere Autobahn A40 führt vorbei an den Konzernzentralen von RWE (l) und Evonic (m). Durch den Coronavirus sind auf den Straßen wesentlich weniger Menschen unterwegs.

Foto: Caroline Seidel/ dpa

Besonders stark nahm 2021 der Ausstoß bei den Kraftwerken zu – um 27 Millionen Tonnen. Das ist ungefähr so viel, wie das CO2-intensive Braunkohlekraftwerk im brandenburgischen Jänschwalde pro Jahr in die Luft abgibt. Die Daten der Behörde zeigen recht eindeutig, dass in ganz Deutschland im vergangenen Jahr erheblich mehr Braunkohle verbrannt wurde. Aber auch Steinkohle und Erdgas legten zu.

»Die Energiepreiskrise hat bereits 2021 zu einer Verlagerung von Erdgas zur Kohle geführt«, kommentiert Gunnar Luderer, Energieexperte am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) dem SPIEGEL. »Wegen der Ukrainekrise ist zu befürchten, dass sich dieser Trend noch verstärkt und kurzfristig zu zusätzlichen Emissionen führt.«

Dass es gerade bei der Energiewirtschaft so große Schwankungen gibt, ist nicht ungewöhnlich. Deren Emissionen hängen davon ab, wie hart die Winter ausfallen, wie hoch der CO2-Preis ist, wie viel Wind weht und ob die erneuerbaren die fossilen Energien ersetzen können. Die Stromproduktion hat außerdem den größten Anteil an den deutschen Emissionen und ist extrem anfällig für veränderte politische Bedingungen.

Sofortprogramme für Verkehr und Gebäude

Doch die Sektoren mit dem höchsten CO2-Anstieg sind paradoxerweise nicht unbedingt jene, die nun nachbessern müssen. Laut dem Klimaschutzgesetz dürfen Kraftwerke , Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft pro Jahr eine bestimmte Emissionsgrenze nicht überschreiten – diese Werte sinken jedes Jahr, bis zum Jahr 2030. Dann dürfen nur noch etwas mehr als die Hälfte der heutigen Treibhausgase in die Atmosphäre gehen. Wenn ein Sektor die Ziele überschreitet, müssen die zuständigen Ministerien ein Sofortprogramm vorschlagen, um die Werte doch noch zu erreichen.

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Laut den Zahlen des Umweltbundesamtes trifft es dieses Jahr zum zweiten Mal den Gebäudesektor und den Verkehr. Hier überschritten die gemessenen CO2-Werte die gesetzlich erlaubte Grenze – selbst wenn sie wie im Gebäudesektor im Vergleich zum Vorjahr sogar etwas sanken.

In beiden Bereichen sind Minderungen besonders schwierig, da sie sehr kleinteilig sind: Es müssen Millionen Häuser in Deutschland gedämmt und ebenso Millionen Autos und Busse von Diesel und Benzin auf Elektromotoren umgestellt werden. Dass die meisten Haushalte noch mit Öl- und Gas beheizt werden, ist vielen Deutschen nicht durch den Klimawandel, sondern durch den Ukrainekrieg schmerzlich bewusst geworden. Auch hier rächt sich nun jahrelanges Zögern, etwa beim Einbau von klimafreundlichen Wärmepumpen.

Kommt jetzt die Kehrtwende?

Doch es gibt auch gute Nachrichten: Vergleicht man die neuen UBA-Zahlen von 2021 mit Vor-Corona-Zeiten, liegen diese immer noch rund 40 Millionen Tonnen darunter – trotz des erneuten Anstiegs. Das heißt: Trotz der Steigerung in diesem Jahr sinken (!) die Emissionen tendenziell noch. Außerdem liegen alle Sektoren außer Verkehr und Gebäude auf dem gesetzlich vorgegebenen Minderungspfad.

