Evo Morales und die Amazonas-Brände Boliviens linker Bolsonaro

Lange inszenierte sich Evo Morales als Bewahrer von Mutter Natur. Doch während der Amazonas-Brände zeigt Boliviens linker Staatschef einen ähnlichen Umgang mit der Krise wie Brasiliens ultrarechter Präsident.
Boliviens Präsident Evo Morales (Mitte): Per Dekret hat er noch im Juli zu "kontrollierter Brandrodung" ermuntert

Boliviens Präsident Evo Morales (Mitte): Per Dekret hat er noch im Juli zu "kontrollierter Brandrodung" ermuntert

Foto: Juan Karita/ AP

Nachdem Kary Mariscal tagelang zugeschaut hatte, wie sich die Flammen immer tiefer in ihre Heimat fraßen, reichte es der Abgeordneten aus dem Departement Santa Cruz - eine Botschaft musste her. Für ein Facebook-Video postierte sie sich auf einem Acker, im Hintergrund lodert eines jener Buschfeuer, das meist von Farmern entzündet wird, um Felder zu erschließen, und das zuletzt auch in Bolivien auf intakten Urwald übergriff. "So brennt es hier in Puerto Suárez, wir bitten Evo Morales, dass er den internationalen Notstand ausruft und bei den Nachbarländern um Hilfe nachsucht. Es brennt unser Chiquitanía. Es brennt alles, wir verlieren alles. Haben Sie Erbarmen!"

Das Video der Politikerin wurde am 21. August aufgenommen. An jenem Mittwoch begann die Welt gerade Kenntnis von der ökologischen Katastrophe zu nehmen, welche die Wald- und Steppenbrände in mehreren Amazonas-Anrainerstaaten verursachen (Hintergründe zum Ausmaß der Brände lesen Sie hier). Doch zu dem Zeitpunkt konzentrierte sich die weltweite Aufmerksamkeit fast exklusiv auf Brasilien, wo die größten und meisten Feuer wüten. Doch für das kleinere Bolivien, einer der ärmsten Staaten Lateinamerikas, ist das Drama nicht weniger verheerend.

Brand im Otuquis Nationalpark im Südosten Boliviens

Brand im Otuquis Nationalpark im Südosten Boliviens

Foto: Aizar RALDES/ AFP

Es vergingen Tage, bis Morales überhaupt auf die Katastrophe reagierte

Boliviens indigener Präsident jedoch hörte nicht hin, was Kary Mariscal zu sagen hatte. Es sei normal, dass es in diesen Tagen in der Steppe Boliviens brenne, und es sei okay, dass die Kleinbauern sich durch Brandrodungen Ackerland für ihre Viehwirtschaft verschafften, sagte Morales noch vergangene Woche.

Bis er das Ausmaß des Desasters in seinem Land begreifen sollte, vergingen noch ein paar Tage. Wirklich reagiert hat der Staatschef erst, als er merkte, dass die Feuer auch eine politische Katastrophe für ihn bedeuten könnten.

Morales will sich nach drei Amtszeiten und mehr als 13 Jahren im Amt am 20. Oktober wiederwählen lassen. Aber die Brände könnten den Hoffnungen nun ein jähes Ende bereiten. Bis zum Wochenende wurden allein im Bundesstaat Santa Cruz rund eine Million Hektar Wald und Savanne vernichtet. Und jeder Hektar mehr kostet Morales Stimmen. Wirtschaftsexperten warnen schon, das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts könne sich durch die Feuer von den vorhergesagten vier Prozent in diesem Jahr auf zwei Prozent halbieren.

"Unterstützung ist willkommen"

Erst auf massiven Druck lenkte Morales ein. Umweltorganisationen, die katholische Kirche und Künstler forderten schon seit Tagen ein Umdenken. Am Sonntag versammelten sich in den drei größten Städten des Landes, am Regierungssitz in La Paz, in Santa Cruz und Cochabamba Menschen in kleinen Gruppen zu spontanen Demonstrationen, bei denen sie die Annahme internationaler Hilfe forderten.

"Unterstützung ist willkommen, sei es von internationalen Organisationen, Persönlichkeiten oder Präsidenten". Zuvor schon hatte er den "Global Supertanker", das größte Löschflugzeug der Welt, gechartert, um die Brände in Chiquitanía zu löschen. Am Dienstag kündigte er an, auch drei Löschhubschrauber aus dem Ausland anzufordern.

