Fachmagazine Monopoly des Wissens
Ein Bäcker backt Brötchen, ein Wissenschaftler schafft Wissen. Schmeckt ein Brötchen mal nicht, ist das ärgerlich. Ist Wissen aber faul, hat das ernste Konsequenzen. Denn jede neue Erkenntnis ist ein Baustein, der auf alten aufbaut. Keiner will, dass Teile des großen Hauses Wissenschaft in sich zusammenbrechen.

Uni-Bibliothek Konstanz: Auf Fachmagazine angewiesen
Foto: DDPUm das zu verhindern, braucht es Prüfmechanismen. Renommierte Fachmagazine wie " Science ", " Nature ", "Cell", "Lancet" und andere organisieren die Überprüfung wissenschaftlicher Ergebnisse und veröffentlichen diese. Zugleich kontrollieren sie aber auch den Wissensfluss. Das ist nicht unumstritten, denn wissenschaftliche Erkenntnisse werden meist mit öffentlichen Mitteln finanziert. Und Fachmagazine wollen Geld damit verdienen. "Das ist ein Problem, das die Wissenschaftler seit langem beschäftigt", sagt Alexander Borst, Direktor am Max-Planck-Institut für Neurobiologie in München SPIEGEL ONLINE.
Sehr genau überprüfen andere Wissenschaftler, ob der neue Baustein des Kollegen taugt oder nicht. Dieser Selbstkontroll-Mechanismus, Peer Review (englisch: peer = Gleichrangige, review = Prüfung) genannt, hat sich etabliert im Wissenschaftsbetrieb. Er greift, bevor das neugeschaffene Wissen veröffentlicht wird.
Hochspezialisierte Magazine, hochspezialisierte Leserschaft
Eine gute Sache, aber dieser Kontrollmechanismus muss organisiert werden. In der Regel tun das nicht die Wissenschaftler selbst, sondern die Fachmagazine. Sie tun damit einen wichtigen Dienst an der Wissenschaft. So weit, so uneigennützig.
Doch nicht jedes Fachmagazin ist gleich angesehen. Die Publikationsliste eines Wissenschaftlers entscheidet über seine Karriere. Und eine Veröffentlichung in einem großen Fachmagazin wie "Nature" oder "Science" ist der Ritterschlag. Die Tradition reicht weiter zurück als der Nobelpreis: "Science" gibt es seit 1880, "Nature" seit 1869. Sie sind Institutionen, die der deutsche Stammzellforscher Hans Schöler mit Wimbledon vergleicht, dem renommiertesten Turnier im Tennissport.
Es gibt eine Rangfolge unter den Fachmagazinen. Nicht etwa die Auflage zählt hier, sondern die "Wucht" eines Magazins, der sogenannte Impact Factor. Dafür ist entscheidend, wie oft andere Magazine aus ihm zitieren.
So versuchen Wissenschaftler zunächst in Magazinen mit hohem Impact Factor zu veröffentlichen - eben auch "Science" und "Nature" - und dann in den Nischenmagazinen.
Der Ablauf bis zur Veröffentlichung einer wissenschaftlichen Arbeit sieht folgendermaßen aus: Ein Wissenschaftler reicht sein Manuskript ein, es wird von den Magazin-Redakteuren kurz auf generelle Annahme oder Ablehnung geprüft. Bei positivem Bescheid durchläuft es dann den monatelangen Peer-Review-Prüfprozess.
Embargo auf den Wissensfluss
Bis zur Veröffentlichung verhängen die Magazine ein sogenanntes Informationsembargo über die Arbeit. Der Wissenschaftler darf bis eine Woche vor Veröffentlichung über seine Ergebnisse nicht mit der "gewöhnlichen" Presse sprechen. Eine Missachtung hat Konsequenzen: "Autoren, die vorzeitig aktiv auf die Medien zugehen, gefährden ihre 'Science'-Publikation", sagt "Science"-Sprecherin Natasha Pinol SPIEGEL ONLINE. Nicht anders hält es "Nature": "Wir behalten uns das Recht vor, die Annahme einer Arbeit zu überdenken, wenn diese Bedingung verletzt wird", sagt Grace Baynes, Sprecherin von "Nature".