Schon vor der Pandemie waren die Emissionen in Deutschland im Sinkflug. Im Jahr 2019 verzeichnete das Umweltbundesamt einen Rückgang von 54 Millionen Tonnen. Das war bis dahin der zweithöchste Rückgang seit 1990. Auch hier spielte wieder die Energieproduktion die größte Rolle: Vor der Pandemie wirkte erstmals der europäische CO2-Preis und das Verbrennen von klimaschädlicher Kohle lohnte sich nicht mehr, Gas war günstiger. Derzeit sind die Gaspreise durch den Ukrainekrieg astronomisch hoch, Kohle wird dadurch wieder attraktiv – der klimapolitische Worst Case.

»Deutschland ist noch lange nicht auf Kurs für die Erreichung der Klimaneutralität«

Gunnar Luderer, Energieexperte am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam

Deshalb lassen sich Coronaeffekt, politisch ungünstige Bedingungen und die Wirkung von Klimaschutzmaßmahmen bei solchen Klimadaten nur schlecht auseinanderhalten. Wie viel davon ist ein echter Rückgang?

Die Regierung verbucht Emissionssenkungen naturgemäß gern auf ihrem Konto, ein Anstieg wird meist auf äußere Umstände geschoben. Die Merkel-Regierung argumentierte vor einem Jahr, dass sich nicht nur die Pandemie, sondern auch Klimaschutzmaßnahmen endlich bemerkbar machen würden. Immerhin gebe es einen CO2-Preis auf Kraftstoffe und die erneuerbaren Energien machen über 50 Prozent der Stromversorgung aus.

Niklas Höhne vom NewClimate Institut ist da skeptischer. Er sieht weder bei den alten noch den neuen Zahlen ein Anzeichen für eine Kehrtwende: »Wir sind noch nicht auf einem guten Weg«, so der Klimaexperte. »Corona hat uns nur eine kleine Verschnaufpause beschert, das Ausmaß der fehlenden Reduktionsmaßnahmen wird nun deutlich.«

Dampfende Kühltürme des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde in der Lausitz: Es ist eines der größten weltweit

Dampfende Kühltürme des Braunkohlekraftwerkes Jänschwalde in der Lausitz: Es ist eines der größten weltweit

Foto: Patrick Pleul/ DPA

Auch Gunnar Luderer vom PIK sieht das so: »Deutschland ist noch lange nicht auf Kurs für die Erreichung der Klimaneutralität«. Dennoch liege auch der Anstieg der Emissionen im Jahr 2021 maßgeblich am Wegfall von coronabedingten Sondereffekten und an der Witterung. Das müsse man klar von den übrigen Faktoren trennen. »Das hohe Emissionsniveau ist aber auch das Ergebnis der mangelhaften Klimaschutzanstrengungen des letzten Jahrzehnts«, so der Wissenschaftler. »Der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie stockt, zu wenige Altbauten werden energetisch saniert und auch bei der Verkehrswende geht es viel zu langsam voran.«

Beide befürchten, dass sich diese Versäumnisse nun in Zeiten des Ukrainekrieges bitter rächen könnten. »Wir brauchen jetzt einen Notfallplan für die Klima- und die Ukrainekrise mit Fokus auf Energiesparen, dem Ausbau der erneuerbaren Energien und gezieltem sozialem Ausgleich«, meint Niklas Höhne.

Wie groß die Lücke zwischen Klimaziel und den vorgelegten Zahlen wirklich ist, muss nun der Klima-Expertenrat der Bundesregierung  analysieren. Er hat einen Monat Zeit, um die Daten auszuwerten. Doch besonders positiv dürfte auch das Urteil dieser Experten nicht ausfallen. Die verlorenen Jahre unter den von Angela Merkel geführten Regierungen werden jedes Jahr spürbarer. Und bis die Klimamaßnahmen der Ampelkoalition wirken, werden wohl noch mindestens ein bis zwei Jahre vergehen.

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