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In Bolivien geht in diesen Tagen nicht nur wichtiger Wald verloren, Umweltexperten warnen, es seien auch 500 Tierarten gefährdet, darunter Jaguare und Tapire sowie 35 weitere vom Aussterben bedrohte Arten, von denen einige nur in Bolivien vorkommen. Denn auch der weiter nördlich gelegene Amazonas-Regenwald des Landes steht in Teilen in Flammen. Bolivien beherbergt in seinen Staatsgrenzen zwar nur zehn Prozent der sechs Millionen Quadratkilometer Amazonas-Urwald. Doch diese haben schon in den vergangenen Jahren stark gelitten. Das von Experten aus sechs Anrainerstaaten gebildete Amazonas-Netzwerk RAISG schrieb im Juni, 88 Prozent der zwischen 2005 und 2018 registrierten Brände in Bolivien seien in der Amazonasregion ausgemacht worden.

Morales war nie wirklich ein Grüner

"Es könnte 200 Jahre dauern, bis sich die Wälder Boliviens wieder erholt haben", warnt dann auch Miguel Crespo, Direktor der Umweltorganisation Probioma. "Ich habe noch nie eine solche Umwelttragödie gesehen". Crespo macht die Regierung für das Drama verantwortlich. "In weiten Teilen ist das ein Resultat des Populismus und der Vision einer agroindustriellen Entwicklung", sagt der Probioma-Chef.

Wie eigentlich alle linken Staatschefs in Lateinamerika war auch Morales nie wirklich ein Grüner. Er hat als Präsident immer versucht, eine ökologische Agenda in Einklang zu bringen mit der Notwendigkeit seines Landes, ökonomisch zu wachsen. Als er Anfang 2006 an die Macht kam, betonte er die Bedeutung der "Madre tierra", der Mutter Erde, für seine Politik. Und 2010 verabschiedete Bolivien als erstes Land der Welt ein Gesetz, das allen Lebewesen Rechte zugesteht. Zuvor hatte ihn die Generalversammlung der Vereinten Nationen sogar zum "World Hero of Mother Earth" ernannt.

Kenner des Landes halten das für absurd. Morales sei kein "Ambientalista", niemand, den die Umwelt nachhaltig interessiere, sagt ein internationaler Experte, der schon lange in Bolivien arbeitet und seinen Namen nicht öffentlich lesen will. "Er beutet die Ressourcen des Landes stärker aus als jeder seiner Vorgänger", kritisiert der Experte und setze stark auf die Förderung von Öl und Gas zum Schaden der Umwelt. Die Brände in seinem Land wüteten bereits rund drei Wochen, bevor Morales reagierte. Zudem hat er noch Anfang Juli ein besonders umstrittenes Dekret unterzeichnet. Es erlaubt in Santa Cruz und dem angrenzenden Amazonas-Departement Beni die faktisch unbegrenzte "kontrollierte Brandrodung" von Wäldern zugunsten der Gewinnung von Agrar- und Weideland.

In den vergangenen Jahren habe Morales die Umweltinteressen zunehmend denen der Wirtschaft untergeordnet, kritisiert auch die Umweltaktivistin Cecilia Requena. Seine Regierung hat seit 2013 mindestens vier Gesetze und sechs Dekrete verabschiedet, mit denen die landwirtschaftliche Nutzung gefährdeter Waldgebiete gestattet wird. "Morales hat in den vergangenen Jahren Umweltsündern immer wieder vergeben und das Verschieben der Landwirtschaftsgrenze in die Wälder immer weiter vorangetrieben," so Requena.

In Bolivien haben die Rodungen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Zwischen 2000 und 2010 verlor das Land 1,82 Millionen Hektar durch Abholzung, wie die Stiftung Freunde der Natur (FAN) schreibt. Aber auch in der jüngsten Vergangenheit ist der Verlust an Wald weiter hoch. 2018 hat das Land nach Angaben des World Resources Institute (WRI) 154,488 Hektar Primärwald verloren und war damit hinter Brasilien, der Demokratischen Republik Kongo, Indonesien und Kolumbien das Land mit den fünftmeisten Verlusten.

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