
Epigenetik: Gut organisiertes Erbgut
Epigenom Wie sich das Erbgut organisiert
A, C, G, T - das sind die vier Gen-Buchstaben, aus denen die Erbgutinformation eines Menschen geschrieben ist. Sie stehen für die Nukleinbasen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin, deren Abfolge den Bau von Zellen programmiert. Rund drei Milliarden Buchstaben lang ist die DNA, die im Kern nahezu jeder Körperzelle enthalten ist.
Seit 2003 kennt man die vollständige Buchstabenabfolge. Seitdem sind Genomforscher in der ACGT-Wüste auf der Suche nach Genen, die die Information für den Bau von Proteinen tragen. Denn große Abschnitte der DNA werden nicht in Proteine übersetzt und enthalten noch unbekannte Funktionen.
Epigenetiker wollen zudem verstehen, wie eine Zelle die Aktivität ihrer Gene organisiert, ohne dabei die Sequenz der Gen-Buchstaben zu verändern. Ihre Erkenntnisse sind wichtig für das Verständnis, wie ein im Mutterleib heranwachsender Organismus entsteht. Einen ersten wichtigen Schritt haben nun Forscher um Bing Ren, Joseph Ecker und Ryan Lister vom Salk Institute for Biological Studies im kalifornischen La Jolla gemacht. Sie haben in einer Bindegewebszelle und einer embryonalen Stammzelle den Grad und das Muster der Methylierung bestimmt - und zwar erstmals für das gesamte Erbgut der Zelle. Die Methylierung ist einer der wichtigsten epigenetischen Mechanismen zur Regulierung von Gen-Aktivität. Dabei wird der Gen-Buchstabe C chemisch verändert, spezielle Enzyme hängen ihm eine Methylgruppe an, eine einfache organische Verbindung.
Ihr Methylom, wie die Forscher ihre Karte nennen, veröffentlichen sie im Fachmagazin "Nature". Es ist auch im Internet abrufbar .
Im menschlichen Körper gibt es rund 250 verschiedene Zelltypen - Lungen-, Herz-, Muskel- und Nervenzellen sind nur einige Beispiele. Ihre Aufgaben sind unterschiedlich, jede Zelle braucht daher nur einen Teil der Gesamtinformation. Entwickelt sich aus einem Zellhaufen nach und nach ein Embryo mit immer mehr spezialisierten Körperzellen, müssen in ihnen die Gene gezielt abgeschaltet werden, die nicht für die Funktion der Zelle benötigt werden.
Methylierungsmuster von Stammzellen mit Körperzellen verglichen
"Wir wollten wissen, wie das Epigenom einer differenzierten Zelle, die für eine bestimmte Aufgabe vorgesehen ist, sich von dem einer pluripotenten Zelle unterscheidet", sagte Ecker. Embryonale Stammzellen sind pluripotent, also Alleskönner, die sich in jeden Zelltyp verwandeln können. Auf diese Zellen setzen Forscher große Hoffnungen, wollen mit ihnen einmal Krankheiten wie Parkinson, Diabetes und Herzinfarkt heilen.
Ecker und seine Kollegen verglichen die Methylierungsmuster der beiden Zelltypen. Das Ergebnis: Zwar war das Erbgut der Stamm- und der Körperzellen ungefähr gleich stark methyliert. Im Methylierungsmuster aber fanden sie Unterschiede.
Normalerweise findet sich ein methylierter C-Buchstabe immer vor einem G. Diese CG-Methylierung ist die am häufigsten beobachtete Form im Erbgut von Zellen. Bei den Bindegewebszellen war es in 99,98 Prozent aller Fälle auch so. Bei den embryonalen Stammzellen aber fanden die Forscher in 25 Prozent aller Fälle methylierte C-Buchstaben, die nicht von einem G gefolgt waren. "Niemand hatte erwartet, dass dies so ausgeprägt sein würde", sagte Mattia Pelizzola, einer der Co-Autoren der Veröffentlichung.
