Erziehung Fast alle Eltern belügen ihre Kinder

Angeschmiert: Über 80 Prozent der amerikanischen Eltern greifen zu Erziehungslügen
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Hamburg - Kinder sind nicht immer einfach: Sie toben, schreien und verwandeln das Kinderzimmer in ein Schlachtfeld. Eltern stellt das vor die Frage, wie sie ihren Kindern zivilisiertes Verhalten vermitteln und sie sicher durch den Alltag bringen können. Oft greifen die Erwachsenen deshalb zu ungewöhnlichen Methoden, berichten Forscher: Die Mehrzahl der Eltern lügt ihre Kinder zu Erziehungszwecken an.
"Wenn du jetzt nicht mitkommst, dann lasse ich dich hier allein", so lautet die beliebteste Erziehungslüge, berichten Forscher im Fachblatt "Internal Journal of Psychology" . Insgesamt hatten sie 114 US-amerikanische und 85 chinesische Eltern von Kindern über drei Jahren befragt: 84 Prozent der Amerikaner und 98 Prozent der Chinesen gaben zu, ihren Kindern schon mal Lügen erzählt zu haben, um sie zu besserem Verhalten zu bewegen.
Die Psychologen teilten die Erziehungslügen in sechs Kategorien ein: Essenslügen, "Ich gehe gleich"-Lügen, "Wenn du dich jetzt nicht benimmst"-Lügen, Geldlügen, "Du warst toll"-Lügen und Märchenlügen. Chinesische Eltern benutzen alle Varianten nahezu gleichermaßen. Bei den Amerikanern sind Märchenlügen mit 92 Prozent besonders beliebt. Allen voran das Märchen vom Weihnachtsmann. In beiden Staaten gerne erzählt wird die Geschichte von der Zahnfee.
Gerne warnen Eltern auch mit Konsequenzen durch andere: Den Satz "Wenn du nicht leise bist und dich benimmst, wird die Frau dort drüben böse", nutzen laut Befragung gut ein Drittel der Amerikaner und fast die Hälfte der Chinesen in der Erziehung. Genauso viele chinesische Eltern (48 Prozent) drohen auch mit der Polizei. In den USA zieht die Obrigkeit weniger - 13 Prozent schieben dort die Polizei vor.
Verheimlichte Konsequenzen der Lügen
Auch um die Kinder von Spielzeugkäufen abzuhalten, greifen Eltern in die Trickkiste. Die beliebtesten Ausreden hier: "Wir kaufen das Spielzeug nächstes Mal." Und vor allem in China beliebt: "Ich habe heute kein Geld dabei. Wir können ein anderes Mal wiederkommen."
Manche Lügen sollen die Kinder auch nicht ruhigstellen oder alltagskompatibel machen, sondern sie motivieren: "Du hast so schön Klavier gespielt", hören 50 bis 60 Prozent der amerikanischen und chinesischen Kinder, auch wenn sie nahezu keinen Ton getroffen haben.
"Die weite Verbreitung von Elternlügen ist insofern auffällig, als dass Eltern in den USA und China Kindern versuchen beizubringen, dass die Wahrheit ein wichtiges kulturelles Gut ist", schreiben die Psychologen. Paradoxerweise erzählen ein Fünftel der Amerikaner und zwei Fünftel der Chinesen ihren Kindern, dass sie eine lange Nase bekommen, wenn sie lügen.
In China gelten Erziehungslügen als legitim
Besonders in China scheint die Lüge jedoch eine anerkannte Erziehungsmethode zu sein: Die befragten chinesischen Eltern verwendeten fast alle der von den Wissenschaftlern vorgeschlagenen Lügen häufiger als die Amerikaner. Diese übertreffen die Chinesen nur, wenn es darum geht, das Kind fälschlicherweise zu loben, im Bezug auf den Weihnachtsmann und darin, Süßigkeiten zu verleugnen: "Wir haben nichts mehr im Haus." Zu diesem Satz lassen sich knapp 60 Prozent der Amerikaner verleiten, aber nur 43 Prozent der Chinesen.
Die Forscher führen das auf kulturelle Unterschiede zurück: Weil die Gesellschaft in China als Gemeinschaft betrachtet wird, könnten Eltern eher bereit sein zu lügen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Einige chinesische Eltern hätten Kommentare hinterlassen, die klar zeigten, dass Lügen ein effektives Mittel zur Sozialisierung seien: "Wenn man Kinder unterrichtet, ist es okay, eine gut gemeinte Lüge einzusetzen. Das kann die positive Entwicklung fördern und das Kind davor bewahren, vom rechten Weg abzukommen", schreibt ein chinesisches Elternpaar.
"Wie werfen dich den Fischen vor"
Als Ursache für die Lügen vermuten die Forscher Stress bei den Eltern. Aussagen von Eltern aus den USA zeigten, dass diese sich meist aus Verzweiflung zu den Aussagen hinreißen ließen: "Wenn Eltern verrückt werden, dann tun sie, was immer nötig ist." Oder: "Die meisten Lügen, die ich meinen Kindern erzählt habe, dienten als letzter Ausweg und sind aus Verzweiflung geboren. Wenn ich sie anders dazu bringen könnte, zu tun, was ich sage, würde ich es tun."
Vor einigen Aussagen schreckt der Großteil der amerikanischen Eltern aber auch zurück: "Du musst deinen Teller leer essen, sonst bekommst du Pickel im ganzen Gesicht", nutzen nach eigenen Angaben nur gut sechs Prozent. Und ganz unten auf der Liste der beliebtesten Erziehunglügen rangiert bei Chinesen und Amerikanern eine der brutalsten Warnungen, die Drohung mit dem Tod: "Wenn du dich nicht benimmst, werfen wir dich den Fischen zum Fraß vor." Immerhin 21 Prozent der befragten chinesischen Eltern und gut vier Prozent der amerikanischen greifen zu diesem Satz.
Wie Erziehungslügen die Einstellung von Kindern zu sich selbst, ihren Eltern und der Welt beeinflusst, bleibt unklar. "Unsere Untersuchung wirft moralische Fragen auf, wann und ob überhaupt Eltern lügen dürfen", schreiben die Forscher.