Erste Hilfe für Zuhause Ärzte fordern Herzmassage statt Elektroschocks
München/Berlin - Hightech-Medizin aus dem Rettungswagen könnte bald in jedem Wohnzimmer stehen. Versandhäuser und neuerdings auch ein Lebensmitteldiscounter bieten im Internet Defibrillatoren für den Hausgebrauch an. Die Geräte können lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen mit einer Art Elektroschock beheben. Im Fall des Supermarkts ist im Preis von knapp 1000 Euro eine technische Einweisung und ein Gutschein für ein Training zur Herz-Lungen-Wiederbelebung enthalten.
"Für die meisten Menschen ist ein solcher Kauf nicht zu empfehlen", kritisiert die Deutsche Herzstiftung. Bislang gebe es keine wissenschaftlichen Belege, dass medizinische Laien die Geräte fachgerecht bedienen könnten. Der Lebensmitteldiscounter hat keine Bedenken. Die Geräte seien "leicht bedienbar", betont die Sprecherin der Plus Online GmbH, Melanie Prüsch.
Das sieht man im Prinzip auch beim Deutschen Herzzentrum in München so. "Um halbautomatische Defibrillatoren zu bedienen, braucht es in der Regel keinen medizinischen Sachverstand", sagt Professor Melchior Seyfarth, Kardiologe und stellvertretender Direktor an dem Herzzentrum. Die Geräte würden nur dann einen gezielten Stromstoß auslösen, wenn auch tatsächlich eine gefährliche Herzrhythmusstörung wie ein Kammerflimmern vorliegt.
Laien-Defibrillator allein reicht nicht, um Leben zu retten
Ein Novum ist die Laien-Defibrillation hierzulande laut Deutscher Herzstiftung nicht. Öffentliche Orte wie der Frankfurter Flughafen wurden nach amerikanischem Vorbild bereits mit halbautomatischen Defibrillatoren ausgerüstet. Erleidet ein Mensch einen Infarkt, kann geschultes Flughafenpersonal das Herz mit dem Gerät wieder in Gang setzen. So wird bis zum Eintreffen des Notarztes wichtige Zeit gespart.
In amerikanischen Studien wurden durch die sogenannte Frühdefibrillation bei Kammerflimmern Überlebensquoten von bis zu 75 Prozent erzielt. Normalerweise liegen die Chancen, ein Kammerflimmern zu überleben, nach Angaben der Herzstiftung nur bei zehn Prozent. In Deutschland erleiden jedes Jahr rund 100.000 Menschen einen plötzlichen Herztod.
Voraussetzung ist allerdings, dass die Laienretter auch die klassischen Wiederbelebungsmaßnahmen beherrschen. "Ein Defibrillator ersetzt nicht Beatmung und Herzdruckmassage", betont Christiane Haas, Rettungsmedizinerin beim Deutschen Roten Kreuz in Berlin. Sie befürchtet, dass es zu gefährlichen Verzögerungen bei der Reanimation kommt, wenn ungeschulte Laien einen Defibrillator einsetzen. "Unter Umständen verstreichen zwei bis drei Minuten, bis das Gerät herbeigeholt und eingesetzt worden ist", warnt Haas, "da können lebenswichtige Minuten verstreichen." Bei einem Kreislaufstillstand kommt es wegen des Sauerstoffmangels schon nach kurzer Zeit zu schweren Schäden im Gehirn.
Auch Seyfarth vom Herzzentrum in München warnt davor, Beatmung und Herzdruckmassage zu vernachlässigen. "Die hohe Sterblichkeit bei internistischen Notfällen wie dem Kreislaufstillstand liegt nicht daran, dass in den Haushalten zu wenig Defibrillatoren stehen", betont der Kardiologe. Das Problem sei vielmehr, dass zu viele Menschen die grundlegenden Wiederbelebungsmaßnahmen nicht beherrschten oder sich vor deren Anwendung scheuten. "Hier gibt es in der Bevölkerung noch viel Aufklärungsbedarf", sagt Seyfarth.
Wer die Anschaffung eines halbautomatischen Defibrillators erwägt, sollte sich nach Ansicht der Deutschen Herzstiftung unbedingt in der Handhabung des Geräts schulen lassen. Regelmäßig seine Kenntnisse in der ersten Hilfe aufzufrischen, empfiehlt sich unabhängig davon für jedermann.
Haiko Prengel, ddp