Exorzisten und Schwulen-Heiler Dämonen auf dem Psychiaterkongress
Der Exorzismus ist etwas aus der Mode gekommen in den vergangenen Jahrzehnten. Teufelsaustreibungen gelten in der Psychiatrie nicht als Mittel der Wahl, wenn es darum geht, Patienten zu behandeln, und Besessenheit ist heute eher eine Kategorie für Hollywood-Liebesdramen denn für diagnostische Manuale.
Auf der offiziellen Seite des Fachkongresses "Religiosität in Psychiatrie und Psychotherapie", der im Oktober in Graz stattfinden wird, liest sich das allerdings anders. Spreche ein Patient nicht auf Therapie an, könne dies "ein Hinweis auf das Vorliegen einer übernatürlichen Ursache" sein, steht in der Zusammenfassung zu einem der geplanten Vorträge. "Wenn man dagegen die Berichte in den Evangelien und Lehre der Kirche hernimmt, so können diese Symptome als dämonische Angriffe auf einzelne Menschen erkannt werden."
Dämonische Angriffe als psychiatrische Diagnose? So mancher potentielle Teilnehmer des Kongresses, der unter der Schirmherrschaft der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) steht, kratzte sich verwundert am Kopf. Und zwar nicht nur wegen des Workshops "Gibt es Besessenheit jenseits der Psychose?", in dem der Exorzist der Erzdiözese Wien, Larry Hogan, gemeinsam mit dem österreichischen Psychiater Andreas Masching über die oben zitierten Thesen referieren soll.
"Heilung" von Homosexuellen?
Merkwürdig kam vielen auch ein weiterer Workshop vor, in dem es um die Behandlung "ichdystoner Sexualorientierung" gehen sollte. In Wahrheit, glaubt zum Beispiel der Mannheimer Verhaltenstherapeut Christof Wagner, geht es dem Referenten Markus Hoffmann um etwas ganz Konkretes: die "Heilung" von Homosexuellen nämlich.
Hoffmann leitet eine Gruppe namens "Wüstenstrom", Wagner zufolge "eine radikale religiöse Laiengruppe, die Konversionstherapien propagiert". Die zielen darauf ab, Schwule und Lesben in brave Heterosexuelle zu verwandeln. Diese zuweilen mit rabiaten Methoden verbundenen Ansätze werden vom wissenschaftlichen Mainstream seit vielen Jahren als ideologisch motiviert und potentiell gefährlich abgelehnt. Aus gutem Grund wurde Homosexualität schon vor Jahren aus den diagnostischen Manualen europäischer und US-amerikanischer Psychiater gestrichen - Homosexualität ist keine Krankheit, kann und sollte deshalb auch nicht mit Therapie angegangen werden.
Populär sind solche Versuche nach wie vor bei der religiösen Rechten in den USA, der Homosexualität als verdammenswerte Sünde gilt. Wagner, der selbst einmal einen Überblicksartikel über Konversionstherapien im Fachblatt "Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis" veröffentlicht hat, sieht jedoch einen Trend heraufziehen: "Ein paar Leute versuchen, das Thema nun durch die Hintertür auch nach Europa zu tragen." Und diesen Leuten sollte nun auf einem hochoffiziellen Kongress die Aufmerksamkeit der wissenschaftlichen Fachgemeinde zuteil werden - für Wagner und viele seiner Kollegen ein Skandal.
"Wüstenstrom"-Vorsitzender Markus Hoffmann ist in Deutschland kein Unbekannter: Unter der Überschrift "Umschwulung zum Ehemann" fanden er und "Wüstenstrom" in einem Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" Erwähnung - in dem Text ging es hauptsächlich um religiös motivierte Umpol-Organisationen in den USA. "Die Zeit" berichtete im Januar kritisch über "Wüstenstrom" - unter der Überschrift "Heilung in Gottes Namen".
Schwuleninitiative will nicht mitmachen beim Kongress
Nach der Kongressankündigung kam es in Österreich zu einer heftigen Debatte. Professoren schrieben empörte Briefe, die Fachgesellschaft ÖGPP drohte, die Schirmherrschaft zurückzuziehen. Der Landeshauptmann der Steiermark Franz Vowes, unter dessen "Ehrenschutz" die Veranstaltung steht, drohte ebenfalls mit Rückzug, sollte Hoffmanns Beitrag nicht aus dem Programm genommen werden. Eine eilig hinzugeladene Schwulen- und Lesbeninitiative, die als Gegengewicht zu Hoffmann einen Teilnehmer zu der Veranstaltung schicken sollte, weigerte sich schließlich, dem Konversionsprediger ein Forum zu bieten und sagte die Teilnahme ab.
