Anthropologie Die Entwicklung des Menschen begann auf Bäumen

Fossil eines Australopithecus-Kindes: Kletterfuß inklusive
Foto: Zeray AlemsegedEine Studie im Fachblatt "Science Advances" stellt unsere Vorstellung von den Vorfahren des Menschen infrage. Untersucht wurde der vollständigste, bisher gefundene Fuß eines Austropithecus-Kleinkinds. Das Fossil gehört zu einem Exemplar der Gattung Australopithecus afarensis, der auch die berühmte "Lucy" angehörte, und lebte vor rund 3,3 Millionen Jahren.
Australopithecinen werden als direkte Vorfahren der Gattung Homo gesehen - sie sind also unsere Vorfahren. Äußerlich noch reichlich "äffisch", stellen wir sie uns bereits als aufrecht gehende, auf zwei Beinen stehende Wesen vor - als Vormenschen, die einen der wichtigsten evolutionären Schritte zur Menschwerdung bereits getan haben. Dieser bestand im Verlassen der Bäume und im Übergang zum aufrechten Gang, glaubt man.
Das aber, behauptet die aktuelle Studie , sei möglicherweise nicht ganz richtig - unsere Vorfahren hingen wohl weit länger am Baum als bisher gedacht. Zumindest ihre Kinder: Der bereits 2002 geborgene Fuß eines zwei bis drei Jahre jungen Australopithecus-Kindes zeige klare Anpassungen für das Klettern in Bäumen. Und zwar deutlichere Adaptionen, als man durch eine Lebensweise mit gelegentlichem Klettern im Geäst erklären könnte.
Ergo: Australopithecus mag zweibeinig gelaufen sein, so die Autoren der Studie, aber wohl nicht "Vollzeit". Sein Fuß beweise, dass die Frühmenschen-Art zumindest in ihrer Jugend noch einen guten Teil ihrer Zeit in Bäumen verbracht habe. Zumindest die gefundenen fossilen Knochen des Kleinkindes belegten noch einen Mix von Eigenschaften, die teils uns Menschen, teils unserer Primatenverwandtschaft zuzuordnen wären.

Angeblich eindeutig: Dieser Fuß war zum Klettern gemacht, nicht zum Laufen
Foto: Jeremy DeSilva & Cody PrangMenschwerdung: Baum und Boden
Das beißt sich mit gängigen Vorstellungen, in denen die Abkehr vom Baum fast symbolisch für die Menschwerdung steht. Der aufrechte Gang gehört ja zu den offensichtlichsten Merkmalen, durch die wir uns von unserer Primatenverwandtschaft unterscheiden.
Sich unsere Vorfahren stehend vorzustellen, fällt uns leichter, als sie kauernd oder an Ästen hängend als Verwandtschaft zu akzeptieren. Selbst wenn sie sich optisch noch wenig von Affen unterschieden, scheinen sie uns stehend näher zu sein als hangelnd. Doch Australopithecinen waren offenbar schon zu einem guten Teil menschlich, bevor sie sich endgültig vom Leben auf Bäumen verabschiedeten.
Bisher stellte man sich Australopithecus meist als aufrechten Wanderer in der ostafrikanischen Steppenlandschaft vor, der allenfalls bei Gefahr hinauf in die Bäume floh. In der Entwicklungslinie, die mit dem Zeitpunkt der Trennung von den anderen Menschenaffen beginnt und bei uns endet, markiert sein Auftreten quasi den halben Weg: Die Gattung lebte vor vier bis zwei Millionen Jahren. Was davor in der Zeit bis vor mehr als sieben Millionen Jahren lag, als sich die Linien von Schimpanse und Mensch trennten, ist heiß umstritten und gilt als allenfalls "menschenartig".
Auf Australopithecus hingegen folgte direkt Homo. Er hatte den größten Teil des Weges zur Menschwerdung schon hinter sich. Unsere Entwicklung, so scheint es, begann schon im Baum und nicht erst am Boden.