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Musikgeschichte: Indien trifft Irland

Foto: Stuart Hey ANU

Irisch-indische Musik Jamsession in der Eisenzeit

Vor mehr als 2000 Jahren musizierten keltische und indische Musiker gemeinsam. Der damalige Sound lebt noch heute - in der indischen Musik.

Wenn die Iren traditionelle Musik machen, holen sie die Flöte heraus, die Sackpfeife, eine Geige und vielleicht sogar noch eine Harfe. Sie spielen dann meist gut tanzbare Stücke, einen Reel, einen Jig oder eine Hornpipe.

Im südindischen Bundesstaat Kerala hört es sich, wenn die Musiker ihre Instrumente auspacken, ganz anders an. Die Inder benutzen Trommeln, Zimbeln und kompu genannte Hörner, um ihre eher von Rhythmus als von Melodien geprägten Stücke zu spielen.

Doch es gab eine Zeit, in der die Musikstile dieser beiden Regionen sich so ähnlich waren, dass Musiker aus der einen mehr oder weniger problemlos mit Kollegen aus der anderen zusammenspielen konnten. Der Archäologe Billy Ó Foghlú von der Australian National University in Canberra hat Belege dafür zusammengetragen, dass sie dies auch tatsächlich getan haben - und sich sogar gegenseitig beeinflussten.

Video: Der Rhythmus von Kerala

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Beruflich hat sich Ó Foghlú viel mit den eisenzeitlichen Hörnern Irlands beschäftigt. Seine Faszination für die Musik Keralas betrachtete er lange Zeit als ein rein privates Hobby. Dann aber blieb er an einer Abbildung in einem Buch hängen. In dem umfassenden Werk des schottischen Archäologen Fraser Hunter über die eisenzeitliche Carnyx, das Horn der Kelten, fand er die Zeichnung eines Reliefs von der Großen Stupa von Sanchi im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh.

Es entstand im ersten Jahrhundert vor Christus und zeigt Gläubige, die mit Opfergaben zur Stupa kommen. Der Zug wird von Musikern begleitet, verschiedenen Trommlern, Muschelbläsern, Zimbelspielern - und zwei Gestalten in fremdartigen Gewändern, die je eine Carnyx in der Hand halten. Dies berichtet Ó Foghlú in der aktuellen Ausgabe des "Journal of Indian Ocean Archaeology".

Kopf beim Spielen im Nacken

Das eisenzeitliche Blasinstrument der Kelten ist unverkennbar. Wie sie selber es nannten, ist nicht überliefert, seinen modernen Namen bekam es von dem griechischen Wort für "Horn" oder "Trompete". Es besteht aus einem langen, vornehmlich geraden Klangkörper, der Schalltrichter endet in einem Tierkopf.

Um es aufrecht spielen zu können, muss der Bläser seinen Kopf weit in den Nacken legen - eine Körperhaltung, die sonst für kein anderes Instrument überliefert ist. Kein Zweifel: Die beiden Musiker auf dem indischen Tempelrelief spielen auf jeweils einer keltischen Carnyx.

Lebendige Siedlungen am Indischen Ozean

Wie aber kamen die Männer und ihre Instrumente aus dem europäischen Norden ins weit entfernte Indien? Der nördliche Indische Ozean war zwischen 300 vor und 500 nach Christus ein stark frequentierter Handelsweg zwischen dem indischen Subkontinent im Osten und der Arabischen Halbinsel mit dem dahinter liegenden Mittelmeer im Westen. Über ihn hinweg wurden Lebensmittel, Stoffe und Gewürze ebenso ausgetauscht wie religiöse Ideen, kulinarische Vorlieben oder naturwissenschaftliche Erkenntnisse.

Nur war der Indische Ozean nicht das ganze Jahr hindurch befahrbar. Die Schiffbarkeit hing stark vom Monsun ab. Setzten die Winde und Regenfälle ein, mussten die Seeleute so lange dort ausharren, wo sie gerade vor Anker lagen, bis das Wetter wieder besser wurde.

So entstanden entlang der Küsten lebendige Siedlungen, in denen allerlei Seefahrer und Händler mit der einheimischen Bevölkerung zusammentrafen, redeten, tauschten - und gemeinsam Musik machten.