Kaum ein Wissenschaftler, der sich dem widersetzt. Wer will schon eine Publikation in einem der wichtigsten Magazine riskieren?
So sichern sich die Magazine die Exklusivität an den Forschungsergebnissen - und das ohne Kosten. Denn im Gegensatz zu normalen Magazinen, die Autoren Honorar für die Abtretung des Copyrights zahlen, zahlen "Science", "Nature" und Co. den Wissenschaftlern kein Geld. Die üblicherweise mit öffentlichen Mitteln finanzierte wissenschaftliche Arbeit gehört dann dem Magazin - und ist im Archiv nur noch kostenpflichtig abrufbar. Bis zum Jahr 2005 durften Wissenschaftler ihre eigenen "Nature"-Publikationen nicht einmal selbst archivieren und öffentlich zur Verfügung stellen.
Damit nicht genug: Fachmagazine machen ihren Autoren auch noch strenge Vorgaben, wie das Manuskript inhaltlich und formal aufgebaut sein muss. Bei Nichtbeachtung droht Ablehnung. Typische Redakteurs- und Layouter-Aufgaben übernehmen die Wissenschaftler praktischerweise auch noch gleich mit.
Während des Prüfprozesses ist es den Wissenschaftlern untersagt, ihr Manuskript einem anderen Magazin anzubieten. So kann es also passieren, dass ein Manuskript bei "Nature" eingereicht, im Peer-Review geprüft und schließlich doch noch abgelehnt wird. Erst dann - Monate später - kann das ganze Spiel dann bei "Science" von vorne beginnt. Ein nicht unwahrscheinlicher Vorgang - laut "Nature" werden von den jährlich eingereichten Manuskripten letztlich nur sieben Prozent veröffentlicht.
Leser, die nicht davonlaufen können
Im schnellen wissenschaftlichen Wettbewerb kann so wertvolle Zeit verlorengehen. Denn die Lorbeeren für eine Entdeckung heimst der ein, der sie zuerst veröffentlicht. Nicht der, der sie zuerst gemacht hat.
Der Klimaforscher Hans von Storch plädiert daher dafür, beim Peer Review eine zeitliche Obergrenze einzuführen: "Sagen wir von drei Monaten." Storch weiter: "Andererseits kann man natürlich in der Zeit ausführlichere Arbeiten zum gleichen Thema vorbereiten, die ohnehin erst erscheinen werden, wenn die Sache bei 'Science" oder 'Nature' längst gelaufen ist". Der Begutachtungs- und Veröffentlichungsprozess dauere bei den meisten Journals nämlich deutlich länger.
Auch Journalisten der Publikumspresse müssen sich dem Embargo unterwerfen - sonst haben sie keine Chance, an Informationen über wissenschaftliche Entdeckungen zu gelangen. Denn die Wissenschaftler haben ja einen Maulkorb verpasst bekommen. Die Journalisten können einen Pressezugang bei "Nature" und Co. beantragen und erhalten dann in der Regel eine Woche vor Veröffentlichung Zugang zu den Manuskripten. "Diese Verbreitungspraxis gibt den Journalisten Zeit, die komplexen Informationen zu verstehen und korrekt zu berichten", sagt Natasha Pinol.
Doch wehe, ein Journalist bricht das Embargo!
"Journalisten, die sich nicht an die Embargopolitik von 'Science' halten, wird der Zugang zu unseren Vorabinformationen entzogen", sagt Pinol. Und auch Grace Baynes, ihre Kollegin von "Nature", bestätigt: "Wir behalten uns das Recht vor, einen Journalisten, der das Embargo bricht, von unserer Presseliste zu nehmen. Für wie lange hängt ab vom Inhalt des Embargobruchs."
