Pionier der Wissenschaftsblogs "Artikel, die Medien angreifen, haben gute Quoten"

Florian Freistetter: "Man muss sich trauen, abgesicherte Fachwörter zu meiden"
Foto: Simon KummSPIEGEL ONLINE: Herr Freistetter, Sie sind wohl der erste freie professionelle Wissenschaftsblogger in Deutschland, also der erste, der vom Bloggen leben will. Wie läuft's?
Florian Freistetter: Das Bloggen ist meine Basis, ich werde von meinem Portal pro Klick honoriert. Außerdem schreibe ich Bücher, Medienbeiträge und halte Vorträge über Astronomie. Davon kann ich leben.
SPIEGEL ONLINE: Sie waren Wissenschaftler, warum haben Sie gekündigt?
Freistetter: Ich war gerne Wissenschaftler, man findet neue Dinge heraus. Aber ich musste mich entscheiden: Bloggen oder Forschung.

Florian Freistetter (Jahrgang 1977) ist Astronom. Er promovierte an der Universität Wien und arbeitete danach an der Sternwarte der Universität Jena und an der Universität Heidelberg. Er lebt in Jena, bloggt über Wissenschaft und schreibt Bücher.
SPIEGEL ONLINE: Warum ging nicht beides zusammen?
Freistetter: An deutschen Universitäten hat Bloggen oft keinen guten Ruf, populäre Darstellung gilt bei vielen als Zeitverschwendung oder gar als anrüchig. Aber es ist nun mal meine Leidenschaft, Laien Wissenschaft zu erklären. Jeder sollte über Wissenschaft mitreden können.
SPIEGEL ONLINE: Aber mittlerweile bloggen doch Dutzende Wissenschaftler in Deutschland?
Freistetter: Es sind einige, das stimmt, aber nicht alle wenden sich auch an Laien. Vielen geht es eher um die Kommunikation innerhalb der Forschergemeinschaft. Und da würde man zum Beispiel nicht schreiben "Die Erde ist rund", weil sie das ja genau genommen nicht ist. Popularisierte Wissenschaft löst bei Forschern oft den Reflex aus, dass irgendetwas nicht stimmen kann.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie denn schon die journalistische Weihe erfahren, dass Wissenschaftler sich bei Ihnen beschwert haben über einen Beitrag?
Freistetter: Gelegentlich musste ich mich korrigieren, aber Streit über Deutungen gab es nicht. Ich sehe mich als Blogger, nicht als Journalist. Mir geht es um verständliche Wissenschaft, nicht um Wissenschaftskritik.
SPIEGEL ONLINE: Wohlwollende Haltung gegenüber der Forschung scheint typisch für Wissenschaftsblogs. Ist das ein Grund, warum Blogs bislang wenig wahrgenommen werden von den Massen?
Freistetter: Die meisten Blogger fühlen sich in der Wissenschaft verwurzelt. Journalisten aber müssen Neutralität und Distanz bewahren, das Bloggen ist persönlicher: Wir schildern ausgiebig Meinungen, Erlebnisse, Eindrücke. Kritik richtet sich in Blogs eher gegen die Massenmedien. Artikel, die Massenmedien angreifen, haben oft gute Klickzahlen.
SPIEGEL ONLINE: Wie oft wird ihr Blog denn gelesen?
Freistetter: Die Zugriffe schwanken stark, an guten Tagen sind es aber ein paar Tausend Klicks. Ich schreibe täglich in den Blog , oft auch mehrfach; durchschnittlich gibt es 50 bis 100 Kommentare. Die muss ich moderieren, beantworten. Das nimmt viel Zeit in Anspruch.
SPIEGEL ONLINE: Was wird außer Medienkritik gerne gelesen?
Freistetter: Die Entlarvung von Aberglauben, etwa über Ufos, Vollmond oder Weltuntergangsprognosen.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie einen anderen Zugang zu den Themen entwickelt als früher als Wissenschaftler?
Freistetter: Man muss sich trauen, abgesicherte Fachwörter zu meiden, etwas einfach zu schildern und sich auch von Pressemitteilungen der Unis lösen. Ich denke heute in Geschichten und frage mich, in welcher Weise sich ein Thema erzählen lässt. Als Wissenschaftler hingegen denkt man über Verständnisfragen nach.
SPIEGEL ONLINE: Warum gibt es denn noch keinen Wissenschaftsblog, der Pflichtlektüre wäre?
Freistetter: Wir sind eben immer noch Neuland. Massenmedien hingegen profitieren von ihren traditionsreichen Marken. Ein Lokaljournalist schrieb neulich über mich als "Blog"-Betreiber - mit Blog in Anführungszeichen.
SPIEGEL ONLINE: Hin und wieder schreiben Sie auch für Massenmedien. Welche Unterschiede erleben Sie dabei?
Freistetter: Erstens muss ich für einen Artikel mehrere Experten fragen. Zweitens muss ich Experten auch Dinge fragen, die ich selber weiß. Drittens sind die Experten mir gegenüber viel skeptischer. Plötzlich bin ich kein Blogger mehr, sondern Journalist.