Deutsche Top-Forscherinnen "Die Zeit der Frauen ist angebrochen"
SPIEGEL ONLINE: Marie Curie hat einmal gesagt: Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen. Verstehen Sie eigentlich, warum in Deutschland noch immer nur neun Prozent der hochrangigen Professorenstellen mit Frauen besetzt sind?
Zimmer: Der Weg nach ganz oben ist steinig. Sicheres Einkommen und berechenbare Arbeitszeit sind für viele sehr wichtig. Frauen nehmen meist nicht so gern Risiken in Kauf.
SPIEGEL ONLINE: Welche Risiken?
Zimmer: Keine Professur zu bekommen zum Beispiel. Die Stellenvergabe hängt nicht unbedingt mit dem Können zusammen. Vor allem früher spielten bei den Vergabeverfahren nicht nur Leistung, sondern auch Beziehungen eine wichtige Rolle. Jetzt orientiert sich die Vergabe aber immer mehr an Leistung, und das wirkt sich zugunsten der Frauen aus.
SPIEGEL ONLINE: Sind Frauen die besseren Wissenschaftler?
Zimmer: Je objektiver gemessen wird, desto größer werden die Chancen für Frauen. Mittlerweile haben sehr viele Frauen sehr gute Abschlüsse. 1980 kamen nur knapp fünf Prozent der Habilitationen in Deutschland von Frauen, 2005 waren es immerhin fast 24 Prozent. In der Medizin sind mittlerweile 66 Prozent der Absolventinnen weiblich.
SPIEGEL ONLINE: In den Ingenieurwissenschaften waren es 2004 nur 20 Prozent. Werden Frauen in typischen Männerdomänen wie Mathematik oder Physik nicht akzeptiert?
Zimmer: Sie meinen so typische Klischees wie "Frauen rechnen schlechter als Männer"? Daran glaubt doch kein Wissenschaftler! Die Diskussionen verlaufen dort auf fachlicher Ebene. Da zählt wirklich, wer die besten Ergebnisse hat. Und wenn die von einer Frau kommen, dann wird sie halt gefördert.
SPIEGEL ONLINE: Die Zeit der Frauen bricht demnach an?
Zimmer: Die ist schon längst angebrochen. Zwar nicht bei der Top-Forschung, aber die Hochschule an sich wird sich feminisieren. Das hat zwei Gründe: Frauen sind zum einen immer besser ausgebildet. Und zum zweiten hat die Politik die Gehaltsstrukturen derart heruntergedrückt, dass eine Universitätskarriere mittlerweile für viele Männer eher unattraktiv geworden ist - zumindest was die Bezahlung angeht.
SPIEGEL ONLINE: Der Weg für Wissenschaftlerinnen im mittleren Niveau ist also frei, weil die männlichen Kollegen keine Lust mehr auf schlecht bezahlte Forscherjobs haben?
Zimmer: In einer Einstiegsprofessur werden Sie schlechter bezahlt als ein Angestellter. Sie erreichen da kaum das Facharbeiterniveau.
SPIEGEL ONLINE: Warum lassen sich Frauen darauf ein und Männer nicht?
Zimmer: Forschen macht Spaß, und die Arbeit ist anspruchsvoll. Die Sicherheit spielt wie gesagt eine Rolle, und außerdem sind die Eintrittshürden jetzt niedriger. Eine Habilitation braucht man nicht mehr zwingend. Da denken sich viele: "Ich probier das mal." Und wer dann promoviert und sich habilitiert, für den gibt es eigentlich kein Zurück mehr. Dann muss man dabei bleiben und auch die niedrigere Bezahlung akzeptieren.
SPIEGEL ONLINE: Warum das denn? Man kann sich doch wehren.
Zimmer: Schon, aber dafür braucht man Druckmittel. Für viele Wissenschaftlerinnen gibt es aber außerhalb keinen Markt. Wo wollen Sie als Astrophysikerin hingehen wenn nicht an ein Forschungsinstitut?
SPIEGEL ONLINE: Die deutsche Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Vollhardt hat sich schon vor 20 Jahren erfolgreich dagegen gewehrt, dass sie als Direktorin des Tübinger Max-Planck-Instituts eine schlechtere Ausstattung bekam als ihre männlichen Kollegen. Zunächst war sie nur glücklich über ihren Posten, aber später, als die Auszeichnungen purzelten, hat sie mehr gefordert.
Zimmer: Frau Nüsslein-Vollhardt ist sehr couragiert und das ist bemerkenswert. Zusätzlich haben Biologinnen natürlich auch mehr Alternativen wie etwa in Pharmafirmen. Was sie allerdings über die Ausstattung erzählt, das gilt heute noch. Und das Interesse, diesen Sachverhalt zu prüfen, ist nicht vorhanden. Wir wollten an der Universität Münster vergleichen, wie Professoren und wie Professorinnen ausgestattet sind. Da gab es wirklich einen Aufstand im Senat. Wir hatten ein heißes Eisen angefasst. Jeder weiß, dass die Unterschiede da sind, untersuchen durften wir das aber nicht.