Public Library of Science - der Gegenentwurf zu "Nature" und Co.
Die Magazine diktieren nicht nur den Informationsfluss sondern auch die Abo-Preise. Die liegen gänzlich anderen Dimensionen als bei herkömmlichen Magazinen: Der Marktführer bei den wissenschaftlichen Fachzeitschriften - das niederländisch-englische Verlagshaus Reed-Elsevier - bringt insgesamt 2000 Fachmagazine heraus. "Brain Research", Reed-Elseviers teuerste Zeitschrift, kostet im Jahresabo rund 20.000 Euro. Ähnliche Preise werden für "Tetrahedron" verlangt - rund 16.000 Euro. Das "Journal Of Catalysis" ist immerhin schon für etwa 7000 Euro zu haben.
Vergleichsweise günstig nimmt sich dagegen "Nature" aus: 199 US-Dollar pro Jahr kostet das Abo für eine Person; eine Institution oder Bibliothek muss allerdings schon 2730 US-Dollar berappen. "Science" kostet 231 US-Dollar pro Person und 855 US-Dollar pro Institutionen.
Die normalen Regeln des Wettbewerbs sind hier verzerrt, denn Wissenschaftler und Uni-Bibliotheken sind auf die Magazine angewiesen. Anders als bei SPIEGEL, "Stern" oder "Focus" können die Leser also nicht einfach davonlaufen.
Reviewer erhalten kein Honorar
Ein lukrativer Markt: Die Verlage kassieren Abogebühren und Anzeigeneinnahmen. Auf der anderen Seite fallen für sie keine Autorenhonorare an. Und eine auf inhaltiche Konsistenz prüfende Dokumentationsabteilung gibt es auch umsonst, denn Reviewer erhalten kein Honorar. Der Grund: Ein Prüfer müsse unbestechlich sein, sagt Natasha Pinol.
Übrigens wird "der Peer Review als Teil der Pflichten eines Wissenschaftlers gesehen". Hier profitieren die Magazine vom Ehrenkodex und Selbstverständis der Wissenschaftsgemeinde: "Der unentgeltliche Peer-Review-Prozess ist absolut okay", bestätigt Alexander Borst. "Das ist der Dienst an der Gemeinde."
Kaum Kosten, kaum Konkurrenz, saftige Abo-Einnahmen - sind Fachmagazine ein publizistischer Traum?
Doch es gibt Unterschiede in der Struktur: Hinter "Nature" steht der britische Verlag Macmillan Publishers Ltd., der wiederum der Verlagsgruppe Holtzbrinck gehört. Die erzielte 2005 vier Prozent am Gesamtumsatz mit wissenschaftlichen Fachzeitschriften - und der beläuft sich weltweit auf 19,24 Milliarden US-Dollar. "Nature" hält sich bedeckt, was seine Profite angeht. "Wir sind ein Privatunternehmen und veröffentlichen unsere Finanzen nicht", sagt Grace Baynes.
"Science" hingegen wird herausgegeben von der US-amerikanischen American Association for the Advancement of Science (AAAS) - einer Non-Profit-Organisation und die weltweit größte wissenschaftliche Vereinigung. "Die Einnahmen helfen dabei, die Mission der AAAS zu erfüllen", sagt Natasha Pinol. "Wissenschaft weiterzubringen und der Gesellschaft zu dienen." Dieses Ziel erreiche man mit Initiativen in Forschung und Forschungspolitik, internationalen Wissenschaftsprojekten, wissenschaftlicher Bildung, Wissenschaft im Dienste der Menschenrechte, öffentlichem Engagement und der Verbreitung von Wissenschaft.