Video: Forscher Ó Foghlú und die Carnyx

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Man dürfe, erläutert Ó Foghlú in seinem Aufsatz, nicht den Fehler machen, die Musik von damals vor dem Hintergrund unserer heutigen europäischen Musikprägung interpretieren zu wollen. Mit großer Wahrscheinlichkeit waren die Carnyces gar keine Melodieinstrumente wie unsere heutigen Hörner.

Es dürfte ohnehin schwierig gewesen sein, einer Carnyx Töne in unterschiedlichen Höhen zu entlocken. Da sie weder über Ventile noch Klappen verfügte, waren die spielbaren Töne auf Naturtöne begrenzt.

Vielmehr könne man sich vorstellen, dass sie wie eine Art australisches Didgeridoo gespielt wurde: mit einer Kombination aus Mundbewegungen, Atemtechnik und Stimmeffekten als Rhythmusinstrument. Das würde auch erklären, warum einige antike Carnyces, die zusammen gefunden wurden, unterschiedliche, für unsere Ohren unangenehm abweichende Stimmungen hatten.

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Ausgegraben: Bilder und Geschichten aus der Archäologie

Foto: PBS/ BBC

Werden sie als Rhythmusintrumente gebraucht, bekommt die unterschiedliche Stimmung einen ganz anderen Effekt. "In der indischen Musik ist diese Dissonanz sogar Absicht und gilt als schön", erklärt Ó Foghlú.

Wurden in der Eisenzeit sowohl die keltische Carnyx als auch das indische Horn in diesem Sinne gespielt, dann waren sie durchaus kompatibel - und es wird in den Monsunmonaten in den Küstenstädten rund um den indischen Ozean schwungvolle Jamsessions gegeben haben.

Lange tot geglaubte Klanglandschaften

Mit dem Mittelalter kam dann aber der rege Handel über den Indischen Ozean zum Erliegen. Während die indischen Musiker ihrer Tradition treu blieben, waren ihre irischen Kollegen in der Folgezeit vielen unterschiedlichen Musikeinflüssen ausgesetzt - vor allem verdrängten nun zunehmend Melodieinstrumente die Rhythmusinstrumente. Die alten Spielweisen gerieten in Vergessenheit.

"Normalerweise ist Archäologie eine stille Angelegenheit", sagt Ó Foghlú. "Umso erstaunter war ich, in Kerala lange tot geglaubte Klanglandschaften zu finden - und zwar quicklebendig."

Klänge aus Schwirrhölzern

Damit sind die Carnyces ein Glücksfall. Wie Musik der Vergangenheit sich angehört hat, ist in den meisten Fällen nicht so einfach zu rekonstruieren. Aber schon in der Altsteinzeit erzeugten die Menschen Klänge auf Instrumenten. Signalpfeifen aus den Zehenknochen von Wildtieren benutzten bereits die Neandertaler. Auch Schwirrhölzer kamen schon in der Altsteinzeit zum Einsatz, mit denen sich ein tiefer, auf- und abschwellender Ton erzeugen lässt.

Ähnlich alt sind Funde von Trommelschlägeln. Im Boden einer Höhle auf der Schwäbischen Alb fanden Archäologen Fragmente einer Flöte aus Gänsegeierknochen, die sich vor 35.000 Jahren jemand schnitzte, um darauf zu musizieren. Die Gänsegeierflöte war jedenfalls definitiv schon ein Melodieinstrument - fünf Löcher für die Modifikation der Luftsäule sind erhalten, möglicherweise hatte sie sogar noch mehr.

Zur Autorin
Foto: Sabine Bungert

Angelika Franz ist Archäologin. Als freie Autorin schreibt sie meistens über Kriege, Seuchen und alles, was verwest, verrottet und verfallen ist. Trotzdem ist sie keineswegs morbide veranlagt, sondern findet vielmehr, dass Archäologie die praktischen Dinge des Lebens lehrt. Bei Bedarf kann sie ein Skalpell aus Flint schlagen, in einer Erdgrube Bier brauen oder Hühner fachgerecht mumifizieren.Homepage von Angelika Franz 

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