Knochenanalyse Forscher entschlüsseln Erbgut von 400.000 Jahre altem Urmenschen

Etwa 400.000 Jahre altes Skelett eines Urmenschen, gefunden in Sima de los Huesos
Foto: AP Photo/Madrid Scientific Films, Javier TruebaDie berühmte Grabungsstätte in der nordspanischen Sierra de Atapuerca lässt Anthropologen rätseln. Wie alt sind die Gebeine aus der Karsthöhle Sima de los Huesos wirklich? Welcher Spezies gehören sie an? Und vor allem: Handelt es sich hier um den ältesten Friedhof der Menschheitsgeschichte? Eines darf nun als gesichert gelten: Von diesem Ort, so verkündet die Wissenschaftszeitschrift "Nature", stammt das älteste lesbare Erbgut eines Vorfahren der modernen Menschen.
Den neuen Rekord im Erbgut-Entziffern haben Genforscher des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie aufgestellt. Seit Jahren schon puzzeln sie Neandertaler-DNA aus rund einem Dutzend Höhlen in ganz Europa zusammen. Im vergangenen Jahr dann gelang ihnen im sibirischen Denisova ein besonderer Coup: In einem Fingerknöchelchen machten sie das Genom eines bis dahin völlig unbekannten Menschengeschlechts dingfest.
Bei einem Alter von rund 100.000 Jahren aber stockte der Vorstoß in die genetische Vorgeschichte des Homo sapiens. So stark ist das Erbmaterial in noch älteren Gebeinen verwittert, dass die Forscher lange vergeblich versuchten, es auszulesen - bis sie nun in einem Oberschenkelknochen aus Sima de los Huesos erfolgreich waren. Zerbröselt, ausgedünnt und chemisch verändert, aber doch noch eben nachweisbar, fanden die Forscher rund 400.000 Jahre alte Menschen-DNA.
Der Knochen stammt aus einer der spektakulärsten Urmensch-Fundstellen Europas. Durch scharfkantige Kalksteinhöhlen krabbelnd, stießen die Forscher hier schon in den neunziger Jahren nicht nur auf die Knochen Hunderter Höhlenbären, sondern auch auf die weltgrößte Ansammlung menschlicher Steinzeitfossilien: Rund 5000 Fragmente von insgesamt mindestens 28 Individuen konnten sie identifizieren. Ein Faustkeil, unbenutzt und ungewöhnlich sorgfältig aus Quarzit und Ocker gehauen, war das einzige entdeckte Werkzeug - die spanischen Ausgräber deuten es als Hinweis auf ein Bestattungsritual.
"Erstaunlich bröselig"
In der Tiefe der Höhle vor den Widernissen des Wetters geschützt, überdauerten die Gebeine vergleichsweise unversehrt. "Trotzdem sind die meisten Knochen erstaunlich bröselig", erzählt Matthias Meyer, einer der beteiligten Wissenschaftler aus Leipzig. "Sie liegen erstaunlich leicht in der Hand."
Ehe er und seine Kollegen sich an die menschlichen Gebeine heranwagten, testeten sie ihre Verfahren an den Knochen der Höhlenbären. "Wir haben ja eine Verantwortung, nicht ohne guten Grund kostbare Fossilien zu beschädigen", sagt Meyer. Nach erfolgreichem Bärentest wählten die Forscher für die Erbgut-Fahndung einen besonders kräftigen Homo-Knochen, in dem noch dicke, kompakte Schichten erkennbar waren. Es kam ihnen dabei zugute, dass dieser Oberschenkel einst in drei Einzelteilen aufgefunden worden war. "So konnten wir an den alten Bruchstellen bohren, ohne die äußere Gestalt des Knochens antasten zu müssen", sagt der Leipziger Genforscher.
Ganz ohne Beschädigungen ging es allerdings nicht ab - zumal die Gendetektive diesmal ungewöhnlich viel Knochenmaterial brauchten. In Denisova hatten ihnen zehn Milligramm Knochenpulver - weniger als eine Messerspitze - gereicht, um das gesamte Genom auszulesen. Diesmal dagegen mussten sie die 200fache Menge untersuchen, bis sie auch nur kleine Teile des Erbguts entziffert hatten. Veröffentlichen konnten sie jetzt nur die sogenannte mitochondriale DNA, die aus den Kraftwerken der Zellen stammt.
Das war schwierig genug. Denn der Großteil des Erbmaterials, das die Forscher sicherstellten, stammte von Bakterien, die in der Probe siedelten. Und selbst wenn die Wissenschaftler doch einmal auf DNA eindeutig menschlichen Ursprungs stießen, gehörte diese zumeist irgendeinem Forscher, der diesen Knochen einmal in Händen gehalten hatte. In all diesem Genmüll die wenigen wirklich steinzeitlichen Erbgutreste aufzuspüren, erfordert viel Raffinesse. Die Leipziger mussten neue Verfahren entwickeln, um die alten, oftmals chemisch veränderten DNA-Schnipselchen herauszufiltern, auszulesen und wieder zu sinnvollem Text zusammenzusetzen.
Rätselhafte Clans
Und was verrät dies nun über das Leben der Urmenschhorden in der eiszeitlichen Steppe Spaniens? Die Entzifferung bescherte den Leipzigern vor allem eine große Überraschung: Die Sequenz, die sie schließlich zusammengepuzzelt hatten, ähnelt derjenigen aus Denisova.
Kann es sein, dass hier Mitglieder jenes rätselhaften Clans aus Sibirien siedelten? Wie aber gelangten ihre Nachfahren dann nach Asien, und wieso vermischten sie sich dabei nicht mit den Neandertalern, denen sie unterwegs begegnet sein müssen?
Die Nachricht aus Spanien lädt ein zur Spekulation. Genforscher Meyer jedoch warnt: "Mitochondriale DNA kann lügen." Schon einmal seien er und seine Kollegen in die Irre gelaufen, als sie in Denisova voreilig Schlüsse aus der Mitochondrien-DNA zogen. Als ihnen wenig später auch die Entzifferung des Erbguts im Zellkern gelang, mussten sie viele revidieren.
Den Durchbruch sieht Meyer deshalb vor allem darin, dass nun der Nachweis geführt ist: Menschen-Erbgut lässt sich selbst nach Hunderttausenden von Jahren noch gewinnen. Bis es allerdings gelingt, das gesamte Genom der spanischen Höhlenmenschen zu gewinnen, wird es diesmal wohl etwas länger dauern. "Noch haben wir nicht einmal eine Strategie, wie wir das anpacken sollten", sagt Meyer.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, bei der nun entzifferten DNA handele es sich um das älteste lesbare Erbgut des Homo sapiens. Das ist so nicht richtig, es handelt sich um die DNA einer anderen, früheren Homo-Art. Wir haben den Fehler korrigiert.