SPIEGEL ONLINE: Dann werden Wissenschaftlerinnen also heute doch noch auf ähnliche Weise diskriminiert wie vor 20 Jahren?
Zimmer: Nein, ganz und gar nicht. Es hat sich schon sehr viel getan, allein dadurch, dass es immer mehr Frauen gibt. Die organisieren sich jetzt ebenso in Netzwerken wie Männer. Als ich vor knapp 20 Jahren an der Universität anfing, war ich die einzige Frau im Institut. Dies sieht heute schon viel besser aus, vor allem, was die Informationskanäle angeht.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem sind Wissenschaftlerinnen in Top-Positionen - wie die im Buch porträtierten "Frauen die forschen" - eher die Ausnahme. Wie kommt man ganz nach oben?
Zimmer: Unsere Untersuchung hat ergeben, dass diejenigen am erfolgreichsten waren, die alles schnell hintereinander weg machten. Das spricht natürlich eher gegen Frauen, die für Kinder eine Auszeit brauchen. Am besten wäre es, wenn eine Wissenschaftlerin ihre Kinder nicht erst kriegt wie die durchschnittliche Akademikerin , wenn sie 35 oder älter ist. Dann droht der Zug sowohl in der Forschung als auch in Sachen Schwangerschaft abzufahren. Will eine Frau Vollzeit-Forscherin werden, sollte sie am besten schon im Studium Kinder bekommen.
SPIEGEL ONLINE: Die Nüsslein-Vollhardt-Stiftung hilft jungen Forscherinnen finanziell, die Kinder und Karriere wollen. Kann das die Probleme lösen?
Zimmer: Einen Teil schon. Die Stiftung ist wirklich klasse, vor allem Frau Nüsslein-Vollhardt wirkt als Vorbild unheimlich gut. Junge Wissenschaftlerinnen brauchen solche Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Und wenn eine Frau erstmal die Entscheidung für eine Karriere in der Wissenschaft getroffen hat, dann hilft ihr natürlich jede Unterstützung.
SPIEGEL ONLINE: Julia Fischer, Professorin für kognitive Ethologie in Göttingen hat gesagt: "Meistens sind nicht Kinder das Handicap, sondern die Männer."
Zimmer: Das kann ich im Hinblick auf unsere Umfragen nicht bestätigen. Bei uns kam heraus, dass Männer ganz besonders wichtig sind als Unterstützer. Der Großteil der Forscherinnen ist mit Wissenschaftlern verheiratet. Die verstehen den Betrieb und die hohen Arbeitsanforderungen.
SPIEGEL ONLINE: Die Verantwortung für die Kinder liegt trotzdem meist bei den Müttern. Wenn sie sich dennoch voll ihrer Forscherkarriere widmen, gelten sie als Rabenmütter.
Zimmer: Das ist leider noch immer traurige Wahrheit in Deutschland. Wir sollten uns in diesem Fall ein Beispiel an der Türkei nehmen. Auch in Polen und in Südamerika gibt es relativ viele Professorinnen. Das hängt damit zusammen, dass die Gesellschaft dort stärker in sozialen Klassen organisiert ist. Wer zur gehobenen Mittelschicht gehört, hat Hilfen für Haushalt, Kinder und Garten. Das ist dort völlig akzeptiert. Hier ist das ganz anders. Sie können ja nicht mal die Kosten für eine Haushaltshilfe voll von der Steuer absetzen.
SPIEGEL ONLINE: Und die Kinderbetreuung an Forschungseinrichtungen lässt zu wünschen übrig...
Zimmer: Absolut, da ist Deutschland wirklich hinterwäldlerisch. An einigen Hochschulen gibt es zwar Kitas, aber Professorinnen dürfen ihre Kinder dort nicht hinbringen, weil sie zu viel verdienen. Das ist doch paradox! Ebensowenig zielführend sind Kindergärten, die weit entfernt vom Institut in der Stadt liegen.
SPIEGEL ONLINE: Wird eine Frau denn in der Wissenschaftswelt ernst genommen, wenn sie teilweise von zu Hause arbeiten will und nur bei jedem dritten Kongress einen Vortrag hält?
Zimmer: Das ist natürlich genau das Dilemma vieler Forscherinnen. Man muss aber auch sagen, dass es sehr auf das Umfeld ankommt. Eine Chefin hat möglicherweise mehr Verständnis als ein Chef. Professorinnen unterstützen meist sehr gern junge Wissenschaftlerinnen. Und junge Frauen wählen sich umgekehrt für ihre Habilitation oft eine Professorin aus, die sie betreut. Auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs ist es einfach wichtig, dass Frauen in Zukunft noch mehr Führungspositionen besetzen.
Das Interview führte Heike Le Ker
Buchtipp : Bettina Flitner: Frauen die Forschen . Jeanne Rubner (Hg.), Collection Rolf Heyne, München 2008. 240 Seiten. 29,90 Euro. Erscheinungsdatum: 4.September 2008.