Evolution und Schöpfung Papst weist Naturwissenschaft in die Schranken

Die Evolution ist nicht beweisbar, Wissenschaftler dürfen nicht alle Fragen beantworten: Mit einem Beitrag in einem theologischen Fachbuch will Benedikt XVI. der Kirche die Deutungshoheit über zentrale Themen sichern. Immerhin gibt er zu: Auch der Glaube kann nicht alles erklären.
Von Stefan Schmitt

"Papst: Wissenschaft kann Evolution nicht vollständig erklären", meldet die Nachrichtenagentur Reuters. Der britische "Guardian", der australische "Sydney Morning Herald" und die "Washington Post" übernehmen die Überschrift in ihren Online-Ausgaben beinahe wortgleich. Nicht der Vatikan ist die Quelle dieser Aufregung, sondern die beschauliche süddeutsche Bischofsstadt Augsburg.

"Schöpfung und Evolution" heißt das Buch des dortigen Sankt Ulrich Verlag, dessen prominentester Beiträger nicht einmal im Inhaltsverzeichnis auftaucht: Papst Benedikt XVI., streithafter Intellektueller, äußert sich darin vordergründig zu der Frage, wie die Erkenntnisse der modernen Biologie ins christliche Weltbild passen. Tatsächlich ficht er den alten Abgrenzungskampf gegen ein übermächtiges Erkenntnissystem.

Rempler gegen die Naturwissenschaften sind nichts Neues aus dem Vatikan. So kritisierte Benedikt XVI. etwa beim Kreuzweggebet des Jahres 2006 die Gentechnik vor einem Multimillionen-TV-Publikum. Bei seiner Regensburger Rede aus dem vergangenen Jahr provozierte er nicht bloß Muslime, sondern erklärte überdies wissenschaftliche Erkenntnis zu nur einer Erkenntnisquelle unter vielen - ein Affront gegen die Moderne.

In dem unauffälligen Augsburger Bändchen (knapp 200 Seiten) nimmt das Katholiken-Oberhaupt zur Frage Stellung, wie der Mensch entstanden ist. In einem langwierigen Auswahlprozess, wie die Biologie es zeigt? Zunächst schlägt er versöhnliche Töne an: "Auf die Erklärungsfähigkeit des Glaubens allein für das Ganze würde ich nicht setzen."

"Naturwissenschaft kann und darf nicht"

Der Papst würdigt außerdem die Naturwissenschaften, sie hätten "große Dimensionen der Vernunft erschlossen, die uns bisher nicht eröffnet waren". Etwas verschwurbelt spricht Benedikt XVI. von der Rationalität, die in der Materie wohne.

Dann aber weist der Papst die zuvor gelobten Forscher in die Schranken: Die Frage, woher die Rationalität denn stamme, sei außerhalb ihrer Kompetenz. "Die Naturwissenschaft kann und darf darauf nicht direkt antworten." Die Menschen müssten es hier wagen, sich der "schöpferischen Vernunft" anzuvertrauen, so das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche: Offenbarung vor Forscherdrang also.

Zur Evolution - Top-Streitthema zwischen aufgeklärten Rationalisten und Anhängern anderer, spirituell inspirierter Weltsichten - bekräftigt Benedikt XVI. den Standpunkt einer "theistischen Evolution". Diese Mainstream-Haltung vieler Christen, nicht nur von Katholiken, leugnet die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie zwar nicht, postuliert aber hinter allem Gott als Creator Spiritus - freilich bar jedes belastbaren Hinweises auf einen solchen geistigen Schöpfer.

Evolution okay - aber nicht beweisbar?

Die Evolutionstheorie sei keine vollständige, wissenschaftlich bewiesene Theorie, behauptet der Papst nach Angaben der Nachrichtenagentur AP. Sein Vorgänger, Johannes Paul II., hatte im Jahr 1996 erklärt, die auf den britischen Naturforscher Charles Darwin aufbauende Theorie sei "mehr als nur eine Hypothese". "Nicht beweisbar" kontert Benedikt XVI. nun mit dem Hinweis darauf, dass die langen Zeitspannen, über welche die Evolution ablaufe, eine Überprüfung unmöglich machten: "Wir können keine 10.000 Generationen ins Labor holen."

Nicht beweisbar: "Demnach würde Geschichte ja auch nicht existieren!" - die seltsame Argumentation von Benedikt XVI.

"Demnach würde Geschichte ja auch nicht existieren, da kann man ja auch nichts lückenlos rekonstruieren", entgegnet darauf der Evolutionsbiologe Josef Reichholf, Hauptkonservator an der Zoologischen Staatssammlung in München und einer der profiliertesten Biologen Deutschlands. Auch griechische und römische Säulen müsse man so interpretieren, wie man sie vorfinde, sagte er zu SPIEGEL ONLINE.