Die Arbeit Eckers und seiner Kollegen ist ein Startschuss: Die Forscher haben das Methylierungsmuster nur eines einzigen Körperzellentyps analysiert. "In der Tat erwartet man zelltypspezifische Methylierungsmuster", beurteilt Peter Becker, Epigenetiker von der Ludwig-Maximilians-Universität in München, die Arbeit. "Für die restlichen Zellen sind andere Methylierungsmuster zu erwarten." Dass die Stammzellen jedoch Nicht-CG-Methylierungen in diesem Ausmaß zeigten, ist auch seiner Ansicht nach überraschend. "Bislang ist man davon ausgegangen, dass in allen Zellen die überwiegende Zahl der Methylierungen an CG-Dinukleotiden erfolgt."
Die Nicht-CG-Methylierung ist der Fingerabdruck für Pluripotenz
Könnte dieses besondere Muster ein ganz individueller Fingerabdruck für Stammzellen sein? Für Pluripotenz? Um ihren Verdacht zu erhärten, machten die Forscher noch folgendes Experiment: Sie reprogrammierten die Bindegewebszellen zu sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS). Durch Einschleusen von nur vier Genen - und mittlerweile sogar nur durch Zugabe von vier Proteinen - kann man eine spezialisierte Körperzelle in eine Alleskönner-Stammzelle verwandeln - eine etablierte Methode. Dann prüften die Forscher das Methylierungsmuster noch einmal auf Veränderungen.
Ecker und seine Kollegen fanden nach der Reprogrammierung Veränderungen im Methylierungsmuster: Die Zellen besaßen im Erbgut nun mehr Nicht-CG-Methylierungen, sehr ähnlich denen der embryonalen Stammzellen. Die Forscher glauben daher, dass sie darin ein Merkmal für Pluripotenz gefunden haben. Möglicherweise könnte es zukünftig helfen, die Qualität von iPS-Stammzellen zu beurteilen.
Bislang ist nämlich noch nicht eindeutig geklärt, ob iPS-Zellen wirklich genauso gut sind wie embryonale Stammzellen. Kürzlich berichteten Forscher, die iPS-Zellen mit embryonalen Stammzellen verglichen hatten, von Unterschieden in der Gen-Aktivität .
Human Epigenome Project gestartet
Ecker sieht die Bedeutung seiner Arbeit darin, dass sie eine Referenz darstellt, wie sich Methylierungsmuster im Laufe der Entwicklung und durch Umwelteinflüsse verändern. Vor ihm und seinen Kollegen liegt noch viel Arbeit: Im vergangenen Jahr hat das National Institute of Health das auf fünf Jahre angelegte Human Epigenome Project gestartet. Ausgestattet mit 190 Millionen US-Dollar Forschungsgeldern ist das Ziel, eine komplette Karte mit allen Steuerungsmechanismen des menschlichen Genoms zu erarbeiten. Die Methylierung ist nur ein Baustein in diesem Gesamtbild.
Obwohl Epigenetik ein noch recht junges Forschungsgebiet ist, besitzen manche Erkenntnisse schon eine immense Tragweite. So stellten Epigenetiker bereits eine Doktrin der klassischen Genetik in Frage, als sie herausfanden, dass Mütter erworbene Erfahrungen auf ihre Kinder vererben können. Aber auch die Medizin profitiert von der Epigenetik: In Krebszellen sind Steuerungsmechanismen von Genen verändert.
Eckers Team will nun erforschen, wie das Methylierungsmuster durch Krankheit, Altern, die Umwelt und die Ernährung beeinflusst wird. "Stellen Sie sich einen Krebspatienten vor, der einmal mit einem epigenetisch wirksamen Medikament behandelt werden kann. Es würde die Genexpression durch Veränderungen in der DNA-Methylierung beeinflussen." Das Verständnis der Methylierung des gesamten Erbguts sei hier ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg dahin.