
Trump im Paralleluniversum Verschwörungstheoretiker-in-Chief

Donald Trump
Foto: Andrew Harnik/ APVor einigen Jahren habe ich einen Mann kennengelernt, der sich ziemlich sicher ist, dass die Zerstörung des World Trade Center am 11. September 2001 von der CIA organisiert worden ist. Der Mann ist weder verrückt noch dumm, er war 25 Jahre lang Bundestagsabgeordneter und sogar einmal Bundesminister. Aber er glaubt trotzdem, dass die USA als Anlass für Kriege in Afghanistan und im Irak mehr als 3000 Menschen im eigenen Land getötet haben.
In der Welt derer, die an diese Theorie glauben, zieht immer jemand im Hintergrund die Fäden, nichts bleibt dem Zufall überlassen. Statt typisch menschlicher Inkompetenz herrscht nahezu unmenschliche, heimlich ausgeübte Kompetenz: ferngesteuerte Flugzeuge, versteckt verbaute Sprengladungen, gefälschte Beweise, erfundene Terroristen, eisernes Schweigen bei den Eingeweihten.
Tatsächlich haben die Snowden-Enthüllungen ja Belege dafür geliefert, dass globale, gewaltige Geheimdienstverschwörungen viele Jahre lang unentdeckt bleiben können. Dafür, dass die "Five Eyes"-Geheimdienste im Auftrag einer geheimen Weltregierung handeln, die auch Gift in der Atmosphäre versprühen lässt und den Klimawandel erfunden hat , gibt es allerdings weiterhin keine Anhaltspunkte.
Die Welt ist ein erschreckend multikausaler Ort
Das aber ist das Wesen der Verschwörungstheorie: Die tatsächlichen Mechanismen, mit denen die geheime Weltregierung, die jüdische Weltverschwörung und/oder die "New World Order" im Hintergrund alles kontrollieren und verschleiern, sind angeblich hochkomplex. Die Erklärungen für reale Ereignisse werden dadurch aber ganz einfach: Die Geheimdienste waren's. Die Juden waren's. Das globale Kapital war's. Und so weiter.
Tatsächlich ist die Welt ein erschreckend multikausaler Ort, alles hängt mit allem zusammen. Menschen machen Fehler, kommen auf verrückte, kranke, bösartige Ideen, Dinge werden übersehen, zu lange ignoriert, aus wirtschaftlichem Interesse verheimlicht. Komplexe Vorgänge haben in der Regel nicht eine einzige Ursache oder gar einen einzelnen Urheber, sondern viele. Der Klimawandel zum Beispiel. Die Finanzkrise. Syrische Flüchtlinge in Europa.
In der Welt von Verschwörungstheoretikern dagegen gibt es konkrete, sinistre Täter. Zum Beispiel die heimlichen Herrscher der USA, die mit der "Migrationswaffe" Europa destabilisieren wollen, warum auch immer.
Einfache Erklärungen, einfache Lösungen
Das passt zu Denkmustern, die in der Sozialpsychologie "fundamentaler Attributionsfehler" oder "Korrespondenzverzerrung" genannt werden: Es scheint oft einfacher, ein Ereignis auf eine handelnde Person, ihre Absichten und Eigenschaften zurückzuführen als auf äußere Faktoren und Bedingungen. Die Verschwörungstheorie ist gewissermaßen der auf globales Format aufgeblasene fundamentale Attributionsfehler: Läuft etwas schief, muss es namenlose Strippenzieher im Hintergrund geben.
Neben einfachen Erklärungen bevorzugen Verschwörungstheoretiker auch einfache Lösungen, wie zum Beispiel eine Studie zeigt, die niederländische Wissenschaftler 2015 veröffentlicht haben . Versuchspersonen, die diversen Verschwörungstheorien zuneigen, glauben demnach oft auch daran, dass die Probleme der Welt eigentlich ganz leicht lösbar wären.
Extremisten lieben Verschwörungstheorien
Nicht nur in diesem Punkt überschneiden sich die Denkmuster von Verschwörungstheoretikern mit denen von Populisten und Extremisten: Die gleiche Studie zeigt auch - sie ist nicht die einzige mit diesem Befund -, dass sowohl Menschen mit rechts- wie solche mit linksradikalen Einstellungen besonders häufig an geheime Verschwörungen glauben.
Womit wir, so leid mir das tut, doch wieder bei Donald Trump wären. Auch der Präsident und seine Vertrauten versuchen ununterbrochen, komplexe Probleme mit vermeintlich einfachen Lösungen aus der Welt zu schaffen. Illegale Einwanderer? Mauer bauen. Jobs wandern ins Ausland ab? Strafzölle. Terrorismus? Muslime aussperren. Klimawandel? Einfach nicht mehr darüber reden.
Für ein dem Extremismus und der Verschwörungstheorie zuneigendes Publikum sind das dankbare, angenehm komplexitätsreduzierende Ansätze. Es gibt klar zu benennende Schuldige - Mexiko, ausländische Unternehmen, Muslime, Klimaforscher - die man einfach mal in ihre Schranken weisen muss, dann wird alles wieder gut.
Verschwörungstheoretiker im Briefing Room
Ins Bild passt da, dass im "Briefing Room" des Weißen Hauses jetzt Verschwörungstheorie-Publikationen wie "Gateway Pundit" und "Lifezette" einen Platz bei den Pressekonferenzen und viel Aufmerksamkeit bekommen. "Gateway Pundit" zufolge herrscht in Frankreich gerade Bürgerkrieg. "Lifezette" sammelt unermüdlich angebliche Indizien für die Behauptung, dass der menschengemachte Klimawandel eine Erfindung von geldgierigen Wissenschaftlern ist.
Die Welt der Verschwörungstheoretiker ist eine Parallelwelt, in der die alternativen Fakten regieren. Systeme, die objektivierbare Erkenntnisse zu produzieren versuchen, gelten in dieser Welt als natürlicher Feind. Wissenschaft und ordentlicher Journalismus zum Beispiel.
Der Präsident selbst lebt augenscheinlich in einer solchen Parallelwelt, wie er diese Woche wieder einmal eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. Die Presse hat sich gegen ihn verschworen, dabei läuft doch eigentlich alles blendend. Hillary Clinton hat Russland Berge von Uran verkauft. Und zum Rauswurf seines Sicherheitsberaters haben Informationen geführt, die gleichzeitig Lügen und Durchstechereien von Fakten sind, eine Art Schrödingers Katze der politischen Argumentation gewissermaßen, falsch und wahr zugleich.
Es muss erstaunliche kognitive Dissonanz erzeugen, der mächtigste Mann der Welt zu sein und sich gleichzeitig fortgesetzt als das Opfer mächtiger Verschwörer zu betrachten. Den Extremisten und Verschwörungstheoretikern unter Trumps Anhängern aber gefällt all das vermutlich sogar.
Schon vor der Pressekonferenz lag die Zustimmung für Trumps Arbeit in den USA mit 39 Prozent niedriger als bei irgendeinem seiner Vorgänger seit Ronald Reagan zum vergleichbaren Zeitpunkt. Unter den Anhängern der Republikaner aber lag sie noch immer bei 84 Prozent.
Die Frage bleibt, ob und wann auch diese Wähler sich von ihrem Verschwörungstheoretiker-in-Chief abwenden werden.