Indes berichtet "Radio Vatikan", der Papst stelle fest: Der Ursprung des Lebens könne wissenschaftlich letztlich nicht erklärt werden, weil die Wissenschaft mit ihren Fragen nicht weit genug ausgreife.

Versuch, die Naturwissenschaft in die Schranken zu weisen

Außerhalb des Schattens von St. Peter wird man diese Argumentation wohl kritischer betrachten: Nicht Beweise, sondern Plausibilität und möglichst solide Indizienführung werden von Wissenschaftstheoretikern als Maßstäbe an historische Disziplinen wie Geschichte oder Evolutionsbiologie gestellt, im Unterschied zur Argumentation Benedikts XVI. Warum stellt der Papst die mit Abstand plausibelste Erklärung für die Entwicklung des Lebens auf der Erde in Frage? Und wenn schon, warum argumentiert er wissenschaftstheoretisch? Schließlich könnte man jegliche theistische Auslegung als weitaus unplausibler als die Evolutionstheorie bezeichnen.

Schon 1980 hatte Johannes Paul II. erklärt, es gebe keinen Widerspruch zwischen Naturwissenschaft und Glauben. Vor 15 Jahren hatte er außerdem den Astronomen Galileo Galilei rehabilitiert, den die katholische Kirche nach einem Inquisitionsprozess im Jahr 1633 zu Hausarrest verurteilt hatte. Galileis Widersacher, Papst Urban VIII., hatte damals behauptet, dass sich die Natur als Schöpfung Gottes dem beschränkten Verstand des Menschen entziehe. Doch dann folgten vier Jahrhunderte voller Forscher-Triumphe. Johannes Paul II. gilt als Versöhner zwischen Kirche und Wissenschaft, da er dieser Entwicklung endlich Rechnung trug.

Doch als sein Nachfolger Benedikt XVI. in seiner ersten heiligen Messe als Papst erklärt hatte, der Mensch sei "kein beiläufiges, bedeutungsloses Produkt der Evolution", hatten Beobachter dies als Anzeichen für einen grundsätzlichen Kurswechsel gedeutet. Anfang September letzten Jahres stellte der neue Papst das jährliche Treffen mit dem Kreis ausgesuchter Ex-Studenten ("Ratzinger-Schüler") aus seiner Zeit als Theologieprofessor dann unter das Thema "Evolution und Schöpfung".

Absage an den Kreationismus

Schon witterten Vertreter einer naiven Schöpfungslehre (Kreationismus) Morgenluft, zumal auch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn zu den Teilnehmern des Treffens in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo zählte. Er hatte im Herbst des Jahres 2005 mit einem Gastbeitrag für die "New York Times" für Aufsehen gesorgt, in dem er behauptet hatte, es gebe "überwältigende Beweise für Design in der Biologie".

Kurz vor dem Treffen hatte der neue Papst zudem den Leitungsposten der Vatikanischen Observatorien neu besetzt. Fast 30 Jahre hatte der Jesuit George Coyne die päpstliche Sternwarte geleitet. Er galt als offensiver Verfechter der Evolutionstheorie - und ausgesprochener Kritiker Schönborns.

Das nun veröffentlichte Buch dokumentiert die Debatte des Gelehrten-Wochenendes in der päpstlichen Sommerresidenz. Unter den vier dort abgedruckten Vorträgen stammt allerdings nur einer von einem Naturwissenschaftler, dem Wiener Chemiker und Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Peter Schuster. Benedikt XVI. selbst kommt nur im Kapitel "Diskussion" zu Wort. Auf rund 60 Seiten dokumentieren die Herausgeber die Debatte der Schülerkreis-Mitglieder mit ihrem früheren Lehrer. Der Verlag hat bislang nur zwei Seiten davon als Leseprobe zugänglich gemacht. 

Tatsächlich dürfte das Buch die Hoffnungen von US-Kreationisten, die katholische Kirche könnte sich ihrem Konzept des "Intelligent Design" annähern, endgültig enttäuschen - trotz Benedikts rhetorischen Remplers gegen die Evolutionstheorie. Schwerer wiegt für Naturwissenschaftler das Signal, dass der Papst die Deutungshoheit des Spirituellen retten will.

"Die Religion, nicht bloß speziell die katholische Kirche, ist immer genau an diesem Problem gescheitert: dass sich vermeintliche Erfahrungen als falsch herausgestellt haben und zurückgenommen werden mussten", sagte Evolutionsbiologe Reichholf. "Wahrheiten aus Offenbarungen und wissenschaftliche Erkenntnis - das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge."

Die Debatte um die Deutungshoheit über die Entwicklung des Lebens nennt Reichholf "einen Rückzugskampf" der Kirche: "Jedes Jahr wird mehr Wirklichkeit entschlüsselt."

Mit Material von AP/rtr

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