Der Konversionstherapeut steigt aus, ein Exorzist erklärt in knappen Worten, warum er auf dem Kongress gut aufgehoben ist
Vor einigen Tagen erschien auf der Internetseite zum Kongress eine Stellungnahme der Veranstalter, der Psychiatrie und der Medizinischen Psychologie der Medizinischen Universität Graz. Wegen der "Emotionalisierung und Ideologisierung der Debatte" habe Hoffmann seinen Beitrag zurückgezogen, "da ihm eine geordnete wissenschaftliche Diskussion nicht mehr möglich erschien".
Die Veranstalter bedauerten die Absage, weil man dazu stehe, dass "eine akademische Diskussion möglich sein muss" und sich gegen "jede Form von Intoleranz, von welcher Seite auch immer sie vorgetragen wird", verwahre. Zwei von mehr als hundert Veranstaltungen der Tagung seien "in geradezu grotesker Weise ins Zentrum des öffentlichen Interesses gestellt" worden. Inzwischen sind sowohl diese Stellungnahme als auch alle Hinweise auf Hoffmanns abgesagte Teilnahme von den Kongress-Webseiten verschwunden.
Kongress-Organisator Raphael Bonelli von der Grazer Universitätsklinik für Psychiatrie ist über die Aufregung überrascht. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE versichert er, man habe mit "Zwangstherapien oder sonstigen Diskriminierungen" Homosexueller nichts am Hut. Bonelli ist Mitglied der ultrakonservativen katholischen Organisation Opus Dei - einer Organisation, die Homosexualität als widernatürlich und therapiewürdig betrachtet.
Bonelli betont jedoch, er sei für seine Patienten "ausschließlich Arzt und Psychotherapeut und nicht Seelsorger", denn alles andere wäre ein Missbrauch ärztlicher Kompetenz: "Ich habe noch nie einem meiner homosexuell orientierten Patienten daraus einen Vorwurf gemacht oder ihn gar zur 'Konversion' gedrängt." Der Workshop über Exorzismus sei nicht auf Initiative der Kongressveranstalter, sondern auf den Vorschlag psychiatrischer Kollegen ins Programm gehoben worden. Im Tagungsprogramm werde "Religiosität durchaus auch als ein Phänomen wahr- und ernst genommen, das dem Psychiater bei der Behandlung eines Patienten helfen kann".
Der Exorzist darf trotzdem sprechen
Der Auftritt des Exorzisten Larry Hogan steht weiterhin im Kongressprogramm. Das Magazin "Profil" zitiert den Fachmann fürs Dämonische mit den Worten, es müsse ja niemand zu seinem Vortrag kommen. Außerdem spreche im gleichen Workshop anschließend ein Gegner seiner Ansichten.
Die Gegenthese des Psychiaters Hartmann Hinterhuber von der Universität Innsbruck: Überzeugungen psychisch Gestörter, den Teufel in sich zu haben, seien "dramatisch - und auch heute noch oft tödlich". Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE erklärt Hinterhuber, er sei schon "verwundert" über die Aussage, dass Psychose-Symptome als dämonische Angriffe erkannt werden könnten. Das sei "ein Rückfall in eine vorwissenschaftliche Medizin". Die Diskussion über das Thema halte er aber durchaus für sinnvoll, deshalb nehme er daran teil.
In einer weiteren Stellungnahme vom 12. September bestehen die Veranstalter darauf, dass "im Rahmen eines interdisziplinären Kongresses, bei dem die Psychiatrie, Psychologie, Psychotherapie in den Dialog mit Religionswissenschaft, Philosophie und Theologie" träten, das Thema Exorzismus "durchaus von Interesse" sei. Außerdem sei man der Überzeugung, "dass es dem wissenschaftlichen Umgang mit dem Thema nicht schadet, wenn ein in diesem Bereich erfahrener Seelsorger selbst zu Wort kommt".
Die Notwendigkeit für einen Diskurs können Kritiker wie der Verhaltenstherapeut Christoph Wagner aber beim besten Willen nicht erkennen. Zum Wesen der Wissenschaft gehöre schlicht, dass alles, was als nicht wissenschaftlich prüfbar entlarvt werde, auf dem Müll lande. Das Verfahren des "peer review" sei ein Mittel der Qualitätssicherung und keine Zensur. Wagner: "Sonst könnte man auch einen psychiatrischen Kongress über Hexenverbrennungen abhalten."