"PLoS ist mittlerweile absolut etabliert"
Reed-Elsevier ist der Marktführer in diesem Geschäft, setzt rund 2,5 Milliarden US-Dollar mit wissenschaftlichen Fachzeitschriften um. Andere große Verlagsgruppen sind Thompson, Wolters, Wiley und Springer Science + Business Media.
In Zeiten des Internets kommt einem das Gebaren der Wissensverwalter überholt vor. Und tatsächlich gibt es Bestrebungen, das Monopol der Fachmagazine zu brechen: Ein Gegenentwurf zur Embargopolitik der arrivierten Magazine ist die " Public Library of Science ", kurz PLoS, die 2001 von Wissenschaftlern gegründet wurde. Die Non-Profit-Organisation ist mittlerweile eine reine Online-Veröffentlichungsplattform für wissenschaftliche Ergebnisse - die Print-Version wurde im Jahr 2006 eingestellt. Mittlerweile gibt es schon sechs Ableger von "PLoS ONE" - darunter "PLoS Biology" und "PLoS Medicine".
Das Ziel: Wissenschaftliche Artikel sollen für jedermann jederzeit frei verfügbar sein - mit normalem Peer Review. Zudem besteht die Möglichkeit für Wissenschaftler, veröffentlichte Manuskripte zu kommentieren. Die Kosten tragen die Wissenschaftler, die bei PLoS veröffentlichen wollen, selbst. Für eine Veröffentlichung fallen etwa um die 2000 US-Dollar an.
Ein Modell, das funktioniert: "PLoS ist mittlerweile absolut etabliert", sagt Alexander Borst. Erst kürzlich beschloss die Max-Planck-Gesellschaft, für Veröffentlichungen ihrer Wissenschaftler in PLoS die Kosten direkt zu übernehmen.
Doch warum setzen renommierte Wissenschaftler, die sich nicht um ihre Karriere sorgen müssen, nicht ein Zeichen und publizieren nur noch in PLoS? Hans Schöler hält das für unrealistisch: "Auch wenn man selbst vielleicht das Renommee nicht mehr erwerben muss - die Karrieren der Mitarbeiter hängen von Publikationen in möglichst hochrangigen Journals ab." Typischerweise sind an einer Veröffentlichung viele Forscher beteiligt, ihre Namen stehen über der Publikation.
"Nature": Nur geringes Interesse am Open Peer Review
Es gibt Bewegung, ein bisschen zumindest. "Nature" startete im Jahr 2006 den Versuch eines Open Peer Review : Wissenschaftlern, deren Manuskript nach erster Begutachtung angenommen worden war, bot man an, parallel zum normalen Peer Review die Arbeit vorab online auf der "Nature"-Webseite zu veröffentlichen. Doch nur 71 von 1369 angefragten Autoren stimmten dem zu, wie "Nature" berichtet. Zugleich bestand die Möglichkeit, dass andere Wissenschaftler die vorab veröffentlichen Manuskripte kommentierten. Auch hier zeigte sich laut "Nature" nur geringes Interesse.
Dennoch will man es nicht bei diesem einen Experiment belassen. "Ein einziger Versuch sagt uns noch nicht, ob etwas Bestand hat", sagt Grace Baynes zum Open-Peer-Experiment. Der Peer Review sei so wichtig für die Qualität und Genauigkeit, dass man ihn achten solle. Gleichwohl ist auch er kein Garant vor Betrügern, wie der Fall des betrügerischen Klonforschers Hwang zeigt.
"Wir haben kein Interesse, nur den Status Quo zu verteidigen", so Baynes. Und auch ihre "Science"-Kollegin Pinol gibt zu: "Die Möglichkeiten, die die Online-Welt anbietet, haben wir gerade erst begonnen zu erkunden."
Dennoch, Neuanfänge sind so bald nicht zu erwarten: "Ein neues Modell könnte vielleicht den jetzigen Prozess verstärken, statt ihn komplett zu ersetzen", sagt Baynes.